Seit Donnerstag, 11. Juli, gibt es im Museum der bildenden Künste eine ganz besondere Ausstellung zu sehen: „Leonardo war nie in Leipzig“. Es ist eine Ausstellung, die nicht einfach nur Kunst oder Künstler in den Mittelpunkt stellt, sondern zeigt, wie ein Künstler über die Jahrhunderte in die Arbeit anderer Künstler und in die Kunstrezeption hinein fortwirkt. Und das alles an Leipziger Ausstellungsstücken, die alle etwas mit Leonardo da Vinci zu tun haben.
Es ist ein Gemeinschaftsprojekt des Museums der bildenden Künste mit Studierenden der Universität Leipzig, genauer: dem Institut für Kunstgeschichte der Universität. Kunstgeschichte sind eben nicht nur die üblichen großen Schubladen, in die die Kunst für gewöhnlich gestopft wird. Künstler lernen voneinander, schauen sich neue Techniken bei Kollegen ab, kopieren auch schon mal oder zitieren ihre Malerfreunde. Wer wirklich in den Museen der Welt unterwegs ist, erkennt diese Zitate und Verwandtschaften.
Oft ist es ein faszinierendes Spiel, auch dann, wenn junge Künstler sich an großen Vorbildern reiben – so wie der Maler Jochen Plogsties, der diese Art der Aneignung regelrecht zum Arbeitsprinzip gemacht hat. In der Ausstellung ist er mit seinem Bild „10_13 (Mona Lisa)“ von 2013 vertreten, in dem er das berühmte Motiv technisch geradezu zurückverwandelt in einen reduzierten Vor-Zustand, in dem der Malgrund durchzuschimmern scheint und die feingliedrige Nacharbeit des Malers noch fehlt.
Das Bild öffnet in der Ausstellung den Blick darauf, dass auch die Gegenwartskunst immer wieder auf Ikonen der klassischen Kunst zurückgreift, sich stilistisch mit den Vorbildern auseinandersetzt, aber auch neue Bezüge sucht und die Art, Kunst kritisch zu betreiben wie heute, auf die „Klassiker“ anwendet.
Und das Bild taucht natürlich auch im Begleitbuch auf, das Kunstprofessor Frank Zöllner im Lehmstedt Verlag herausgegeben hat. Das ist dann sozusagen die Ausstellung zum Mitnehmen. Und weil vorm Aufbau der Ausstellung die Student/-innen des Institut geforscht haben, wird der Katalog auch zu einem kleinen Ausflug in die Welt der Kunstwissenschaft.
Zu den markanten Ausstellungsstücken in der Ausstellung gibt es jeweils die recht ausführlichen Analysen der Kunststudierenden. Einige der Bilder stammen direkt aus der Sammlung Speck von Sternburg, sodass auch die Kunstkenntnis und das Sammlerwissen von Maximilian Speck von Sternburg zum Thema wird, dessen Sammlung ja ein besonderes Beispiel für die Sammlerprofessionalität Leipziger Unternehmer im 19. Jahrhundert ist. Er hat zwar keine da Vinci-Originale erwerben können, mit denen heute die berühmtesten Galerien der Welt glänzen. Aber er wusste, wonach er suchen musste. Und aus seiner Sammlung stammen einige Beispiele von Schülern und Zeitgenossen da Vincis, deren Bilder sehr deutlich zeigen, wie sie von diesem Neuerer der Malerei profitierten.
Heute wird ja gern die Einzigartigkeit Leonardos betont und sein Außenseitertum. Aber schon Raffael bestaunte seine neuen Bildfindungen, die den bis dahin gültigen Kanon der Tafelmalerei aufbrachen – sei es die „Madonna Benois“, sei es die „Felsgrottenmadonna“ oder sei es das berühmte „Abendmahl“ im Refektorium Santa Maria delle Grazie in Mailand. Letzteres über Jahrhunderte das berühmteste Werk Leonardos, bevor ein Kunstraub aus dem Louvre die „Mona Lisa“ zur Ikone des 20. Jahrhunderts machte.
Diese Geschichten werden alle miterzählt. Denn jedes Bild hat eine Geschichte. Und es hat eine Wirkungsgeschichte, die bei da Vinci eben nicht mit seiner Kunstepoche endet. Das „Abendmahl“ existiert ja auch in einer echten Leipziger Variante, 1889 von James Marshall extra für die Lutherkirche gemalt – und das wohl ohne jegliche Kenntnis des Originals in Mailand. Marshall griff augenscheinlich ausschließlich auf Druckvorlagen zurück. Was eine eigene Rezeptionsgeschichte ist. Denn gerade die neuen Drucktechniken verbreiteten die berühmtesten Bilder der Kunstgeschichte damals erstmals in ganz Europa, machten sie Menschen bekannt, die niemals in Italien, Griechenland oder Paris gewesen waren.
Was auch den Absatz großer Bände zur Kunstgeschichte möglich machte, in denen dann die Ikonen der Kunst zumeist in Kupferstichen abgebildet waren, manchmal auch in Stichen nach Kopien der Originale. Da erlaubten sich auch die Kupferstecher manchmal ein paar kleine Änderungen, Verfeinerungen und Erweiterungen, die dann wieder die gelehrten Kunstprofessoren durcheinanderbrachten.
Man merkt schon, was für ein weites und zuweilen aufregendes Feld Kunstgeschichte sein kann. Auch dann, wenn sich die Erkundungen nur auf die Spuren eines berühmten Künstlers wie Leonardo da Vinci beschränken. Und das auch noch in Leipzig im damals doch eher kalten und wolkenreichen Deutschland, in das es den berühmten Maler nicht mal in Gedanken zog. Denn die reichen und kunstsinnigen Fürstenhöfe lagen damals vor allem in Italien. Andere Königs- und Fürstenhäuser entdeckten gerade erst ihr scheues Mäzenatentum für solche extravaganten Künstler wie Leonardo, der in Leipzig nicht nur in Spuren in den Bildern anderer Künstler auftaucht.
Die Universitätsbibliothek besitzt auch eine ganze Reihe von Faksimiles seiner Manuskripte, die im Grunde auch erst im 19. Jahrhundert begannen, die Welt zu beeindrucken. Erstmals gab es ja auch dafür die Drucktechniken, sie derart zu vervielfältigen und damit auch Wissenschaftlern zugängig zu machen, die regelrecht fasziniert waren von Leonardos anatomischen Studien oder seinen vielen bildlichen Konstruktionen aller möglichen Apparate, denen aber immer eine sehr genaue Beobachtung der Natur zugrunde lag.
Leonardo war der erste Künstler, der die Welt mit dem aufmerksamen Blick des Naturwissenschaftlers betrachtete und seine Beobachtungen und Gedanken mit vielen eindrucksvollen Skizzen auf tausenden Blättern festhielt. Einige dieser Blätter – wie der „Vitruv-Mann“ oder die anatomische Darstellung des menschlichen Koitus – haben ihre eigene Wirkungsgeschichte. Bis hin in einige professorale Abwege, die ihrerseits wieder Folgen hatten.
Natürlich ist Leonardo ein ganz besonderes Beispiel für eine so nachhaltige Wirkungsgeschichte. Aber gerade die Speck-von-Sternburg-Sammlung bietet noch viel mehr Ansätze, solche Rezeptionsgeschichten zu erkunden, denn sie enthält zahlreiche Kopien berühmter Werke, Werke von Schülern und Nachfolgern, aber auch ein großes Konvolut von Kupferstichen berühmter Bilder. Womit sie ja eine typische Sammlung ihrer Zeit ist: Die moderne Farbfotografie gab es ja nicht. Kunstsinnige Sammler waren meist darauf angewiesen, bei ausgewiesenen Kunsthändlern Arbeiten zu bekommen, die wenigstens aus dem Umfeld der großen Malschulen stammten oder die berühmten Bilder in einer guten Kopie darboten.
Und für Kunstliebhaber ergibt die Sammlung reich bebilderter Aufsätze natürlich einen kleinen Einblick in die Welt der Kunsthistoriker, von denen ja in der Regel etliche später selbst Forscher, Kuratoren und Museumsdirektoren werden. Oder neue große Monografien über berühmte Künstler und ihre Welt verfassen. Hier haben sie sich einmal in einem ambitionierten Kooperationsprojekt ausprobieren können. Und irgendwie war Leonardo auf diese Weise eben doch auch in Leipzig. Als großer Anreger, an dem sich die Kritiker, die große Leute gern klein machen möchten, bis heute reiben.
Frank Zöllner Leonardo war nie in Leipzig, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2018, 15 Euro.
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Ausstellung „Leonardo war nie in Leipzig“ im Museum der bildenden Künste
„Leonardo war nie in Leipzig“ heißt die Ausstellung, die am 11. Juli eröffnet wird und ein Gemeinschaftsprojekt des Museums der bildenden Künste mit Studierenden der Universität Leipzig ist. Die Schau verfolgt die Spuren, die Leonardo im Laufe der Jahrhunderte in Leipzig hinterlassen hat, ohne die Stadt jemals besucht zu haben. Sie sind Zeugnisse für die Verbreitung der von ihm geschaffenen künstlerischen Ideen.
Die Ausstellung widmet sich in einem ersten Teil der Rezeption der künstlerischen Konzepte Leonardos am Beispiel mehrerer Gemälde und druckgraphischer Reproduktionen des 16. bis 19. Jahrhunderts. Der wesentliche Teil der Exponate stammt aus der Sammlung Maximilian Speck von Sternburg, die zum Kern der Altmeistersammlung des Museums gehört. Das größte Werk der Ausstellung ist eine Kopie von Leonardos „Abendmahl“, die James Marshall 1889 für die Leipziger Lutherkirche geschaffen hat.
Der zweite Teil der Ausstellung, die bis zum 15. September zu sehen ist, behandelt die Rezeption der wissenschaftlichen Studien Leonardos. Die Exponate stammen hauptsächlich aus den reichhaltigen Beständen der Universitätsbibliothek Leipzig, darunter auch die erste faksimilierte Reproduktion der heute berühmten Proportionszeichnung nach Vitruv in Giuseppe Bossis „Del Cenacolo di Leonardo da Vinci“ aus dem Jahre 1810. Die Faksimiles der Manuskripte und ihre Wirkungsgeschichte vermitteln einen Eindruck sowohl von der Vielfalt der Studien Leonardos, als auch von der bis heute anhaltenden Wertschätzung seiner Ideen.
Die Ausstellung ist im Museum der bildenden Künste bis zum 15. September zu sehen.
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