Es gibt „große, kleine, runde, eckige, weiße, braune, dellige, niedliche“. Dieses Buch ist wirklich nichts für Kinder, die sich über nichts mehr wundern. Und auch nichts für Erwachsene, die erschrocken zusammenfahren, wenn ihre Kleinen sich über die Hinterteile anderer Menschen wundern. Die sehen ja wirklich alle anders aus. Und die meisten passen nicht in die normierten Vorstellungen unserer Marketingwelt. Aber zum Glück gibt es ja Mila, die alles wissen will.
Und die fährt mit Mama und Papa am Samstag ins Schwimmbad. Seit Mittwoch hat sie sich drauf gefreut. Und schon beim Aufstehtrubel am Samstagmorgen sieht man in den witzig gezeichneten Szenen von Bettina Johansson: Auch Milas Mama und Papa stammen ganz bestimmt nicht aus der neuesten Modezeitschrift. Dort würden sie niemals Modell spielen dürfen.
Würden Menschen sich nur lieben können, wenn sie alle dem Schönheitsideal der Modezeitschriften entsprächen, wäre die Zukunft der Menschheit geklärt. Sie würde einfach ohne viel Tamtam von der Erde verschwinden, das Klima würde sich wieder einpendeln, die Tier- und Pflanzenwelt würde sich erholen. Tschüss, du aufgeblasenes Wesen.
Aber so ist es ja nicht. Die meisten Menschen verlieben sich völlig anders, als es in Liebesschmökern erzählt wird. Von Hollywood-Filmen ganz zu schweigen. Sie lieben sich sogar, wenn sie morgens völlig zerknittert aus dem Bett krabbeln oder verschwitzt nach der Fahrt mit dem Fahrrad an der Schwimmhalle ankommen und dann erst mal unter die Dusche gehen. Dahin, wo auch die anderen nackt sind, so, wie sie erschaffen wurden.
Und dort entdeckt Mila die Welt der Popos. Die ja eine Achdujemine-Welt ist. Ein ganz schlimmes Gewirr aus falschen Schönheitsvorstellungen, dem Hadern mit dem eigenen Körper, ärgerlichen Gewichtsproblemen, heftigen sexuellen Überfrachtungen und Darüber-spricht-man-nicht.
Immerhin ist das ja der Teil vom eigenen Körper, den man selbst nicht sieht. Nicht mal im Spiegel. Es sei denn, man nimmt zwei Spiegel. Oder findet sich hinterrücks auf einem Foto wieder, heillos erschrocken darüber, wie man nun auch noch von hinten aussieht, wo man doch schon mit der Vorderseite hadert. Da geht es der schwedischen Kinderbuchautorin Annika Leone genauso wie unsereins hierzulande. Nur dass sie wohl den Vorteil hat, dass die Schweden mit dem Thema etwas unverkrampfter umgehen.
Und dann fällt natürlich beim Blättern im Buch dieses Aufkleber-Set heraus, das ganz nackig aufruft zum „Think Popo-Positiv!“
Und damit jene Gedanken aufnimmt, die in den eigentlich ganz einfachen Mila-Geschichten (die übrigens mit Milas kühnem Sprung ins Schwimmerbecken kulminiert), bestenfalls angestupst werden. Denn in unserem verkniffenen Umgang mit unseren Körpern und der Nacktheit zeigt sich ja auch unser Verstörtsein überhaupt.
Denn wer mit seinem eigenen Körper nur noch hadert und stets in dem Gefühl lebt, dass andere mit ihrem (oft auch noch sportgestählten) Körper viel besser beschenkt sind, der hat natürlich auch Anlass zu einem dauerhaft miesepetrigen Lebensgefühl.
Was ja auch auffällt, wenn man die heutigen Miesepeter dann mal tatsächlich sieht bei ihren Kundgebungen: Da treffen sich augenscheinlich wirklich lauter Leute, die mit sich selbst, ihrem Leben und ihrem Körper zutiefst unzufrieden sind. Und die ihre Unzufriedenheit auf andere münzen. Lauter stets zu kurz gekommene Kinder in den von Traurigkeit und dem lebenslangen Warten auf Erlösung schwer und schlaff gewordenen Körpern.
Und da ist er ja wieder, der eiskalte Spruch des römischen Dichters Juvenal, wenn auch – wie üblich – völlig verkürzt: „Mens sana in corpore sano.“ Verkürzt deshalb, weil Juvenal augenscheinlich etwas ganz anderes damit meinte, als die Fitness-Apologeten heute in den (verkürzten) Spruch hineindeuten.
Denn selbst Wikipedia bringt ja die längere Version: „Beten sollte man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei.“
Das heißt eben nicht, dass in einem gesunden Körper automatisch auch ein gesunder Geist wohnt, sondern dass man darum beten solle – nämlich um den gesunden Geist in einem gesunden Körper. Aber Kindern werden ja schnell „schmutzige Gedanken“ vorgeworfen, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf die Körperteile weiter unten lenken und sich über deren Sinn und Nutzen Gedanken machen.
Und der Popo ist ja nun wirklich ein sehr nützliches Ding. Man sitzt ja jeden Tag drauf – und zwar nicht nur, wenn man mal „auf dem Töpfchen“ sitzt. Er ist gut gepolstert, sodass wir auch auf harten Bänken, Steinen und Baumästen sitzen können, ohne dass es gleich wehtut. Und er füllt auch Windeln und Hosen aus, sodass sie nicht rutschen. Man kann herrlich drauf die Rutsche runterjagen. Und wenn man mal auf den Hosenboden fällt, fängt er mit seiner gepolsterten Fülle das Schlimmste ab.
Was den Kummer all jener natürlich nicht mindert, denen ihr Podex im Lauf der Jahre alle Hosengrößen gesprengt hat.
Aber Milas Betrachtungen im Duschraum zeigen auch, dass Menschen nun einmal nicht alle aus derselben Pressung kommen, dass zwar alle ungefähr den gleichen Bauplan haben, beim Heranwachsen aber trotzdem lauter etwas verschiedene Ergebnisse dabei herauskommen. Über Nasen, Füße und Hände könnte man wahrscheinlich genauso lustige Bücher schreiben. Vielleicht nicht ganz so lustig, weil man die auch ohne Besuch in der Schwimmbaddusche sehen kann.
Und da die Duschkabine vorm Sprung ins Becken dran ist, schaut man dann beim Weiterblättern doch mit etwas anderem Blick auf Milas Papa, der stolz zeigen will, wie er vom Dreimeterbrett springt. Er ist nun wirklich kein Tarzan, eher das, was freche Kinder früher mal Spargeltarzan genannt haben.
Fakt bleibt: Der Besuch in der Schwimmhalle bringt alles an den Tag. Da braucht man ein bisschen Mut und jede Menge Selbstvertrauen, erst recht, wenn es danach auch noch in den Whirlpool und die Sauna geht, wo sich Mama tatsächlich mal ein bisschen Zeit für sich selbst nimmt. Was dann wohl wieder nur Eltern kleiner Kindern verstehen, die sich über jede Minute freuen, wo sie der kleine neugierige Knirps mal nicht in Anspruch nimmt.
Zum Beispiel mit der Frage, warum die eine Frau auf ihrem Po ausgerechnet „Hakuna matata“ stehen hat. Das hat nämlich eine Menge mit den Aufklebern im Buch zu tun.
Annika Leone Überall Popos, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2020, 14 Euro.
Alle behindert! 25 ganz verschiedene Kinder und die Frage nach der Aufmerksamkeit fürs Anderssein
Alle behindert! 25 ganz verschiedene Kinder und die Frage nach der Aufmerksamkeit fürs Anderssein
Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 24. Januar 2020): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen. Doch eben das ist unser Ziel.
Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen (zur Abonnentenseite).
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Aufrechterhaltung und den Ausbau unserer Arbeit zu unterstützen.
Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 350 Abonnenten.
Alle Artikel & Erklärungen zur Aktion „Freikäufer“
Keine Kommentare bisher