Ein Zeitalter geht zu Ende, auch für die Ordensschwestern von der heiligen Elisabeth. In Halle haben sie noch ein Ordenshaus. Aber es ist absehbar, dass auch hier die letzte Generation der Grauen Schwestern lebt, wie sie vor 150 Jahren nach ihrer grauen Kopfbedeckung genannt wurden. Zwei Jahre lang haben der Fotograf Marco Warmuth und die Autorin Tina Pruschmann die Ordensschwestern in Halle immer wieder besucht.
Sie haben auch mit zugepackt, sind auch nach Kiel gefahren, um dort beim Ausräumen eines geschlossenen Ordenshauses zu helfen. Und vor allem hat Pruschmann immer wieder mit den Schwestern gesprochen. Diese Interviews sind der Kern des Buches, eher ungewöhnliche Interviews, weil den Schwestern die Eitelkeit der Welt eher fremd ist. Beim Eintritt in den Orden haben sie nicht nur Keuschheit gelobt, sondern auch Armut und Gehorsam.
Was nur auf ersten Blick fremd wirkt und natürlich die Frage aufwirft: Warum gingen so viele Frauen damals in so einen katholischen Orden? Die meisten der Porträtierten sind heute hochbetagt. Aber sie waren 18, 19, 22 Jahre alt, als sie sich für den Orden entschieden. Einige hatten vorher auch schon Berufe erlernt. Aber alle eint der Wunsch, sich nicht nur mit diesem Schritt Gott anzuvertrauen, sondern vor allem Gutes tun zu wollen. Die meisten haben deshalb auch früh schon soziale Berufe erlernt, wurden Krankenschwester, Trauerbegleiterin, Kindergärtnerin. Allen war bewusst, dass der Eintritt in diesen Orden mit Abgeschiedenheit nicht viel zu tun haben würde.
Denn gegründet wurde der Orden von der heiligen Elisabeth 1842, um karitativ tätig zu werden. Anfangs direkt in den Wohnungen der Armen und Kranken. Später auch in eigenen Häusern. Wer dem Orden beitrat, lernte einen Beruf und wurde dort hingeschickt, wo Hilfe gebraucht wurde. Und diese Hilfe wurde auch nach dem 2. Weltkrieg gebraucht. Das Land war voller Witwen, Waisen und Kriegsversehrter. Und die Ordensschwestern wurden gebraucht. Der Eintritt in den Orden bedeutete nicht nur eine berufliche Perspektive und eine Gemeinschaft, die auch in vielem den Wunsch nach eigener Familie ersetzte. Er bedeutete für die damals jungen Frauen auch die Unterordnung unter das Gebot der steten Bereitschaft zum Helfen, dort hinzugehen, wo sie gebraucht wurden.
Deswegen haben einige der Schwestern auch schon weite Wege durch das Land durch andere Niederlassungen des Ordens hinter sich. Nur einige wenige waren ihr ganzes Erwachsenenleben in Halle.
Und natürlich fragte Pruschmann auch, ob sie dabei glücklich waren, ob sie die Entscheidung, sich so für immer und ewig für den Orden zu entscheiden, bereuten. Und eigentlich bereut es wirklich keine. Einige betonen sogar, dass sie sich ganz bewusst für die Laufbahn als Ordensschwester entschieden haben, manch eine fühlte sich sogar regelrecht berufen, „gottgewollt“.
Das Erstaunliche ist eigentlich: Fast jede der Interviewten hat eine Geschichte als Flüchtlingskind. Insbesondere das katholische Schlesien und das Ermland in Ostpreußen tauchen immer wieder auf. Kann es sein, dass gerade solche Erfahrungen früher Not dazu führen, dass Menschen mehr Sinn für die Nöte und Leiden anderer entwickeln? Auch bereit sind, sich selbst dabei zurückzustellen und im Dienstbarsein ihre Erfüllung finden?
Das Buch ist ja in gewisser Weise ein Abschiedsbuch. Auch die Hallenser Ordensschwestern sind oft schon über 80 Jahre alt, haben oft 50, 60 Jahre Arbeit hinter sich. Manche kann selbst mit über 90 nicht stillsitzen, will helfen – und wenn es nur beim Möhrenschälen in der Küche ist. Arbeit ist nichts Feindseliges, sondern etwas, das das eigene Leben mit Sinn erfüllt. Etwas, was auch stärkt, wenn die Hilfe – etwa in der Palliativstation – angenommen wird und die Patienten sich öffnen fürs Gespräch.
Warmuths Fotos sind eine sehr lebendige Auswahl aus über 2.500 Aufnahmen, die in dieser Zeit entstanden sind, und in denen er die porträtierten Ordensschwestern an ihrem Arbeitsort, manchmal auch in ihren Zimmern fotografiert hat. Manchmal auch beim fröhlichen Luftballonsteigenlassen, wenn sie Ballons mit Segenswünschen für die neugeborenen Kinder in den Himmel schicken. Christliche Feiertage sind die Höhepunkte in ihrem Leben. Und wenn runde Jubiläen gefeiert werden, kommen auch die Verwandten, um mitzufeiern. Denn die Verbindungen „nach draußen“ wurden ja nicht gekappt, auch wenn die Zeit, die dafür übrig bleibt, denkbar knapp ist.
Auch heute helfen die Schwestern noch dort, „wo die Not am größten ist“, auch wenn das in der Regel nicht mehr die Stationen im Krankenhaus sind, eher die Seelsorge in der Haftanstalt oder der Mittagstisch für Arme und Bedürftige, den sie seit einigen Jahren anbieten. Deutschland ist zwar kein Land in Not mehr – aber die Armen und Bedürftigen, die sich über ein kostenloses warmes Essen freuen, gibt es immer noch.
Überflüssig wäre so ein Orden heute eigentlich nicht. Aber die Zeit der vielen Ordenseintritte liegt nun tatsächlich über 60 Jahre zurück, in einer Zeit, als es deutlich mehr Kinder gab. Möglicherweise liegt es genau daran. Wo es weniger Kinder gibt, gibt es auch kaum noch junge Menschen, die das Bedürfnis haben, sich in einem Orden einzubringen. Sie werden auch so schon in allen Bereichen gesucht – auch in den karitativen, die meist auch eine professionelle Ausbildung brauchen.
An anderen Orten der Welt wird das Wirken des Ordens noch immer dringend gebraucht. Ein Beispiel aus dem russischen Nowosibirsk bekam ein Kapitel im Buch. Kurze Kapiteleinleitungen erzählen die wichtigste Stationen des Ordens.
Aber den größten Teil des Buches nehmen natürlich die Fotos ein, in denen Marco Warmuth versucht, den Alltag der Ordensschwestern einfühlsam ins Bild zu setzen und damit ihre Geschichte fürs Auge mitzuerzählen. Es ist ein eher stilles Leben, das man kennenlernt, strukturiert durch Andachten, Gebete und die tägliche Arbeit. Eine Welt, die zeigt, wie sehr sich Menschen auch persönlich zurücknehmen können, wenn sie in der Hilfe für andere den Lebenssinn finden.
Dass die Schwestern auch zuweilen hadern und ihre eigenen Krisen hatten, wird auch thematisiert. Tina Pruschmann ist es augenscheinlich gelungen, diese zurückhaltenden Schwestern dazu zu bringen, auch über manche Dinge zu reden, die sie sonst eher mit sich allein oder im Zwiegespräch mit Gott ausmachen. Aber selbst das zeigt, in was für einer lauten und ruhelosen Welt wir für gewöhnlich leben, als würden wir nimmer satt noch glücklich noch zufrieden. Als wäre uns der Weg versperrt in ein dankbares Leben. Das zumindest klingt immer wieder an: Keine der Porträtierten bereut ihr Leben im Orden, eher trägt sie alle eine nüchterne Gelassenheit, die Dinge zu tun, die getan werden müssen. Zutiefst zuversichtlich, dass sie auch Aufgaben meistern werden, mit denen sie noch nie zu tun hatten.
Diese Zuversicht fehlt uns „hier draußen“ zuweilen. Vielleicht wirkt dieser Besuch im Ordenshaus deshalb so seltsam beruhigend. Man braucht eigentlich nicht allzu viel, um ein glückliches Leben zu führen. Vielleicht stört das viele auch nur dabei, das Kleine und Alltägliche zu sehen. Vielleicht. Auch wenn über dem Buch nun ein Hauch von Abschied liegt, denn es ist absehbar, dass diese freundlichen alten Damen den Orden auch in Halle nicht mehr lange am Leben erhalten können. Aber sie wirken nicht traurig deshalb, eher beruhigt, dass auch dieses Ordensprojekt seine Zeit hatte. Einst für manche junge Frau sehr anziehend, für viele Heutige eher wie aus der Zeit gefallen.
Tina Pruschmann gottgewollt, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2019, 60 Euro.
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