Ist das eigentlich noch ein Katalog, was Alfred Weidinger, Paul Kaiser und Christoph Tannert in diesem Buch zusammengetragen haben, um damit die am Montag, 22. Juli, eröffnete Ausstellung im Museum der bildenden Künste „Point of no return“ zu begleiten? Oder ist es eher so etwas wie ein reich bebildertes Hilfsangebot? Nicht nur für Menschen, die sich mit dem „Lesen“ von Kunst schwertun, sondern auch für ein ganzes Kapitel ostdeutscher Geschichte.

Die Ausstellung selbst ist ja schon etwas Besonderes. Erstmals führt sie – mit 106 vertretenden Künstlerinnen und Künstlern – die ganze Breite ostdeutscher Kunst vor allem der 1980er und der frühen 1990er Jahre zusammen, einer Zeit, die in der üblichen Geschichtsromantik in zwei Zeiten zerfällt. Als wäre 1990 nicht nur die DDR verschwunden, sondern mit ihr auch all das, was Leben, Denken und Identität der Ostdeutschen ausgemacht hat. Sie haben sich in der (west-)deutschen Wahrnehmung in eine Art nebulöse Wesen ohne eigene Geschichte verwandelt, nicht ernst zu nehmen. Schon gar nicht als historische Akteure.

Deswegen finden nicht nur die drei Kuratoren der Ausstellung den Begriff der „Wende“ so problematisch. Als hätten sich 1990 nur mal alle im Bett umgedreht und dann einfach weitergeschlafen. Die drei haben natürlich auch Co-Autor/-innen mit ins Buch geholt, die über diesen Begriff ein bisschen nachdenken – höchst ablehnend Annette Simon, die 1989 das Neue Forum mitgründete, eher zustimmend der Autor Jan Faktor, der den Begriff schön griffig findet. Jeder weiß, was gemeint ist. Das flutscht so raus und tut (fast) niemandem weh, während über andere Begriffe wie Friedliche Revolution, Umbruch, Umsturz, Zusammenbruch usw. bis heute gestritten wird.

Natürlich wird immer wieder Egon Krenz erwähnt, der in seiner ersten Rede als neuer Parteichef und Staatsratsvorsitzender 1989 davon redete, die SED werde ihre Führungsrolle jetzt wieder wahrnehmen und eine „Wende einleiten“. Als hätte sich der rostige Kahn DDR nur ein bisschen verfahren. Ausgeblendet wird, dass auch Helmut Kohl sechs Jahre zuvor schon von einer „moralischen Wende“ sprach, als er mit einer neoliberal gewendeten FDP die SPD aus der Regierung stieß. Aber weder war seine Regierung moralisch besser als die zuvor, noch war die Bundesrepublik in dem Zustand, dass sie eigentlich so eine rasante Kurskorrektur brauchte wie die DDR 1989. Tatsächlich meinte auch Kohl nichts anderes als eine Demontage des Sozialstaats und mehr „Freiheit“ für den „Markt“, also die Großkonzerne, Banken und spendablen Geldgeber im Wahlkampf.

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Dass es da 1989 eine Menge zu korrigieren gab in der DDR, war klar. Und was die Autoren im Buch, die sich mit dem Begriff Wende beschäftigen, auch nicht schreiben: Es gibt noch ganz andere Assoziationen, die alle mitschwingen, angefangen von einem Stoßseufzer, der in genau dieser Ausstellung steckt: der Sehnsucht nach einer „Wende zum Besseren“. Raus aus einem als falsch und bedrückend empfundenen Leben, das hunderte Künstlerinnen und Künstler im Osten gestaltet haben, manche einfach in riesigen Bilderhalden ganz für sich allein wie der bekannte Pop-Art-Künstler Hans Ticha oder wie die Leipziger Malerin Doris Ziegler.

Andere natürlich sogar in bekannten Bildern, die sie auch ausstellten – so wie Mattheuer oder Heisig, die ja nicht deshalb zu den berühmtesten Köpfen der Ost-Malerei (und der Leipziger Schule) wurden, weil sie staatstragende Kunst malten, sondern weil sie die Camouflage, an die sich die DDR-Bürger längst gewöhnt hatten, besonders gut beherrschten. Wenn Mattheuer seine Bilder mit Sisyphos und Ikarus ausstellte, konnten die DDR-Bürger ihr eigenes Schicksal darin lesen. In den einleitenden Texten wird es ja erwähnt: Die großen Kunstausstellungen in Dresden zogen am Ende Millionen Besucher an. Die bildende Kunst wurde zum Ventil und konnte im Bild genau die Diskurse zeigen, die im öffentlichen Sprachgebrauch verboten und strafbar waren. Nur konnte man Bilder von Mattheuer und Heisig und Tübke nicht einfach wieder abhängen oder ausschließen, dazu waren sie alle zu berühmt. Das hätte Skandale gegeben, die es mit den weniger bekannten Künstlern nicht gab.

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Das ist ja das Besondere an der Ausstellung, dass sie den größten Raum einmal all jenen Künstlerinnen und Künstlern widmet, die nicht nur in den letzten Jahren der DDR verschwiegen, verdrängt und ausgeschlossen blieben, denen Ruhm und Diskussion verwehrt blieben und die – wenn sie nicht in den Westen gingen – regelrecht dazu verdammt waren, nur für das eigene Archiv oder einige wenige wirklich kenntnisreiche Kunstsammler zu malen. In offiziellen Museen und Kunstsammlungen kamen sie nicht vor. Da mussten Tannert und Kaiser schon ausschwärmen, um ihre Arbeiten in Privatsammlungen oder auch im Nachlass dieser Künstler zu finden. Natürlich gingen sie in den Texten auch auf die verbissene Diskussion um die „Staatskunst der DDR“ ein, die in den vergangenen 30 Jahren immer wieder – vor allem vom westdeutschen Feuilleton losgetreten – aufgeflammt ist. Eine Diskussion, die vor allem einen Effekt hatte: alles, was ostdeutsche Künstler in den Jahren vor 1990 geschaffen hatten, zu diskreditieren, ihnen eine Art Zombie-Charakter zuzuschreiben, als hätten sie tatsächlich alle nur gemalt, was „die Partei“ bestellt hatte.

Wenn man aber so die Arbeit von 2.000 bildenden Künstlern pauschal verdammt, vermeidet man natürlich, sich mit den konkreten Arbeiten zu beschäftigen. Schon gar mit den Arbeiten, die abseits der staatlich verordneten Kunstsicht entstanden. Dazu gehören dutzende experimenteller Künstler und Künstlergruppen, die das staatliche Kunstregime in den 1980er Jahren ganz bewusst unterliefen. Dazu gehören hunderte Künstlerinnen und Künstler, die sich auf die Erwartungen von „Partei und Staatsführung“ gar nicht erst einließen, sondern eigene Wege suchten, ihrer Sicht auf die Welt künstlerische Bilder zu geben. Dazu gehörten aber auch einige der Berühmten, die den Kanon eines verordneten „sozialistischen Realismus“ verließen und mit ihren Bildern den eingesperrten Gefühlen und Hoffnungen Raum gaben.

Deswegen wirkt die Ausstellung in Teilen wie ein verspäteter Schrei, zeigt Bilder voller Wut, Verzweiflung, Angst und Hoffnungslosigkeit, aber auch voller Hoffnung, Widerspruchsgeist und kraftvolle Dystopien. Was einen daran erinnert, dass sich tatsächlich in diesen 1980er Jahren das Bild von der „Titanic“ verstärkte, so, wie es der Maler Lutz Friedel auch im Triptychon „Titanic“ (1982-1983) gestaltete. Auch das ein Aspekt des Wortes „Wende“, das der neue „Kapitän“ Egon Krenz ganz bestimmt nicht ohne Anlass verwendete.

Man sieht immer nur seinen Versuch darin, „das Ruder herumzureißen“ und (auch das ein damals üblicher Sprachgebrauch) den Kurs zu korrigieren, den die SED steuerte. Die alten Leute auf der Brücke benutzten diese Begriffe aus der Seefahrt recht häufig und systematisch, was der Übernahme des Begriffs „Wende“ in den Sprachgebrauch des Volkes auch etwas zutiefst Ironisches gibt. Vielleicht hätte man für den Katalog auch mal einen Linguisten mit „ins Boot“ holen sollen? Vielleicht fand man auch keinen, denn einen jüngeren Viktor Klemperer, der sich mit der Sprache der real regierenden Parteiniks beschäftigte, gab es ja nicht – nicht mal beim „Eulenspiegel“.

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Und es haftet dem Wort auch etwas zutiefst Kritisches und Verächtliches an, selbst in der späteren landesweiten Verbreitung, als von der Krenz’schen Wende schon gar keine Rede mehr war. Auch das ĂĽbersehen die Autoren in ihren durchaus klugen Texten. Es steckt nämlich auch die ganze Gedankenlosigkeit der neuen Wahlsieger drin, die dem Volke wieder einmal suggerierten, jetzt werde sich alles, alles wenden. Auch wenn nunmehr lauter Wendehälse auf die Regierungsthrone sprangen und tatsächlich ganz ähnlich paternalistisch dachten und regierten wie ihre Vorgänger. Was eben jenen Zweifel nährte, dass 1989 tatsächlich eine Revolution stattfand und nicht nur ein neuer groĂźer Elitenwechsel.

Einer, dem es hinterher ähnlich unbehaglich war, etwas am Umgang mit „denen da unten“ zu ändern. Das väterlich Herablassende war ja sofort wieder da. Und es sorgte dafür, dass ganze Berge von Problemen, die 1990 hätten angepackt werden müssen, nicht angepackt wurden. Und dazu gehört auch ein anderer, ehrlicherer Umgang mit den Künstlerinnen und Künstlern im Osten. Denn die, die sich auch vor 1990 keinen großen Ruf verschaffen konnten, blieben weiterhin unbeachtet, blieben in der Nische und sie wurden mit der ganzen großen „Staatskunst“ in einen Sack gesteckt.

Was zur Folge hatte, dass auch ĂĽber den Beitrag der bildenden KĂĽnstler zur Friedlichen Revolution selten bis nie auch nur gesprochen wurde. Obwohl viele dieser KĂĽnstler und ihre Projekte (in Leipzig etwa der „Leipziger Salon“, in Chemnitz „Klara Mosch“…) die Keimzellen fĂĽr Widerstand und Protest waren. Hunderte kleiner und oft illegaler Ausstellungen schĂĽrten den Widerspruch zur verordneten Ordnung, wurden zu Orten der Möglichkeiten, der echten Alternativen zu einer ĂĽberwachten und durchkontrollierten Gesellschaft.

Das alles wird in der Ausstellung endlich sichtbar – samt der Tatsache, wie viele unterschiedliche Lösungen die ausgestellten Künstlerinnen und Künstler für die Fragen und Emotionen fanden, die sie bedrängten.

Und die Ausstellung zeigt eben diese Künstler auch mit Arbeiten, die um und nach 1990 entstanden. Und auch dieser Teil des ostdeutschen Kunstdiskurses hat so nie stattgefunden, war einfach mit der ganzen „Staatskunst“-Debatte gleich mit entsorgt worden, sodass ausgerechnet die Künstler jenes Landesteils, der ab 1990 die heftigste Transformation durchmachen musste, öffentlich nicht präsent sein durften.

Was natürlich auch ein Schlaglicht auf die bis heute gültige Diskussion West-Ost wirft, in der eine besondere ostdeutsche Identität und künstlerische Sichtweise schlicht verleugnet wird. Gerade Weidinger geht darauf ein, wie verheerend es war, die Arbeit der ostdeutschen Kunstschaffenden unter Etiketten wie „DDR-Kunst“ zu packen und damit regelrecht zu entwerten.

Deswegen spricht er lieber von ostdeutscher Kunst, die natürlich ihre Arbeits- und Öffentlichkeitsbedingungen nicht verleugnen kann, die aber deshalb nicht weniger gültig ist als zum Beispiel die österreichische. Die elitäre Behauptung, nur die Kunst des Westens sei die gültige, zerflattert, wenn man die Arbeiten in der Ausstellung sieht. Die möglicherweise Besuchern mit eher westlicher Sehgewohnheit etwas mystisch oder fremd vorkommen kann, während Ostdeutsche die Metaphern meist sofort entziffern können.

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Deswegen bietet der Katalog zu jedem KĂĽnstler auch Interpretationsangebote, laden die Autoren in kleinen Texten ein, sich in die Welt der Ausgestellten hineinzufinden und den Reichtum an Anspielungen, Symbolen und Subtexten in den Arbeiten kennenzulernen.

Angereichert wird der Band dann noch durch Gedichte und kleine Texte von ostdeutschen Autoren aus dieser Zeit (Volker Braun zum Beispiel, Thomas Rosenlöcher und Heiner Müller), Texte, die ihrerseits frappieren, obwohl man sie oft schon kennt. Aber sie zeigen in ihrer oft ironischen Doppelbödigkeit, dass die kritische Literatur in Ostdeutschland sich mit der hier gezeigten bildenden Kunst auf einer Wellenlänge befindet. Sie beschreibt dieselbe kaputte Welt im Inneren eine Riesentankers, der mit lärmenden Maschinen auf seine Strandung zuläuft, den „Point of no return“.

Was ja sogar tröstlich ist, weil wir in Nachhinein ja wissen, dass diese Kehrtwende auf einen wie auch immer gearteten neuen Parteikurs nicht mehr stattfinden konnte. Die „Kapitäne“ hatten es nicht mehr in der Hand. Die Sache fand mit einer historisch ziemlich eindeutigen Unausweichlichkeit statt. Nur fragen natürlich nicht nur die Dichter ein wenig irritiert: Wer war dann eigentlich auf der Brücke, als der rostige Kahn in den Hafen „Deutsche Einheit“ einlief?

Ganz böse Frage. Weiß ich. Aber einige Arbeiten in Katalog und Ausstellungen finden darauf sehr schöne und sehr ironische Antworten. Auch so etwas, was man nicht übersehen darf, selbst wenn zuweilen Grau und Schwarz die dominierenden Bildfarben sind: Wer so ein ironisches Verhältnis zur Macht und zur Geschichte hat wie die Ostdeutschen, der hat auch einen ganz besonderen schwarzen Humor.

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