Das Buch lag jetzt ein Weilchen auf unserem Lesestapel. Es war nicht so ganz vordringlich, kommt es ja nicht aus einem Verlag der Region. Und Ingrid Brose ist auch keine Leipziger Autorin. Sie lebt in Regensburg. Aber dieses Buch zu schreiben war ihr ein Herzensanliegen. Am Ende gibt es zwar auch noch ein Kapitel zu Sex und Erotik. Aber tatsächlich geht es um etwas viel Wichtigeres, etwas, was nicht nur vielen Frauen fehlt, auch wenn es hier vorrangig um Frauen geht.
Neben ihrer Arbeit bei einer Urheberrechtsgesellschaft ist Ingrid Brose auch – wie sie betont – leidenschaftliche psychologische Beraterin, hat deshalb auch extra ein Fernstudium absolviert. Denn bevor man anderen Tipps gibt, wie sie mit den Unsicherheiten des eigenen Lebens umgehen können, sollte man schon selber wissen, woher sie kommen und warum man gar nicht allein ist, wenn man in gesellschaftlichen Rollen landet, die einen unsicher, ängstlich und einsam machen. Und die zu Verhaltensweisen führen, die regelrecht zerstörerisch sind – für Partnerschaften, Freundschaften, die Familie, sich selbst und – das klingt dann sehr deutlich an – auch die ganze Gesellschaft.
Die Motivation, die Ingrid Brose getrieben hat, das Buch zu schreiben, liegt auf der Hand. Es ist ein Ermunterungsbuch für Frauen, die ihr Leben lang das Gefühl nicht loswerden, ihr eigenes Leben nicht zu leben, immer nur den Erwartungen anderer (vor allem der Männer) genügen zu müssen, sich wahnsinnig anzustrengen und dennoch immer in einer Gefühlsmelasse festzustecken, in der sie sich ausgenutzt, nicht beachtet, nicht geliebt fühlen. Sie können mit ihren Partnern nicht über ihre Bedürfnisse reden, können Probleme und Konflikte nicht ansprechen, oft reicht nicht einmal ein richtiger (Ehe-)Krach.
Was nicht nur an den Frauen liegt. Dass Frauen kein Echo finden, hat ja mit der (anerzogenen) Art von Männern zu tun, Konflikte zu ignorieren und sich beim leisesten Hauch von Kritik in Schweigen und Abwehr einzuigeln. Was auch Gründe hat. Denn Männern wird genau das beigebracht – auch und gerade von Frauen: keine Unsicherheiten zu zeigen, ihr Seelenleben abzukapseln und immer das Bild des Starken und durch nichts zu Erschütternden zu geben.
Von den Männerbildern in Medien, Filmen, Schule und Politik brauchen wir da gar nicht zu reden. Wir bekommen genau die Männer in Führungspositionen, die wir in unserem Erziehungsprozess bevorteilen und bevorzugen: rücksichtslose Egomanen, die weder fähig sind, Fehler zuzugeben, noch die mindeste Bereitschaft mitbringen, ihrem Gegenüber auch nur zuzuhören oder gar eine berechtigte eigene Meinung zugestehen. Und die sich völlig überschätzen und meist auch noch für unfehlbar halten.
So sehen dann auch unsere Talkshows und Bundestagsdebatten aus.
Darüber schreibt Ingrid Brose eigentlich nicht. Aber dem Phänomen begegnet eine Frau ja im ganz realen Leben immer wieder, meistens nach dem ersten Jubeltanz der Hormone, der Frauen sich auch in Typen verlieben lässt, die man mit nüchterner Betrachtung eigentlich meiden würde. Zumindest, wenn einem das Leben lieb ist. Oder wenn man ein bisschen Selbstachtung hat. Aber gegen das Aufwallen der Hormone kann man ja nichts. Das ist unsere Natur. Da geht es nur um Fortpflanzung, nicht um ein gemeinsames Leben.
Aber wenn dieser Überschwall vorbei ist, sollten wir wohl doch lieber vernünftig werden und darauf achten, wem wir uns anvertrauen. Das ist Arbeit. Denn es beginnt mit Selbsterkenntnis. Worauf viele der kleinen Tipps, die Ingrid Brose aufgeschrieben hat, eingehen. Denn wer seine eigene Wünsche, Fähigkeiten und die eigene Kraft nicht kennt, der bleibt ein Leben lang Spielball anderer Leute. Der bleibt manipulierbar.
Und wahrscheinlich liegt man gar nicht falsch, wenn man davon ausgeht, dass sich viele Frauen manipulieren lassen. Eigentlich die meisten. Sonst würden sie sich nicht mit destruktiven Männern abgeben, mit Machos, Narzissten, Egomanen, psychologischen Erpressern. Mit Männern, die weder zuhören können noch Einfühlungsvermögen haben, Empathie nur als eingeübte Show, um die Hübsche herumzukriegen.
Klingt jetzt, als ginge es in dem Buch gegen die Männer. Geht es aber nicht, auch wenn Ingrid Brose davon ausgeht, dass die meisten Männer über Gefühle nicht reden können, in einem Panzer des Schweigens hocken und auf Kritik mit Abwehr reagieren. Auch weil sie für ihr Leben verängstigt sind. Denn die früh antrainierte Aufforderung, immer der Starke sein zu müssen, hat Folgen.
Dann verschließt man nämlich alles, was einen verletzlich macht, tief im Inneren. Und lebt nicht. Das muss einmal gesagt sein. Auch viele Männer leben nicht, trauen sich überhaupt nicht, sich zu öffnen, Vertrauen zu fassen. Die meisten haben auch keine Freunde, sondern nur Kumpel. Und die meisten stecken in Hierarchien, in denen man sich aufbläst, abgrenzt und einem Kerl hinterherlatscht, den alle für die stärkste Wuchtbrumme halten, den tollsten Führer, den es in diesem Sumpfloch zu finden gibt. Auch Männer sind manipulierbar. Jeder ist das, der seine eigenen Stärken nicht kennt.
Und so drehen sich die meisten Tipps, die Ingrid Brose gibt, darum, Frauen zu ermutigen, ihre Stärken zu suchen, sich selbst gutzutun. Denn wer sich nicht selbst liebt, kann auch niemand anderes lieben. Das wusste ja schon ein gewisser Prediger aus Nazareth. Aber auf den hört ja keiner. Schon gar keiner von den Hartgesottenen, die bei uns auf Kanzeln und Podien stehen.
Denn im alten Denken, das immer ein Macht- und Gewalt-Denken war, ist es unvorstellbar, Schwäche zu zeigen, dem (oder der) anderen die andere Wange hinzuhalten: Schau her, ich bin verletzlich. Um das zu können, muss man die eigene Stärke gefunden haben, sich selbst lieben und sich selbst vertrauen. Nicht einmal das schaffen die meisten. Wird ihnen ja auch anders beigebracht in unseren Schulen.
Dort wird bewertet, benotet und verunsichert. Das ganze System ist so angelegt, die eh schon Verunsicherten noch weiter zu verunsichern. Das ist das Gegenteil von „Stärken stärken“, von dem unsere Heißluftballons so gern erzählen. Wer Kinder derart systematisch entmutigt, abwertet und verunsichert, erzeugt genau das, was wir heute haben: eine durch und durch rabiat gewordene Welt, in der sich Verunsicherung und Hilflosigkeit in Aggression austoben.
Erstaunlich. Aber das taucht bei Ingrid Brose so ganz beiläufig auf, ohne dass sie auch nur das kleinste Wort über Politik verliert. Denn es passiert im Kleinen, im Privaten.
„Wer der Verbitterung Raum gibt, wird von ihr verschlungen. Wer nur an Rache denkt, macht sich selbst das Leben zur Hölle. Auch wenn das Vertrauen missbraucht wurde, sollte man die Würde bewahren, weil es auch der heilsame Balsam für die Seele ist.“
Sie schreibt hier vorrangig von Frauen, nicht zu vergessen. Auch Frauen verbittern und vergällen ihr eigenes Leben, wenn sie nicht loslassen können und die alten Verletzungen immer wieder aufreißen, weil sie glauben, da wäre noch etwas abzumachen. Die meisten ahnen nicht mal, wie sie sich da selbst einsperren und was sie sich selbst antun. Und den Menschen, die eigentlich zu ihnen stehen.
Was tun?
Das schildert Brose in vielen ihrer kleinen Ratschläge. Denn das Suchen nach der eigenen Kraft, dem Stolz auf die eigenen Fähigkeiten, der Liebe zum eigenen Lebendigsein mündet irgendwann an dem Punkt, an dem man sich eingesteht, dass man einige Zustände so nicht mehr aushalten möchte. Wer nie über seine Stärken und Wünsche nachgedacht hat, läuft dann möglicherweise Amok, wird zu einem Troll oder einem dieser „besorgten“ Bürger, denen man ansieht, wie verbittert sie innerlich sind. Und wie sie die Schuld an ihrem verkrusteten Leben anderen zuweisen.
Blödsinn, sagt Brose. Für unser Leben sind wir alle selbst verantwortlich. Und wenn wir merken, dass uns ein Verhältnis krank macht, müssen wir es ändern. So fern es sich ändern lässt. Aber versuchen kann man es. Wenn der Partner/die Partnerin noch Liebe im Herzen hat und Mitgefühl, dann hören sie zu und üben, selbst auch über das Problem zu sprechen. Liebe und Vertrauen entstehen durch Sprechen, um das Wissen, dass Nähe auch verletzlich macht. Und dass zu einer Partnerschaft immer zwei gehören. Sonst ist es keine.
Und dann, wenn der oder die andere nicht mitspielen oder Zustände sich nicht ändern lassen?
Dann braucht es Mut. Deswegen ist es so wichtig, sich selbst lieben zu lernen, Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten zu finden und auch so aufzutreten: selbstbewusst, eins mit sich und seinen Wünschen.
Dann traut man sich auch, die Dinge zu tun, die man tun möchte.
„Der Wandel ist die einzige Sicherheit! Alle Begegnungen sind immer in Bewegung, im Fluss und im Wandel. Denn nie kann man in denselben Fluss steigen. Durch Lieben und Loslassen gelangt man zu seelischem Wachstum und persönlicher Reife im großen Fluss des Lebens.“
Muss ich noch sagen, dass das ein Lehrsatz für Eltern sein müsste, von denen die meisten ihren Kindern die Angst vorm Versagen einpflanzen? Die Angst davor, neue Wege zu beschreiten und vielleicht zu scheitern? Eine Angst, die übrigens unser ganzes Land mittlerweile lähmt, weil Wähler/-innen, die Angst vor Veränderungen haben, Politiker/-innen wählen, die diese Angst verkörpern.
Wir sind zu einer Republik der Angsthasen geworden. Und derer, die diese Angst vor Veränderung in Aggression, Groll und Wut verwandeln. All das, was auf kleiner zwischenmenschlicher Ebene geschieht, hat Folgen für die ganze Gesellschaft. Es pflanzt sich über Schulen (die die Versagensängste regelrecht züchten) fort in die Arbeitswelt und die Politik. Und dabei bleibt Brose tatsächlich auf der zwischenmenschlichen Ebene, erzählt von Konfliktlösungsstrategien, die so simpel sind – aber in Menschen, die ihre Gefühle verschlossen haben, regelrecht Panik auslösen.
Was Eltern anrichten, wenn sie „richtige Männer“ erziehen, bekommen all die jungen Frauen zu spüren, die an diesen „richtigen Männern“ dann verzweifeln. „Männer haben vor allem Angst zu versagen“, beschreibt Brose einen dieser anerzogenen Mechanismen. „Männer wollen ihr Bestes geben, wenn sie dadurch die Anerkennung und Liebe einer Frau erlangen können. Ein Mann braucht die Liebe als Antriebskraft für sein Leben. Wird er nicht mehr gebraucht, ist sein Leben leer und sinnlos.“
Sage mal einer unter uns, er sei nicht zu so einem Mann erzogen worden, der glaubt, erst durch Geld und Leistung die Liebe seiner Mitmenschen erringen zu müssen. Der auch noch den übelsten Job annimmt, um das vage Gefühl zu haben, sich sein Leben und die Liebe seiner Frau verdient zu haben.
Und sich dann wundert, wenn die Partnerschaft trotzdem stirbt, erlischt wie eine Kerze ohne Sauerstoff. Denn die simple Wahrheit ist: Wer sich nicht um seiner selbst willen geliebt fühlen kann, kann auch keine Liebe zeigen. Der bleibt verunsichert auch noch dann, wenn er Boss im Laden ist.
Und dieser Trottel verbreitet dann auch noch genau die zersetzenden Sprüche, die unsere Gesellschaft abtöten – dass man sich nämlich alles erst verdienen muss. Das ist der bescheuerte Leistungsträger-Gedanke. Und dass man sich – das ist die gefühllose Rückseite – alles kaufen kann.
Und dabei sollte es doch ein liebes Buch werden, eines, das Frauen ermutigt, sich nicht mehr kaufen und manipulieren zu lassen, sondern ihrer selbst bewusst zu werden und sich selbst zu lieben und zu achten und für liebenswert zu empfinden. Dann tritt man nämlich anders auf. Und man hat mehr vom Leben, weil man mehr Dinge tut, die einem guttun. Und weil man Grenzen setzt gegen Übergriffe und Manipulation.
Und weil man logischerweise auch ein besseres Gefühl für seinen Körper bekommt, sich selbst mehr vertraut und gelassener wird. Selbst beim Sex werden wir ja von den Herren Leistungsträgern geistig manipuliert. Liebe aber hat nichts mit Leistung zu tun. Man darf sogar Fehler machen und dem oder der anderen Fehler zugestehen. Auch so lernt man sich besser kennen. Und lernt auch, dass Vertrauen auch Verzeihen und Verstehen einschließt.
Er sind zwar eigentlich vor allem Tipps für Frauen, denen Ingrid Brose all die Erfahrungen und Einsichten mitgeben möchte, die sie selbst gesammelt hat. Aber Männern dürften die Ratschläge genauso helfen. Wenn sie sich trauen. Und zum Trauen gehört ein gewisses Maß an Selbstvertrauen, darauf, dass man sich nicht gleich in Luft auflöst, wenn man sich mal traut, den eigenen Wünschen nachzuspüren, herauszukriegen, wo wirklich die eigenen Stärken liegen und was einen wirklich glücklich macht im Leben.
Ingrid Brose „Feuerwerk der Lebenslust“, inprint, Erlangen 2019.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 1. November 2019): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.
Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 400 Abonnenten.
Keine Kommentare bisher