Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und die PAPD wird die Wahlen natürlich nicht gewinnen. Das tut sie auch in Jan Gillsborgs Thriller „Leipzig kann sehr tödlich sein“ nicht. Aber sie steht kurz davor, nachdem eine ganze Kette von Attentaten und Überfällen die Messestadt erschüttert haben. Und Gillsborgs Held, der beim Großen Magazin in Berlin angestellte Reiseredakteur Thomas Webb, gerät mitten hinein.

Eigentlich sollte er eine schöne Reisereportage über das nette Städtchen an der Pleiße machen. Aber in Leipzig kocht es. Die als neue rechte Konkurrenz zur AfD gegründete neue Patrioten-Partei profitiert von der aufgeheizten Stimmung, nachdem immer neue gewalttätige Übergriffe von augenscheinlich als Flüchtlinge erkennbaren jungen Männern die Presse zum Kochen gebracht haben. Vor Webbs Augen wird dann auch noch ein namhaftes Vorstandmitglied der Patrioten erschossen.

Was erst der Beginn mehrerer gewalttätiger Aktionen ist, deren Zeuge Webb wird, obwohl er ja doch nur für eine Reisereportage nach Leipzig gekommen ist. Den Politikjob sollten eigentlich seine Kollegen aus der Politikabteilung machen. Doch der erste, der mit ihm dem Hinweis von Flüchtlingen folgt, sie wüssten, wer hinter den ganzen Attacken steckt, wird vor Webbs Augen erschossen.

Glück hat Webb, weil er einen guten Draht zu einer hübschen rothaarigen Kommissarin geknüpft hat.

Man merkt schon: Gillsborgs Thriller ist eine Versuchsanordnung, die etwas durchspielt, was so weit ab von der Wirklichkeit nicht liegt, auch wenn er beim Schreiben des Buches noch nicht wissen konnte, dass sich tatsächlich so eine Patrioten-Partei aus der AfD heraus gründen würde. Nur rechnet niemand ihr Chancen aus, bei der sächsischen Landtagswahl den Sieg einzufahren.

Aber für die neuen rechten Parteien gilt eben auch: Aus Worten werden Taten. Wer permanent den Hass schürt, Sprüche nach dem Muster „Deutschland den Deutschen“ auf Plakate pappt und den Wählern einredet, mit den Flüchtlingen sei eine Welle von Verbrechen über das Land hereingeschwappt, der stiftet nicht nur zu verbaler Gewalt in den Netzwerken an, der trägt die Aggressionen auch in die Gesellschaft und ermutigt auch zu realer Gewalt.

Nur dass an den Vorgängen in Gillsborgs Leipzig einiges nicht stimmen kann. Was schon erstaunlich ist: Ausgerechnet der Reisereporter wagt sich jetzt, von Neugier getrieben, in die brenzligsten Situationen, hat auch keine Scheu, mit dem Vorsitzenden der PAPD und dessen schicker Referentin direkt Kontakt aufzunehmen. Während seine Kollegen aus der Politikabteilung irgendwie nur das Übliche machen, sich zuarbeiten lassen und dann wieder nach Berlin entfleuchen.

Das liest sich schon ein wenig wie eine listenreiche Kritik an der Arbeitsweise einiger großer Nachrichtenmagazine. Wenn die alle so arbeiten … Nicht auszudenken.

Dass auch sein Thomas Webb Fehler über Fehler macht, weil er sich naiv auf Situationen einlässt, die er nicht durchschauen kann, ist dann freilich die Grundessenz der Geschichte. So folgt er zwar unbeirrt seiner Nase, lässt sich auf nächtliche Abenteuer ein und wird sogar entführt, während er eigentlich längst abreisen und alles hinschmeißen will. Aber irgendwie hat er auch eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die er nicht mehr stoppen kann. Er ist den falschen Leuten zu nahe gekommen. Und so verblüfft er dann auch die Leipziger Polizei, weil er schon wieder mal am Tatort ist, immer wieder wundersam gerettet, denn parallel läuft noch eine andere Geschichte, eine, die in Webbs Vorgeschichte als Student in Leipzig führt. Und die für ihn noch viel brisanter wird, ohne dass er ahnt, was da auf ihn zukommt.

Das macht es dann wirklich zum Thriller, obwohl der Hauptstrang der Erzählung ein Politik-Krimi ist. Einer, der erzählerisch verdichtet, was passiert, wenn ganz gezielt eine Stimmung aus Angst und Unsicherheit geschürt wird, wenn Politiker sogar ganz bewusst Kapital schlagen aus der Verunsicherung von Menschen, die Panik noch aufheizen, um sich dann als Saubermann und Heilsbringer zu verkaufen. Denn so funktionieren ja alle die Erfolgsmuster der neuen Patrioten, die nur zu gern auch überzeichnen und übertreiben, um zumindest den einfacher gestrickten Wählern einzureden, ihr Land würde gerade von finsteren Mächten okkupiert.

Und da sie dabei 90 Prozent der Wirklichkeit ausblenden und die digitalen Medien die Entstehung solcher in sich geschlossener Blasen begünstigen, neigen ja tatsächlich viele Menschen auch in Sachsen dazu, die Horrorgeschichten zu übernehmen und damit auch die Panikvorstellungen von einer bedrohten „Heimat“ oder wie immer man das Kunstgebilde nennen will, das viele Menschen im Kopf mit sich herumtragen, die dann nur zu bereit sind, den kraftmeiernden Patrioten gleich mal die ganze Macht in die Hand zu geben, damit die alles wieder so herstellen, wie sie glauben, dass es einmal gewesen war. Zurück in die Kinderstube. Nur ja nicht konfrontieren mit einer Welt, die nach klugen und humanistischen Lösungen verlangt. Und nach Politiker/-innen mit Rückgrat. Nicht diesen Ibiza-Boys.

Logisch, dass Webb auch mit dem Vorsitzenden der Patrioten aneinanderrasselt, sich aber nicht wirklich wundert, dass er trotzdem wieder zum Gespräch gebeten wird. Als würde er dieser aalglatten Perfektion nicht misstrauen. Aber irgendwie kommt einem diese Vertraulichkeit auch wieder bekannt vor. Als wäre Webb ein braver sächsischer Journalist, der sich das Misstrauen abgewöhnt hat, weil man in Sachsen doch eher eine nette, den Mächtigen und Machthungrigen gegenüber freundliche Berichterstattung wünscht.

Sind Berliner Medien auch schon so angefixt?

Andererseits ist die Eskalation in Gillsborgs Roman auch so abseitig nicht. Es ist das Grundprinzip des rechten Radikalismus, auch wenn die bislang üblichen Patrioten nicht so weit gehen wie die PAPD-Akteure in dieser Geschichte, in deren Handeln sich eiskaltes Kalkül mit gnadenloser Hemmungslosigkeit mischt. Eigentlich so spürbar mischt, dass man viel früher als der Held der Geschichte ahnt, wonach das alles riecht. Aber es ist ja wie im richtigen Leben: Was nutzt einem ein guter Riecher, wenn man es nicht beweisen kann?

Sodass es in dieser Geschichte doch erst mehrere Tote geben muss, bis endlich auch Thomas Webb alle Puzzle-Teile zusammen hat und klar ist, wer nun welche Rolle gespielt hat und warum ausgerechnet Flüchtlinge bei den gewaltsamen Vorkommnissen die Hauptrolle gespielt haben. Ist es möglich, dass auch sie missbrauchbar sind?

Die Antwort lautet schlicht: Ja. Es ist die Hoffnungslosigkeit, in der viele stecken, ihr ungeklärter Aufenthaltsstatus, ihre drohende Abschiebung, die emotionslose Ablehnung durch anonyme Ämter, die einige auf die schiefe Bahn bringen. Und dass gerade jene, die nicht mit einer positiven Aufnahme der deutschen Behörden rechnen, als erste abtauchen, ist auch so unbekannt nicht. Aber deutsche Asylpolitiker tun in dieser Frage ja gern so, als wären das völlig andere Menschen, die überhaupt nicht so denken und fühlen wie wir und die dann wie die Schafe darauf warten, dass sie wieder in Länder zurückgeschafft werden, in denen sie keine Zukunft und keine Existenzgrundlage mehr haben.

Davon profitieren unsere Möchtegern-Patrioten. Und das bestimmt auch großenteils das Bild, das sich die Öffentlichkeit von Ausländern und Flüchtlingen macht. Nicht die Frage „Wie kann diesen Menschen wirklich am besten geholfen werden?“ bestimmt die Diskussion, sondern die Arroganz des Nicht-wissen-Wollens. Die natürlich erst den riesigen Freiraum schafft, in den die kleinen und großen Patrioten ihre Horror-Bilder kippen und den Menschen suggerieren, die wären alledem hilflos und schutzlos ausgeliefert.

Ein wenig entschuldigt sich Gillsborg im Nachwort dafür, dass er ausgerechnet Leipzig als Schauplatz seiner Geschichte gewählt hat. Immerhin ist das die Stadt in Sachsen, die dem patriotischen Panikmachern den stärksten Widerstand leistet. Aber gerade deshalb wird der Mechanismus, der hinter der patriotischen Angstmache steckt, umso deutlicher. Er greift die Menschen an einer Stelle, an der sie emotional am leichtesten und am schnellsten beeinflussbar sind. Leichter, als dass man ihren Mut und ihre Widerstandskraft stärkt, von menschlichen Werten nicht abzurücken, egal, was die Scharfmacher immer wieder in die Welt schreien.

Und da Thomas Webb quasi aus einer dramatischen Situation in die nächste stürzt, ist der Leser schneller durch das Buch, als er gedacht haben möge. Nur mit der Liebe hat Webb so seine Schwierigkeiten. Als reisender Journalist neigt man wohl wirklich nicht zu ernsthaften Bindungen. Zu schnell entführt einen das Leben sonst wohin. Und dann? Wieder nur eine Fernbeziehung mit einer Frau, die einen wirklich meint?

So gesehen, geht’s irgendwie traurig aus. Aber wir sind ja tapfer. Das Leben geht weiter. Und die PAPD jedenfalls gewinnt die nächsten Wahlen nicht.

Jan Gillsborg Leipzig kann sehr tödlich sein, epubli, Berlin 2019, 9,99 Euro.

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