In Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen, lebt Kirstin Ballhorn seit 2006 mit ihrer Familie in Neuseeland. Seit 2009 veröffentlicht sie Kinderbücher. Richtige Kinderbücher – ganz einfache, deren Helden die Tiere der neuseeländischen Fauna sind. Und die erleben ganz einfache Abenteuer, in denen aber all das steckt, was Menschenkinder so alles lernen können, wenn es ans richtige Leben geht. In diesem Buch: Wie findet man eigentlich Freunde? Wie geht das?
Wer meint, das alles sei ganz pipileicht, das lerne man im Schlaf oder das komme ganz von allein, der schwindelt sich selbst die Taschen voll. Es ist nicht leicht. Und Eltern, die Kinder in diesem Alter haben, wissen, was für Dramen sich da abspielen, wie das ganze kleine Selbst immerfort infrage gestellt wird, in Nöte kommt und verzweifeln will an der Welt. Und auch an den Altersgenossen.
Denn die gehen mit dem kleinen Pinguin Ben ganz und gar nicht freundlich um. Sie haben nämlich schon verinnerlicht, was eben leider auch Menschenkindern früh beigebracht wird: Dass nur Leistung zählt, dass das Leben ein einziger Wettbewerb ist und jeder immer besser sein muss als die anderen. Und dass die, die nicht mithalten können, auch nicht mehr mitspielen dürfen.
Erstaunlich, aber das scheint in Neuseeland genauso zu sein wie in Deutschland. Die Seuche hat den ganzen Erdball im Griff. Und sie sorgt überall dafür, dass die kleinen und nicht so schnellen Bens nicht (mehr) mitspielen dürfen.
Mit diesen arroganten Pinguinen würde ich auch nicht spielen wollen. Erst recht nicht, als Ben sie dann tatsächlich um Hilfe bittet, weil der kleine Delfin Finn in der Unterwasserhöhle eingesperrt ist. Was sagen diese Biester da? – „Lass uns in Ruhe!“
Das klingt irgendwie sehr bekannt. Solche Leistungspinguine gibt es augenscheinlich überall. Sie wollen unter sich bleiben, auch dann, wenn sie erfahren, dass jemand Hilfe braucht.
Und was tut Ben, der sich von Anfang an anders verhalten hat, obwohl er den Delfin doch vorher gar nicht kannte? Er sucht weiter nach Tieren, die ihm helfen können. Aber irgendwie haben all die Tiere, die in Schwärmen und Scharen herumschwimmen, überhaupt keine Lust, hilfsbereit zu sein – die Schildkröten genauso wenig wie die Fische.
Eigentlich das schon eine kleine, beherzigenswerte Botschaft: In Schwärmen findet man keine Freunde. Da sind nur alle gleich und alle tun und sagen dasselbe, aber nach außen hin sind sie abweisend, wollen unter sich bleiben. Das nennt man dann wohl Schwarmmentalität. Von Schwarmintelligenz kann man da wirklich nicht reden. Schon gar nicht, wenn man außen steht und merkt, dass man nicht dazugehören darf.
Die Hilfe, die er braucht, findet Ben dann bei Robbe Robby. Denn Robby ist ein wenig wie Ben: Ihn lassen die Sorgen anderer nicht kalt. „Was ist los“, fragt er. Sofort bereit, wenigstens mal zuzuhören, was den kleinen Pinguin so in Sorge versetzt hat. Und wer zuhört, begreift auch bald, wo das Problem liegt. Und wer das Problem kennt, der weiß auch, wie man nach einer Lösung suchen kann.
So kommen zwei, die sich vorher gar nicht kannten, dazu, gemeinsam etwas zu unternehmen. Das ist vielleicht noch keine Freundschaft. Aber so fangen Freundschaften an: Jemanden zu finden, mit dem man zusammen etwas auf die Beine stellt. Das Buch ist für Kinder ab 5 Jahre gedacht. Das ist vielleicht wirklich genau das Alter, in dem man das lernen kann. Sich nicht der Gruppe anzuschließen, in der alle immer dasselbe machen, weil man nur so zur Gruppe gehören darf. Sondern sich Freunde (und Freundinnen) zu suchen, mit denen man auch mal was anderes machen kann.
Wo man sich gegenseitig ermuntert beim Ausprobieren und Die-Welt-Kennenlernen. Und damit auch lernt, dass man noch gar nicht klug und allwissend sein muss, um von einem Freund toll gefunden zu werden. Denn der freut sich oft schon, wenn er merkt, dass es dem anderen genauso geht. Dass sich beide dieselben Fragen stellen und dieselben Dinge zum ersten Mal ausprobieren. Und dass man selber mehr Zutrauen gewinnt, wenn man merkt, dass noch einer da ist. Und dass es, wenn es mal nicht klappt, kein Geschimpfe, kein Gehöhne und keine Häme gibt.
Schwer vorstellbar, nicht wahr? In unserer Welt, in der das Verhöhnen, Beschämen und Erniedrigen bei lauter Erwachsenen sogar der normale Umgangston zu sein scheint.
Kann es sein, dass alle diese Erwachsenen nie gemerkt haben, was wirklich Freundschaft ist? Dass sie deshalb so wüten und dissen? Um die eigene Verzweiflung zu überschreien, dass sie sich von niemandem wirklich gemocht fühlen?
Denn – siehe oben: Im Schwarm findet man nun einmal keine Freunde.
Ben findet in dieser Geschichte sogar gleich zwei. Denn nicht nur Robby wird zu einem Kumpel, mit dem er gemeinsam eine richtige Rettungsaktion starten kann. Auch der kleine Delfin Finn, den sie retten, bekommt auf einmal gleich zwei richtige Freunde. Und er gibt auch zu, dass er sich genauso wie Ben in der Höhle verkrochen hat, weil niemand mit ihm spielen wollte.
Das geht wohl vielen Kindern so, Menschenkindern ganz besonders. Und man lernt es nun einmal nicht von allein, wenn einem in der Welt da draußen immerfort erzählt wird, dass man sich einfügen soll und genauso sein wie die anderen im Schwarm. Und dass man erst mal was leisten muss, um vom Schwarm anerkannt zu werden.
Warum eigentlich?
Freunde findet man so wirklich nicht. Freunde findet man, wenn man so wie Ben und Robby auch den Kummer der anderen wahrnimmt und bereit ist, einfach zu helfen. Einfach mal zu zeigen, was man selber bewirken kann. Oder eben wie Ben einfach losschwimmt und nach denen sucht, die ohne großes Palaver bereit sind zu helfen. Schon das Losschwimmen ist ja etwas, das einen von den Schwarmfischen unterscheidet. Man packt das Problem beim Schopf und sucht Leute, die sich ebenfalls nicht von Schwärmen kirre machen lassen, sondern findet – wie Robbe Robby: Leben heißt anpacken, selbst was unternehmen, andere nicht hängenlassen.
Denn dafür gibt’s Belohnung: Eine richtige Gefühlsdusche aus Freude, wenn man wirklich helfen konnte. Und dann auch noch einen neuen Freund dazubekommt. Mit dem man durch dick und dünn gehen kann.
Und das zum ersten Mal zu erleben, dazu ist diese verrückte Kindheit da, in der man es ausprobieren kann. Und manchmal werden Freundschaften fürs Leben draus. Bei Ben, Finn und Robby ganz bestimmt. Die brauchen diese eingebildeten Typen aus der Leistungsgruppe nicht mehr.
Ganz schön viel, was in so einem ganz einfachen Kinderbilderbuch versteckt ist. Und da, wo es richtig aufregend wird, da bleibt auch Kirstin Ballhorn die Sprache weg. Da fehlen einem nämlich im richtigen Leben die Worte.
Kirstin Ballhorn Ben gibt nicht auf!, Lychatz Verlag, Leipzig 2019, 9,95 Euro.
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