Ich hรคtte mich ja gern korrigiert und geschrieben: Das Leipziger GroรŸbรผrgertum war gar nicht so. Es war kunstaffin und weltaufgeschlossen und hatte auch ein Herz fรผr moderne Kunst. Doch dieser Begleitband zur Ausstellung โ€žImpressionismus in Leipzigโ€œ, die seit Sonntag, 24. November, im Museum der bildenden Kรผnste zu sehen ist, รถffnet zwar einen neuen, viel breiteren Blick auf die Zeit zwischen 1900 und 1914. Aber er zeigt auch, wie damals die Bruchlinien verliefen.

Der ganze Band ist sowieso Ergebnis emsiger Recherchen, die so umfassend bislang noch niemand zur Ankaufpolitik des Museums der bildenden Kรผnste und seines Trรคgervereins, des Kunstvereins Leipzig, angestellt hat.

Vier profunde Beitrรคge im Band beschรคftigen sich einerseits mit der Leipziger Rezeption der drei groรŸen deutschen Impressionisten Liebermann, Slevogt und Corinth in den Jahren 1900 bis 1914, mit der Ankaufpolitik des Museums selbst zwischen 1896 und 1916, aber auch mit dem Nachweis von Bildern impressionistischer Kรผnstler in den Leipziger Privatsammlungen dieser Zeit und zuletzt auch noch der Etablierung der Leipziger Jahresausstellungen, in deren Umfeld die Interessen der verschiedenen Leipziger Kunst- und Kรผnstlervereinigungen aufeinanderprallten und die Krรคfteverteilung zwischen Traditionalisten und Modernen erst so richtig offenlegten.

Zwischengeschaltet sind farbige Bilderstecken, die den vielen (eher kleinen) Impressionismus-Ausstellungen im Bildermuseum am Augustusplatz ein Gesicht geben. Man kann also quasi 100 Jahre zeitversetzt noch einmal durch diese Ausstellungen spazieren, die zum GroรŸteil auch Verkaufsausstellungen waren. Und das Museum unter der Leitung von Theodor Schreiber kaufte tatsรคchlich einige wenige Bilder an โ€“ darunter zwei groรŸe Werke von Max Liebermann, der unter den drei groรŸen deutschen Malern, die hier dem Impressionismus zugeordnet werden, in Leipzig auch den grรถรŸten Anklang fand.

Wie diese Ausstellungen genau organisiert wurden und welche Rolle dabei groรŸe Galeristen (wie Cassirer in Berlin) spielten, erzรคhlt Marcus Andrew Hurttig erstmals recht anschaulich und mit Quellen gespickt, berรผhrt auch die Frage, warum das Museum nicht einfach zuschlug und ankaufte, was da wie von allein nach Leipzig gelangt war. Aber es war damals wie heute: Der Ankaufetat war denkbar klein. Fรผr groรŸe Neuanschaffungen reichte er eigentlich nicht, sodass Schreiber immer wieder auf die Hilfe des Kunstvereins und seiner zumeist reichen Mitglieder zurรผckgreifen musste, wenn er wirklich einmal ein bedeutendes Werk fรผr die Sammlung erwerben wollte.

Aber gerade in dieser Zeit stand ein anderer Name ganz oben bei den Anschaffungsprioritรคten des Hauses: Max Klinger, von dem gleich zwei groรŸe Kunstwerke mit emsiger Sammlung unter den Mitgliedern des Kunstvereins angeschafft wurden: die berรผhmte Beethoven-Skulptur, die รผber Jahre andere Anschaffungswรผnsche des Museumsdirektors blockierte, und โ€žDie blaue Stundeโ€œ.

Denn dass Schreiber kein Verstรคndnis fรผr die modernen Kunststrรถmungen gehabt hรคtte, kann Birgit Brunk in ihrem Beitrag zur Ankaufspolitik so nicht bestรคtigen. Aber er war auf das Verstรคndnis der Mitglieder des Kunstvereins angewiesen und ihre Bereitschaft, bei den vielen kleinen Ausstellungen im Bildermuseum zuzuschlagen und wichtige Bilder zu erwerben. Doch genau das passierte wohl eher nicht. Mit dem Leipziger Max Klinger konnten sie sich noch anfreunden. Die Ausstellungen der Impressionisten (spรคter auch der franzรถsischen Vorbilder) besichtigten sie wohl mit demselben Interesse wie Sachsens Kรถnig Albert. Aber sie kauften nichts.

Sodass eigentlich nur ein Weg blieb: Dass die Bilder der Impressionisten รผber Spenden und Nachlรคsse ins Museum kamen. Auch damals kamen die meisten Neuerwerbungen nicht รผber Ankรคufe, sondern รผber solche Spenden ins Haus. Und das ist dann das Thema von Dietulf Sander, der sich intensiver mit den bรผrgerlichen Privatsammlungen dieser Zeit beschรคftigt hat.

Denn wer in Leipzig Rang und Namen hatte als erfolgreicher Unternehmer, der legte sich in der Regel auch eine private und vor allem prรคsentable Kunstsammlung an. Oder kaufte mit Beginn des 1. Weltkrieges ganze Kataloge leer wie die Bleichert-Brรผder. Da hing dann Corinths โ€žHomerisches Gelรคchterโ€œ tatsรคchlich im Wohnzimmer der Bleicherts in ihrem Landhaus in Klinga.

Und auch der Kaufhausgrรผnder Moritz Ury, der Musikverleger Henri Hinrichsen und Verlagsbuchhรคndler Gustav Kirstein sammelten und in diesem Fall auch ganz bewusst moderne Kunst. Sie wollten nicht nur zeigen, dass sie das Geld dazu hatten, sie wollen auch zeigen, dass sie in Sachen Kunst auf der Hรถhe der Zeit waren. Aber praktisch fรผr alle groรŸen Privatsammlungen dieser Zeit muss Sander feststellen, dass sie Leipzig wieder verloren gegangen sind โ€“ entweder in der Weltwirtschaftskrise (wie bei den Bleicherts) oder dann durch die Enteignungspolitik der Nationalsozialisten (wie bei den genannten jรผdischen Unternehmen). Das heiรŸt: Sie sammelten sehr wohl impressionistische Kunst, aber das eben abseits des am Ende doch eher konservativ eingestellten Kunstvereins.

Der Riss ging also mitten durch das Leipziger GroรŸbรผrgertum, machte einerseits ein modern eingestelltes und weltoffenes Bรผrgertum sichtbar, das sehr wohl auch fรผr moderne Kunst ein Auge hatte, und gleichzeitig ein eher verschlossenes, sehr traditionelles Bรผrgertum, das auch zum Trรคger eines Konflikts werden konnte, wenn ihm eine Entwicklung auf dem Kunstmarkt zu weit ging.

Und das war in den Jahren 1910 bis 1913 der Fall, รผber die Conny Dietrich schreibt, die zwar vom Leipziger โ€žKรผnstlerkriegโ€œ schreibt, weil vor allem die Interessen der Leipziger Kรผnstlerverbรคnde aufeinanderprallten, die um ihren Einfluss auf die zunehmend erfolgreicheren Leipziger Jahresausstellungen kรคmpfen.

Aber in Wirklichkeit waren die Leipziger Streitigkeiten kein Einzelfall, wie Dietrich schreibt: โ€žVielmehr spiegeln sie den seit Ende des 19. Jahrhunderts รผberall im Kaiserreich mehr oder weniger heftig ausgetragenen ,Kampf um die Moderneโ€˜ wider, dem kรผnstlerisch-รคsthetische Konflikte, aber auch die Verteidigung wirtschaftlicher Interessen, die Durchsetzung von Mitspracherechten, ร„ngste vor auslรคndischer, vor allem franzรถsischer Konkurrenz und damit Fragen von Liberalitรคt und Abschottung zugrunde lagen.โ€œ

Und wรคhrend die Jahresausstellungen zunehmend auch รผberregional Aufmerksamkeit und Erfolg fanden, spitzte sich der Konflikt bis in den Leipziger Rat zu, wo sich quasi stellvertretend in der Frage der Kunst der Konflikt zwischen konservativem und fortschrittlichem Bรผrgertum entlud, oder mit Conny Dietrichs Worten, es โ€žeskalierten die Auseinandersetzungen zwischen den konservativen, lokalpatriotischen und den modern orientierten, weltoffenen Krรคften abermals.โ€œ

Sodass Leipzig โ€“ neben Berlin und Dresden โ€“ zwar durchaus ein Ort war, der den impressionistischen Malern eine gute Plattform fรผr die Vermarktung darstellte, einige private Sammler kauften auch ihre Bilder. Aber letztlich sorgte das โ€žlokalpatriotischeโ€œ Bรผrgertum dafรผr, dass die Spielrรคume fรผr die modernen Kunststrรถmungen eher begrenzt blieben und die Konflikte auch in der Nachkriegszeit nie beigelegt wurden. Und eben auch entsprechend wenige Bilder der Impressionisten in den Bestand des Bildermuseums fanden. In der NS-Zeit wurden sogar wieder welche verkauft, weil sie jetzt als โ€žnicht sammelwรผrdigโ€œ bezeichnet wurden.

Wobei wir im Wesentlichen nur etwas รผber die drei GroรŸen โ€“ Liebermann, Slevogt und Corinth โ€“ erfahren, nur da und dort fallen dann die Namen jรผngerer und unbekannterer Impressionisten aus ihrer Zeit. Was natรผrlich das nรคchste Forschungsfeld erรถffnet: Gab es denn damals in Leipzig bzw. Sachsen auch eine impressionistische Malerszene? Und wenn ja: Wo sind ihre Arbeiten und Nachlรคsse abgeblieben? Oder hatten sie gar keine Chance, weil sich in dieser Zeit ausgerechnet der Expressionismus in Sachsen vehement zu Wort meldete? Eine Strรถmung, in die sich ja bald auch der Leipziger Max Beckmann einreihen wรผrde, der 1909 noch sehr konventionell und ein bisschen impressionistisch malte.

Marcus Andrew Hurttig; Alfred Weidinger Impressionismus in Leipzig, E.A. Seemann Verlag, Leipzig 2019, 30 Euro.

Wie ging das Leipziger Bildermuseum eigentlich mit den deutschen Impressionisten um?

Wie ging das Leipziger Bildermuseum eigentlich mit den deutschen Impressionisten um?

 

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