Vandalen sind nicht das Schlimmste, was Kulturgütern der Menschheit passieren kann. Viel schlimmer sind Leute, die kalkuliert alles wegräumen, sprengen und planieren, was ihnen im Wege steht. Und so zerstörten Straßenbauer, Sprengmeister, Feldbereiniger und Grundstücksbesitzer im 19. Jahrhundert zwei Drittel der 5.000 Jahre alten Kulturgeschichte in Sachsen-Anhalt. Die Überbleibsel beeindrucken und machen traurig.

Die Rede ist von den alten Steinhügelgräbern und Menhiren, die im frühen 19. Jahrhundert noch in vielen Teilen Sachsen-Anhalts zu sehen waren. Allein über 450 Großsteingräber gab es damals noch. Doch die neue Wirtschaftsform nahm auf diese Zeugen einer faszinierenden Vergangenheit keine Rücksicht.

Sie wurden größtenteils abgetragen, die Steine gesprengt und im Straßenbau verwendet, störende Steinmale in den Feldfluren einfach beseitigt, um Platz zu schaffen. Knapp 150 sind heute noch zu sehen, erzählt die Archäologin Dr. Barbara Fritsch, davon viele nur noch in zerstörtem Zustand.

Sie hat die Texte zu den Fotos geschrieben, die der in Könnern wohnende Fotograf Ingo Panse in Lightpainting-Technik fotografiert hat. Diese Technik hat er schon in zwei eindrucksvollen Fotobänden im Mitteldeutschen Verlag gezeigt – „Mystischer Harz“ und „Geheimnisvoller Harz“.

Die Technik ist eigentlich simpel: Er zieht nachts los, wenn andere schlafen, wenn der Mond am Himmel steht oder weiße Wolkenformationen den Himmel über Baumgruppen und Steinen besonders eindrucksvoll machen. Die Objekte, die er fotografiert, werden dabei mit Taschenlampen regelrecht in Szene gesetzt, sodass sie geheimnisvoll mitten im Bild stehen – meist umrahmt von knorrigen alten Bäumen. Denn wo sich die Steingruppen erhalten haben, stehen oft auch noch alte Baumgruppen im Wald oder auf einer Insel im Feld. Das ergibt eine märchenhafte Szenerie, wenn Panse das dann in Langzeitaufnahmen festhält.

Und er hat sich 2019 richtig Zeit genommen, einige der eindrucksvollsten dieser Steingräber und der überlebenden Menhire so im Foto festzuhalten. Dass die Verluste bei den Menhiren wohl ähnlich groß sind wie bei den Steinhügelgräbern, deutet Barbara Fritsch auch an.

Genauso, wie sie nur andeuten kann, wie viele archäologische Spuren wohl mit der Zerstörung dieser Steinmale verloren gingen, die von den Archäologen in die Zeit um 3.500 bis 3.000 vor unserer Zeit eingeordnet werden, also genau in jene Zeit, in der in Mitteldeutschland die ersten großen Kulturen blühten und möglicherweise – wie ja Harald Meller in „Die Himmelsscheibe von Nebra“ versucht zu erzählen – auch die ersten eindrucksvollen Reiche, die sich vor den zeitgleich existierenden Kulturen im Süden Europas und im Fruchtbaren Halbmond nicht verstecken mussten, auch wenn die meisten ihrer Spuren verschwunden sind. Die Archäologen sind überglücklich, wenn sie die Häuser, Brunnen und Wallanlagen aus dieser Zeit wenigstens noch im Erdreich nachweisen können.

Doch wenn es um ihre Toten ging, dachten die Menschen dieser Zeit wohl genauso wie die Ägypter an die Ewigkeit. Von Nord- bis Südeuropa sind die eindrucksvollen Megalith-Gräber bekannt. Überall wurden riesige Felsbrocken zu eindrucksvollen Grabmalen aufgebaut, in deren Kammern die Menschen ihre Toten meist über viele Generationen beisetzten. Die Überreste der Bestatteten haben sich kaum erhalten. Während die Steinpackungen problemlos fünf Jahrtausende überstanden.

Als im späten 19. Jahrhundert die wissenschaftlichen Ausgrabungen begannen, konnte über die erhaltenen Grabbeigaben auch die Ursprungszeit bestimmt werden, bekamen die Forscher erstmals einen Eindruck von jener Kultur, die im Gebiet zwischen Saale, Harz und Börde existiert hatte. Und sie konnten damit auch die Zeit beenden, in der allein phantasievolle Sagen aus dem Mittelalter erzählten, was wohl hinter all diesen eindrucksvolle Hünen- und Riesengräbern gesteckt haben mochte. Eben keine Hünen und Riesen, auch wenn uns diese Sagen bis heute erfreuen.

Einige dieser Sagen zitiert Fritsch auch. Doch viel wichtiger ist ihr, von den Forschungsergebnissen zu berichten. Denn einige der berühmteren Grabanlagen wurden ja in den letzten Jahren gründlich von Archäologen untersucht.

Sie nahmen auch die Fehlbestände auf, schauten wohl auch entsetzt auf die Sprenglöcher, die einige dieser riesigen Findlinge noch heute aufweisen. Einige dieser Großsteingräber – etwa im Haldenslebener Forst – wurden auch nach bestem Wissen wieder rekonstruiert, sodass der Wanderer wenigstens einen Eindruck davon bekommt, wie sie einmal ausgesehen haben mochten.

Manche dieser Steingräber sind auch durch Rundwanderwege erschlossen. Und dabei erfährt der Leser dann auch gleich noch, dass sich viele dieser Steinzeugen an uralten Straßen auffädeln wie an einer Perlenkette – die Reisenden in dieser Zeit kamen also an ganzen Reihen eindrucksvoller Steingräber vorbei.

Und ganz ähnlich muss es mit den Steinsäulen sein, den Menhiren, bei denen man oft nicht weiß: waren sie Kultobjekte, stellen sie Götter dar? Waren es Wegmarken, Landmarken, gar die weithin sichtbaren Hinweise auf heilige Orte?

Das Problem dabei ist: Viele dieser Menhire sind ebenso verschwunden wie die Steingräber, andere wurden einfach versetzt, wenn sie den Bauern beim Pflügen störten oder einer modernen Landstraße in die Quere kamen. Und von den modernen Schmierfinken und Kaputtmachern, die auch noch die letzten Zeugnisse verunstalten oder gar zu zerstören versuchen, schreibt Fritsch auch immer wieder. Deswegen stehen die wertvollsten Menhire mittlerweile nur noch als Kopie in der Landschaft.

Da die Kulturen, die vor 5.000 Jahren diese Steine aufstellten, keine schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben, können auch die Forscher nur versuchen zu interpretieren, welche Rolle diese eindrucksvollen Steinmale wohl gespielt haben mögen. Eine rituelle auf jeden Fall. Kleine, flache Opferschalen in den Decksteinen der Gräber haben möglicherweise einen kultischen Ursprung. Vielleicht spielt auch die Ausrichtung der Steingräber eine Rolle. Die Wächtersteine vor den einstigen Grabzugängen müssen eine gespielt haben.

Da und dort erklären Schilder vor Ort, was man sieht – und was eben nicht mehr. Denn wenn die Wächtersteine und die Umfassungssteine fehlen, bleibt das Bild unvollständig. Da scheint man vor einem geradezu wilden Steinhaufen zu stehen, in dem es Panse natürlich geheimnisvoll leuchten lässt. Womit er natürlich das Rätselhafte betont, gleichzeitig aber auch eine andächtige Stimmung erzeugt.

Denn dass im Mittelalter Sagen zu diesen gewaltigen Bauten erzählt wurden, erzählt ja auch von der Hochachtung vor dem, was hier in mythischer Vorzeit gebaut worden war. Es war schon eine gewisse Achtung vor einer Vergangenheit, die man nicht kannte, die wir heute ein bisschen besser kennen, weil die Archäologie viele beeindruckende Verfahren entwickelt hat, die Überbleibsel der Vergangenheit zu „lesen“.

Und weil das heute auch viele einfach Geschichtsinteressierte neugierig macht, gibt es zu jedem der abgebildeten Gräber und Menhire auch eine Wegbeschreibung, wie man hinkommt. Das Buch ist also auch eine richtige Einladung für Wissbegierige, einmal so erstaunliche Orte wie Schadewohl, Bornsen, Leetze, Lüdelsen oder Wulfen zu besuchen.

Man erlebt dabei auch, wie sich die Steinmale verändern, je weiter man von Norden nach Süden kommt. Was teilweise am vorhandenen Steinmaterial liegt. Denn wo im Norden noch gewaltige Findlinge verbaut werden konnten, brauchte man weiter südlich schon zugängliche Steinbrüche mit leicht zu brechendem Material.

Aber jedes Bild verstärkt auch den Respekt vor jenen Menschen, die vor 5.000 Jahren in dieser Region lebten, ihre Kultur und Traditionen hatten und die Landschaft prägten mit Steinbauten, die den Wanderer noch heute beeindrucken. Und natürlich ergänzen diese Bilder das Wissen, das mittlerweile um jene Kulturen gesammelt wurde, die an den Flüssen Mitteldeutschlands siedelten, als Ägypten gerade zu blühen begann und die Blüte Griechenlands und Roms noch Jahrtausende in der Zukunft lag.

So erinnern die Steine auch daran, welche Dimensionen menschliche Geschichte tatsächlich hat. Und in welchen Dimensionen wir denken sollten, wenn wir die menschliche Zivilisation noch einmal 5.000 Jahre erhalten wollen.

Ingo Panse; Barbara Fritsch Die Spuren unserer Vorfahren, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2019, 20 Euro.

Spuren des Menschen: Das bilderreiche Buch zum aktuellen Stand der Archäologie in Deutschland

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