Es gibt eine Welt dazwischen โ zwischen Sprache und Musik. Eine sehr faszinierende Welt, wenn man sich wirklich einmal damit beschรคftigt. So, wie es einige Dichter und Dichterinnen im 20. und 21. Jahrhundert schon getan haben. Und ebenso einige Musiker. Der berรผhmteste ist ja Kurt Schwitters, dessen โursonateโ die Sprechbohrer, ein SprachKunstTrio aus Kรถln, natรผrlich auch schon aufgenommen haben auf CD. Aber sie wollten mehr.
Denn die drei Musiker Sigrid Sachse, Harald Muenz und Georg Sachse haben Spaร an diesen Ausflรผgen in ein Reich, in dem Sprache ihre Ab- und Untergrรผnde offenbart. Oder besser: offenbaren kann. Denn beide Seiten tendieren doch eher zum Gelernten, Tradierten und Gewohnheitsmรครigen, Dichter wie Komponisten.
Weshalb auch in den in diesem Buch versammelten Beitrรคgen der kleine Seitenhieb nicht fehlt gegen die weltweit aus dem Boden schieรenden Autorenschulen an Hochschulen, meist betitelt als Creativ Writing, auch wenn es dort zumeist um das Vermitteln von Schreibstandards geht.
Was ja wichtig ist, denn obwohl im schulischen Literaturunterricht alles Mรถgliche gepaukt wird von Novelle bis Sonett, kommen die Kinder dort fast nie mit wirklichen Schreibtechniken in Berรผhrung. Bleiben also ihr Leben lang gefangen in Unsicherheit. Wer die Techniken nicht beherrscht, wird nie ein souverรคner Autor.
Aber: Es fehlt ihm auch die Basis, Neuland zu erkunden. Denn wer die Standards nicht kennt, kennt auch die Bausteine nicht. Und so fehlen ihm oder ihr die Voraussetzungen zum De-Konstruieren und Neubauen. Obwohl wir mittlerweile echte Klassiker der beherzten Dekonstruktion haben โ von Christian Morgenstern und Hans Arp bis Ernst Jandl und Oskar Pastior.
So von der literarischen Seite betrachtet. Von der musikalischen her sind es Leute wie eben Kurt Schwitters und Gyรถrgi Ligeti. Und damals, als Helmut Heiรenbรผttel noch Redakteur beim Sรผddeutschen Rundfunk war, fanden diese Sprach-Kompositionen sich auch in Radio-Essays und klassischen Aufnahmen im Radio-Programm.
Das ist lange her. Auch wenn Heiรenbรผttel noch der Meinung war, es wรคre eigentlich der Anfang. Da kรคme nun noch mehr. So, wie die Musikkritiker geradezu euphorisch reagieren, wenn wieder einmal eine Oper eines zeitgenรถssischen Komponisten aufgefรผhrt wird an einem deutschen Opernhaus. Nur das Publikum rennt dann meistens weg.
Aber wie ist das nun mit der Autorenmusik, die die Sprechbohrer seit 2007 nicht nur im Studio zelebrieren, sondern auch bei Auftritten, von denen das Publikum tatsรคchlich begeistert ist? Ihr Vorteil ist: Sie mรผssen keine Erwartungen bedienen. Im Gegenteil: Das Publikum, das zu ihren Vorstellungen kommt, ist vorbereitet und erwartet genau das: Dass drei Profis mit extra angefertigtem Sprach-Material souverรคn umgehen. Wobei die Erkennbarkeit flieรend ist, was die beiden Teile von โAutorenmusikโ in diesem Sammelband sichtbar machen.
Denn die drei Interpreten wollten nicht immer nur eigene Stรผck neu konzipieren. Sie wollten auch einmal mit gestandenen Autorinnen und Autoren zusammenarbeiten und in Werkstรคtten mit ihnen gemeinsam neue Stรผcke entwickeln. Die beigelegte CD enthรคlt alle Stรผcke, die in der zweiten Autorenmusik-Werkstatt entstanden, Stรผcke, die zeigen, dass auch Autoren ihre Grenzen haben, selbst experimentierfreudige wie Barbara Kรถhler.
Denn wer mit Sprache umgeht, muss fรผr sich auch immer die Frage klรคren: Wie verstรคndlich will ich sein? Wie wichtig sind mir Botschaft und Erhรถrtwerden? Und selbst wenn einer sagt โIch bin mutigโ, kann er (oder sie) seine Grenze dort haben, wo Worte drohen, sich aufzulรถsen in Laute.
Gerade das, was die Sprechbohrer so lieben, weshalb sie auch das Internationale Phonetische Alphabet (IPA) so mรถgen, mit dem sich jeder beliebige Laut in jeder bekannten Sprache der Erde darstellen lรคsst. Und damit auch jeder Laut in der tatsรคchlich gesprochenen deutschen Sprache, die sich oft erheblich von dem unterscheidet, was geschrieben steht.
Vokale werden in unterschiedlichen Wortzusammenhรคngen unterschiedlich ausgesprochen, Silbenbetonungen verรคndern ganze Wortbedeutungen, Abschleifungen fรผhren hinein in die Welt der Dialekte (wie hier an einem Beispiel des Rheinischen).
Autoren ist oft nur zu sehr bewusst, wie stรถrend dialektale Fรคrbungen fรผr das Verstรคndnis von Gesprochenem sein kรถnnen. Andererseits sind diese Fallgruben auch Fundgruben, bieten reichlich Material zum Sprachspiel โ das in einigen Stรผcken auch in Nachbarsprachen wie das Englische abgleitet.
Sprechbohrer: Merseburger Zauberspruch 2
Und trotzdem ist es ein konfliktreiches Feld, was schon in den Essays in diesem Band deutlich wird, denn selten begegnen sich Komponisten und Dichter zur produktiven Auseinandersetzung mit Sprache. Und wenn sie sich begegnen, merken gerade die Dichter, dass Musiker vรถllig anders ticken. Denn auf einmal wird eine genaue Notation verlangt zu Rhythmus, Sprachhรถhe und genauer Aussprache.
Alles Dinge, die selbst vortragende Dichter nie aufschreiben. Warum auch? Sie wissen doch, wie sie ihre eigenen Texte sprechen mรถchten. Interpretation ist doch ein Lebenselexier. Was jeder weiร, der ins Theater geht: Da leben selbst die ausgelatschtesten Monologe davon, wer sie auf der Bรผhne wie vortrรคgt.
Scheinbar also etwas ganz รhnliches wie bei der Interpretation von Kompositionen durch Orchester. Das Kunstwerk entsteht erst auf der Bรผhne. Und man kann durchaus noch einmal aufmerken, wenn man erfรคhrt, dass auch das Komponieren eine lange Geschichte hat und erst in der Gegenwart zu einem Anweisungsapparat geworden ist, der den Musikern und Dirigenten eine klare Interpretationsvorgabe macht.
Logisch, dass einige der eingeladenen Autoren erwarteten, die Sprechbohrer wรผrden aus ihren Texten schon irgendwas machen. Aber die verwahrten sich. Komponieren ist nรคmlich Sklavenarbeit. Und so wurden die Werkstรคtten zu einer Art Lernprozess, in dem vor allem die eingeladenen Autoren lernten, ihren Texten ein Mindestmaร an Interpretationsschema mitzugeben.
Und im Dialog dann auch noch lernten, all die unklaren Stellen zu erklรคren, die fรผr sie gar nicht unklar waren, weil sie ja ihr eigener Interpretator sind. Aber die Sprechbohrer, die die Stรผcke ja dann mit einem professionellen Instrumentarium auf der Bรผhne auffรผhren, wollten das alles dann doch genau wissen โ mitsamt den (verborgenen) Absichten der Autoren. Was dann bei dem einen oder anderen Stรผck doch noch zu deutlichen Verรคnderungen fรผhrte.
Das Ganze ist natรผrlich ein kleines Abenteuer fรผr alle Leser (und Zuhรถrer), die zumindest wissen, was fรผr ein Spaร der bewusste Umgang mit Klang- und Anklangmaterial unserer Sprache sein kann. Wie Sprache aber auch zu einem verwirrenden Klangteppich werden kann, wenn die gewohnte Linearitรคt durchbrochen wird oder gar Simultanitรคt dazu fรผhrt, dass man sich auf das (vielleicht) noch Verstรคndliche nicht mehr konzentrieren kann.
Was dann wieder verblรผffend so manchem Erlebnis aus einer Wirklichkeit รคhnelt, in der ja auch alles simultan passiert, in einem Teppich der kommunikativen Signale, Gesprรคchsfetzen und der sich รผberlappenden Botschaften. Nur dass wir gewohnt sind, das einfach auszufiltern und zu einem nicht mehr analysierten Hintergrundgerรคusch verschmelzen zu lassen.
Was nicht jedem Neuzeitbรผrger gelingt, gerade wenn es โ etwa in Straรenbahnen, Geschรคften, Theaterfoyers oder auf Marktplรคtzen โ zur regelrechten รberforderung wird und man verzweifelt versucht, die Klรคnge herauszufiltern, die einem jetzt wirklich wichtig sind.
Logisch, dass die Auffรผhrungen der Sprechbohrer dann auch in gewisser Weise fรผr das Publikum anstrengend werden. Aber das Publikum kommt ja genau deshalb, auch weil es durchaus ein sinnliches Vergnรผgen sein kann, nicht nur den untergelegten Text zu entziffern, sondern auch die Regeln, nach denen er ent-normt wurde, verarbeitet zu einem Gespinst, das tatsรคchlich in jenem nicht gerade kleinen Zwischenreich landet, das sich zwischen normierter Musiktradition und klassischer Literaturnorm befindet.
Ein Zwischenreich, in das sich โ trotz Schwitters und Kollegen โ bislang doch recht wenige Forscher vorgewagt haben. Denn natรผrlich steht dort sofort die Frage: Fรผr wen ist man dort unterwegs und wie (be-)greifbar sind die Ergebnisse noch fรผr das Publikum, selbst dann, wenn es aufgeschlossen und vorbereitet ist? Erwartet es nicht doch wieder etwas Verstehbares? Fassbares? Etwas, was das Zeug hat, zum Klassiker des gemeinsamen Hรถrens zu werden?
Die Frage bleibt. Erst recht, wenn man die Beitrรคge der Autor/-innen selbst gelesen hat, in denen sie ihre Herangehensweise schildern, wie sie den Stoff fรผr โAutorenmusik IIโ erarbeitet haben. Indirekt kreisen sie weiter um die Grundelemente โWelche Geschichte erzรคhle ich?โ und โWelche Semantik hat mein Stoff?โ (Florian Neuner). Was selbst schon Raum genug ist fรผr immer neue Erkundungen. Denn Semantik kann doppelbรถdig sein, abgrรผndig und verfรผhrerisch (hier am Sumpf-Motiv durchexerziert). Sie kann auch erheitern, erhellen, die ganze spielerische Verwegenheit von Sprachmaterial sichtbar bzw. hรถrbar machen.
Die Essays deuten zumindest an, dass dieses Feld nach wie vor ein weitgehend unbetretenes Land ist, eher eine groรe terra incognita als ein tatsรคchlich erkundetes Zwischenreich. Vielleicht gibt es da tatsรคchlich noch viel zu tun. Auch zur Aufklรคrung all jener Autoren, die nicht einmal ahnen, auf welch diffusem Grund sie unterwegs sind โ oft genug gedankenlos und ohne ein Gespรผr fรผr das, was erst durch lauter strenge Regeln zu einer leidlich normierten Sprache wird, in der ein groรer Teil der Informationen stets untergrรผndig mitklingt und mitschwingt.
Harald Muenz, Florian Neuner (Hrsg.) Autorenmusik, mit Audio-CD, Reinecke & Voร, Leipzig 2019, 19,90 Euro.
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