Schwarwels Bücher sollte es eigentlich in der Apotheke geben. Als Ernüchterungsmittel für die immer mehr werdenden Menschen, die mit ihren Stressapparaten in der Hand immer hilfloser, panischer und närrischer werden. Für Politiker sowieso. All die Menschen, die in ihren Blasen leben und gar nicht mehr merken, dass das Chaos in ihrer Blase ihr eigenes Chaos ist, selbst erzeugt, der Spuk in ihrem eigenen Kopf. Kluge Ärzte verschreiben Schwarwel: mindestens 1 x täglich auf nüchternen Magen.

Jeden Tag setzt er sich hin und bringt den Irrsinn der täglichen Nachrichten auf den Punkt, entkleidet sie ihrer Blasen, Phrasen und Verlogenheiten, ernüchtert sie also, bringt sie auf den Kern des Pudels – und wenn man sich die Zeichnung dann anschaut, ist das, als hätte einen jemand mitten aus einem irren Albtraum gerissen und die Vorhänge vom Fenster weggezogen. Und siehe da: Es ist ein ganz gewöhnlicher Leipziger Morgen. Nichts Schlimmes ist passiert.

Von all den Schwadroneuren, die gestern noch ihre blasierte Unwissenheit in kreischenden Talkshows oder Nachrichtenschnipseln von sich gegeben haben, ist keiner da. Jedenfalls nicht hier unten auf der Erde, wo sich gewöhnliche Menschen jeden Tag mit Fleiß und Geduld ihre Brötchen verdienen.

Wenn man Schwarwels Bände mit den ausgewählten Karikaturen eines ganzen Jahres durchblättert, wundert man sich sowieso, was da alles passiert ist und warum es dazu kommt, dass wir von solchen seltsamen Menschen regiert werden. Tendiert die Menschheit tatsächlich dazu, Menschen in Ämter und Posten zu wählen, die keine Haltung, keinen Sinn für das Machbare und keine Lust zur Veränderung haben?

Na gut: Es sind nicht alle so. Man darf durchaus bemerken, dass etliche der Politikerinnen und Politiker, die 2019 von sich Reden machten, bei Schwarwel gar nicht auftauchen. Denn er konzentriert sich auf die irrationalen Zeitgeister, die Opportunisten in Amt und Würden, die Wendehälse, die die Kunst des geschmeidigen Kurswechsels schon immer beherrscht haben. Und auf ihr Volk mit kaum verhohlener Verachtung herabschauen.

Denn irgendjemand muss ja so besoffen sein, diese Typen immer wieder zu wählen, ihnen Mehrheiten zu beschaffen, auf dass die Tragödie mit ihren närrischen Helden immer weitergeht. Als wäre eine vernünftige, kluge Politik einfach nicht wünschenswert. Als würden sich die von ihrem kleinen Ego berauschten Hütchenträger und Fähnchenschwenker geradezu wünschen, dass die Welt ein Narrenhaus bleibt und die Politik eine Bühne Shakespearscher Komödien, die – wie man weiß – nur allzu schnell in Tragödien abrutschen, wenn sich herausstellt, dass der irre Held gar keine Maske trägt, sondern tatsächlich meint, was er sagt. Und es auch tut, wenn er kann.

Stets mit ganz großem medialem Orchester begleitet. Denn die meisten Medien sind ja im Schlepptau der asozialen Netzwerke selbst zu Panikorchestern geworden, die die Wagnerschen Untergänge mit großem Posaunengedröhn begleiten und nur noch zwei Musiken kennen: Triumphgesänge und schmetternde Klagechöre. Nichts mehr dazwischen. Nichts mehr vom Leben all jener Menschen, die man so gern die kleinen nennt.

So wie die Putzfrau, die den GroKo-Verhandlern zur Grundrente trocken erklärt, sie wüssten einfach nicht, wovon sie reden.

Eine ganz simple Karikatur, die aber gerade deshalb zeigt, was falsch ist – und warum wir uns an das Falsche gewöhnt haben, nämlich daran, dass wir akzeptieren, dass Politiker in einer Blase leben dürfen und uns mit ihrem Blasenexpertentum erklären dürfen, wie wir die Sache zu sehen haben. Was auch mit unserem Staat zu tun hat und dem seltsamen Verständnis einiger Staatsdiener von ihrer Rolle in unserer Gesellschaft.

Wozu ja nicht nur der aus dem Vorjahr bekannte Hutbürger aus Dresden gehört – den Schwarwel immer wieder gern zeichnet, wenn er einen von seiner Opferrolle berauschten Bürger zeigen will, der mit seinen Äußerungen zeigt, dass er wirklich nur noch in der Blase lebt. Da muss ihm auch seine Frau schon mal sagen: „Dein Recht auf Meinungsfreiheit ist nicht in Gefahr, sondern deine Fähigkeit zur konstruktiven Konfliktbewältigung.“

Das hört sich ein bisschen theoretisch an, führt aber in die Abgründe unserer Konsumgesellschaft hinein, die ihre Mitglieder von Kind auf zur schnellen Bedürfnisbefriedigung erzieht und ihnen einredet, sie würden jeden Wunsch erfüllt bekommen, wenn sie nur laut genug quengeln und jammern. Demokratie quasi als Quengelzone.

Logisch, dass die AfD mit all ihren Kreidefressereien immer wieder auftaucht in diesem Band, die absolute deutsche Quengelpartei, die die Opferrolle geradezu perfektioniert hat. Und die nicht einmal mehr merkt, wie peinlich das ist, dieses ganze Alte-Männer-Gejammer über „die ganze Hetze“. Nur weil diese alten Säcke nie wirklich erwachsen geworden sind und Kritik nicht aushalten. Auch nicht aushalten wollen.

Das klingt zwar nur am Rande an. Aber daher rührt wohl auch der ganze Mutti-Komplex dieser babyblauen Partei: Die Quengler projizieren ihren ganzen kindischen Frust auf Angela Merkel, machen sie zu jener Mutterfigur, die sie in ihrer ganzen Kindheit immer beschämt und ausgeschimpft hat.

So gesehen, erzählt sowohl diese Babypartei als auch der ganze zunehmend gewalttätige Rechtsextremismus in Deutschland von der Infantilisierung des Landes. Und natürlich auch von jenen asozialen Medien, die die Menschen bei all ihren nie verdauten kindischen Bedürfnissen abholen und sie in die Infantilisierungsspirale locken.

Und ein gut Teil unser gewählten Politiker/-innen bestärkt diese Infantilität noch, verspricht den Empörten und Überforderten, man würde ihnen ihr Lieblingsspielzeug nicht wegnehmen und sie müssten sich auch nicht dafür entschuldigen, dass sie andere Kinder schlagen, beleidigen und ausgrenzen.

Warum sollte man sie dafür auch ausschimpfen, wenn systematische Ausgrenzung doch sogar deutsche Politik ist – 2019 aufgeploppt mit der verlogenen Rentendebatte genauso wie mit dem Streit um den Mindestlohn oder der Debatte zur „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche. Auf einmal spielen sich Leute, denen man nicht mal den Hund zu Gassigehen anvertrauen würde, als Vormund auf. Leute, die nicht einmal merken, wie sie die Bürger, die sie regieren, einfach mal für unmündig erklären.

Da und dort schaffen es auch die sächsischen Narreteien in Schwarwels Zeichnungen. Etwa in jener trockenen Karikatur, in der er sagt: „Die Gefahr durch rechen Terror hat sich weltweit verdreifacht …“ Und sie erwidert: „Oh, da gibt’s hier bestimmt bald eine neue Soko gegen links.“

Das war kurz nach dem rechtsterroristischen Anschlag im Halle. Erst kurz zuvor hatte der sächsische Innenminister die neue Soko LinX eingerichtet.

Aber bevor wir uns hier über das seltsame Land Sachsen am Ostrand der zivilisierten Welt unterhalten, werfe ich hier noch das schöne Wort knurd in den Text. Leser von Terry Pratchetts Büchern kennen es.

Wer das Wort nicht kennt, hier die Erklärung aus dem Wörterbuch zur Scheibenwelt. „Ist man jedoch knurd, so ist man komplett entgiftet. Dies geschieht zum Beispiel durch den exzessiven Konsum von klatschianischem Kaffee. Das Denken klärt sich, alle tröstlichen Illusionen und rosaroten Brillen verschwinden und man sieht die Realität zum ersten mal im Leben so, wie sie wirklich ist. Sinnlos zu erwähnen, dass nur wenige diese traumatische Erfahrung überstehen, ohne dabei den Verstand zu verlieren.“

Schwarwel ist ein Mensch, der auch ohne klatschianischen Kaffee knurd ist. Jeden Tag. Und viele seiner Freunde und die Liebhaber seiner Zeichnungen sind es auch. Und seine Zeichnungen wirken eben auch oft wie klatschianischer Kaffee.

Man braucht dazu freilich eine starke Konstitution, um nicht in blanken Wahnsinn zu verfallen, wenn man das sieht, was einige unserer Laienschauspieler der Mattscheibe jeden Tag an Verdruckstem, Verdrehtem und Verkorkstem von sich geben. Nur weil sie den ganzen nie entwöhnten Bälgern aus der Quengelzone alles recht machen wollen. Wozu man ein Gehirn braucht wie einen gordischen Knoten.

Wobei 2019 ja auch für einen ganz reellen Knurd-Effekt steht: den Protest der Kinder bei „Fridays for Future“. Logisch, dass sich das auch im Bilderreigen trifft auf engstem Raum: Kaum fordert ein völlig verpeilter Ostbeauftragter (der inzwischen nach seinem zweiten Fehlgriff entlassen wurde) „Mehr Toleranz für Maaßen“ (der kein „Ossi“, sondern ein Bürokratentyp aus Mönchengladbach ist), klatscht Schwarwel ein dickes rotes Herz auf die Seite: „Je suis Greta“. Ohne Ausrufezeichen.

Weil man im Knurd-Zustand nicht mehr emotional werden muss, sondern radikal vernünftig. So vernünftig, dass man den oft genug weltfremden Unterricht in der Schule nicht mehr aushält, weil man weiß, was passieren wird und was passieren muss, damit es nicht passiert.

Und dann stellen sich diese alten unmündigen Säcke hin und schwadronieren von „Klimahysterie“, sagen Sätze wie „Ich kann diese ganze Klimwandel-Panik nicht mehr hören!“. Doch panisch ist nur der, der das sagt, während Schwarwel die neben diesem keifenden SUV fahrende Radfahrerin trocken sagen lässt: „Das ist dem Klimawandel schrecklich egal.“

Wahrscheinlich braucht man gar keinen klatschianischen Kaffee, um heutzutage völlig knurd zu werden. Aber man braucht jeden Tag seine Portion Schwarwel-Cartoon. Der beruhigt, weil er einem mit wenigen Federstrichen zeigt, dass man nicht allein ist in diesem Käfig voller alter Narren.

Schwarwels neuer Karikaturen-Band: Die Demokratie den Demokraten!

Schwarwels neuer Karikaturen-Band: Die Demokratie den Demokraten!

Schwarwel „Nach mir die Sintflut! Karikaturen & Cartoons 2019/2020“, Glücklicher Montag, Leipzig 2020, 9,90 Euro

Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 24. Januar 2020): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen. Doch eben das ist unser Ziel.

Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen (zur Abonnentenseite).

Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Aufrechterhaltung und den Ausbau unserer Arbeit zu unterstützen.

Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 350 Abonnenten.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar