Am 20. Mรคrz ist Jaromรญr 99 mit der Kafka Band in der Schaubรผhne Lindenfels zu erleben โ die Band gibt sozusagen den musikalischen Einstieg fรผr das Gastland der diesjรคhrigen Buchmesse, Tschechien. Und wer anders als Jaromรญr 99 und sein Mitstreiter Jaroslav Rudiลก wรคre dafรผr so prรคdestiniert? Die Comics, die sie gemeinsam gestalten, sind bildgewordene tschechische Geschichte. Auch der neueste, der jetzt bei Voland & Quist erschien und den Jaromรญr 99 mit Jan Novak geschaffen hat: โTschechenkriegโ.
Er erzรคhlt die Geschichte der beiden Brรผder Ctirad und Josef Masin, ihres Freundes Milan Paumer und ihrer beiden Wegbegleiter Zbynek Janata und Vaclav Sveda. Die Farben wirken vertraut, denn in solchen Farben erzรคhlen ja auch viele deutsche Autoren die frรผhen 1950er Jahre. Der Krieg ist zwar vorbei, aber in Ostdeutschland und auch in der CSSR sind mittlerweile stalinistische Regime entstanden, die beide nach demselben Muster funktionieren. Die neuen Hardliner an der Macht observieren ihr Volk, ein misstrauischer Staatssicherheitsdienst verhaftet all jene, die mit Kritik an der Staatsfรผhrung oder Plรคnen zur Flucht auffallen, verhรถrt sie, verurteilt sie und sperrt sie ins Zuchthaus oder verdonnert sie zu jahrelanger Schufterei im Uranbergbau von Jachymow.
So wie Ctirad Masin, der wie Josef Sohn eines bekannten tschechischen Widerstandskรคmpfers, des Generals Josef Masin ist, der sich dem Einmarsch der deutschen Besatzer 1938 nicht ohne Gegenwehr ergeben wollte. Aber es war in der CSSR nicht anders als in der DDR: Der einstige bรผrgerliche Widerstand wurde regelrecht ausradiert, es wurde ein Kult um den (rein) kommunistischen Widerstand getrieben. Fรผr die Masins ein tragischer Vorgang, denn den Sรถhnen wurde nicht nur das Studium verwehrt, ihre Mutter verlor drei Mal die Wohnung, weil ihr von den Deutschen ermordeter Mann als โBรผrgerlicherโ galt.
Man versteht diese stille Wut, die selbst noch bei den Nachgeborenen lodert, denn das sind ja Jaromรญr 99 und Jan Novak. Eine Wut, die man in Deutschland kaum wahrnimmt, weil man alles, was damals in der โOstzoneโ geschah, einfach der hingeschiedenen DDR mit ins Grab gegeben hat. Man begreift es nicht als Teil der eigenen Geschichte. Was einer der Grรผnde dafรผr ist, dass sich viele Ostdeutsche รคhnlich verarscht fรผhlen wie die Tschechen. Denn sie haben ja nicht nur die Reparationen an die Sowjetunion ableisten mรผssen und dafรผr mit einem miserablen Wirtschaftsstart bezahlt, sie haben auch die finsteren stalinistischen Jahre erlebt, die Zeit des staatlichen Misstrauens, der wahllos Verhafteten und der Jahrzehnte in prekรคren Verhรคltnissen.
Ein Stรผck dieser ostdeutschen Jahre 1953/1954 wird auch in dieser wieder hochemotionalen Bilderstrecke sichtbar, denn nach dem Ende der Haft und mehreren eher missglรผckten Anschlรคgen entscheidet sich die kleine Widerstandsgruppe zur Flucht nach Westberlin. Dazu aber muss sie das Territorium der DDR durchqueren, ohne erwischt zu werden, was meist in quรคlenden Nachtmรคrschen passiert. Der Wille der Masin-Brรผder, unbedingt in den Westen und zur US Army zu kommen, um irgendwann als amerikanische Soldaten zurรผckzukommen und die Kommunisten zu vertreiben, treibt die Gruppe an. Doch sie machen Fehler, machen kurz vor Berlin auch die ostdeutsche Polizei auf sich aufmerksam. Was dann folgt ist das, was bei den Sicherheitsbehรถrden der DDR das Codewort โTschechenkriegโ bekam.
Janata und Sveda werden verwundet und verhaftet und spรคter hingerichtet, genauso wie Stibor Novak, der Onkel der Brรผder. Ihre Mutter stirbt im Gefรคngnis. Aber die Masin-Brรผder und ihr Freund Paumer kommen durch und beginnen โ nach einen Zwischenspiel in der US Army โ ein Leben im Westen. Aber das erfรคhrt man erst in Nachspann, wenn man weiร, dass es wenigstens die drei geschafft haben.
Das Freund-Feind-Bild scheint die ganze Zeit klar. Und die Verhรถrer der tschechischen Stasi kommen einem sehr vertraut vor, man kennt diese Typen ja schon aus den Erinnerungsbรผchern von Menschen, die in der DDR in die Mรผhlen der Geheimjustiz geraten sind. Und man fragt sich die ganze Zeit: Wie konnte es schon in den frรผhen 1950er wieder solche Typen geben? Haben die einfach nur die Ledermรคntel gewechselt? Hatten denn nicht alle die Nase voll vom unheilsamen Wirken der Gestapo?
Aber die neuen Diktatoren misstrauten ihrem Volk genauso wie die alten. Wenn also jemand vom โVolkโ spricht, sollte man verdammt misstrauisch werden. Das sind immer Leute, die Volk nur als Untertanen denken kรถnnen, als gehorsame Masse, die nicht aufmuckt, nicht kritisiert oder von den staatlich gewรผnschten Phrasen abweicht.
Und augenscheinlich finden sie immer wieder Leute, die fรผr sie auch die Drecksarbeit รผbernehmen, Menschen quรคlen, in den Wahnsinn treiben, zerbrechen. Man versteht die Wut der Masins, auch wenn man sich in einigen Szenen fragt: Sind die Polizisten, die sie erschieรen, nicht selber arme Schweine?
Aber wie will man das im Nachhinein bewerten? Die Atmosphรคre des Misstrauens ist รผberall spรผrbar. Der Verrat ist Staatsdoktrin. Und die dรผsteren Farben, die Novรกk und Jaromรญr 99 fรผr die Geschichte gewรคhlt haben, sind kein Zufall, selbst dann nicht, wenn sie nur ihr Empfinden fรผr diese von Argwohn zerfressene Zeit zum Ausdruck bringen. Vieles geschieht auch in der Nacht, auch die Jagd auf die Flรผchtenden in den Wรคldern vor Berlin.
Aber man darf auch nicht vergessen: Diese frรผhen 1950er waren eigentlich Hoffnungsjahre. Auch im Osten. Sowohl in Ostdeutschland als auch in der CSSR herrschte die Hoffnung auf eine Demokratisierung, sah man wirklich in eine friedliche Zukunft. Doch wรคhrend in Ostdeutschland die Stalinisten um Ulbricht an die Macht kamen, putschten sich die Kommunisten in der CSSR 1948 an die Macht und schufen eine Atmosphรคre der Einschรผchterung, aus der den Masin-Brรผdern nur die Flucht noch als Ausweg erschien. Wobei sie unterwegs auch Helfer fanden. Auch in Ostdeutschland fรผhlten sich Bรผrger nicht alle verpflichtet, den rabiaten Machthabern zuzuarbeiten.
Erstaunlicher ist eher, dass der Vorfall โTschechenkriegโ in der ostdeutschen รberlieferung kaum eine Rolle spielt. Was auch daran liegen kann, dass solche Ereignisse im eh schon schrillen Berichtston der ostdeutschen Zeitungen eher untergingen, denn dort wimmelte es ja von Nachrichten รผber Spione, Diversanten, Saboteure und โFรผnfte Kolonnenโ, zu denen alle mรถglichen Menschen gemacht wurden, die oft auch nur mit Bagatellen zu Verbrechern und Staatsfeinden aufgeblasen wurden. Selbst fรผr unbedachte รuรerungen und Protestaktionen gab es jahrelange Zuchthausstrafen.
Und nicht nur die Masins sahen ihre Hoffnung nur noch im Westen. Was umso bedrรผckender ist, weil die Geschichte auch zeigt, wie hier zwei Lรคnder mit lebendigen Menschen ihre Chance verloren, einen eigenen, selbstbewussten Weg in die Zukunft zu gehen. Stattdessen wurden farblose, gefรผhllose Funktionรคre installiert, die รผber โihrโ Volk wachten, als wรคre es ihr Eigentum, mit dem sie umspringen konnten, wie sie wollten.
Kein Wunder, dass die Geschichte um die kleine Widerstandsgruppe der Masins heute ihren Platz gefunden hat in der tschechischen Erinnerung. Gleich neben der Olympialegende Emil Zatopek, der Kafka-Konferenz und dem Prager Frรผhling.
Termintipp:
Die Kafka Band ist am Mittwoch, 20. Mรคrz, in der Schaubรผhne Lindenfels zu erleben bei der inoffiziellen Erรถffnung des Gastlandauftritts der Republik Tschechien. Beginn des Konzerts ist 21 Uhr in der Schaubรผhne Lindenfels, Karl-Heine-Str. 50. Eintritt: Tageskasse/Abendkasse, VVK/AK: 18,- / (erm. 16,- Euro).
Jan Novรกk Tschechenkrieg, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2019, 26 Euro.
Amerika: Im Elektronischen Sound des 20. Jahrhunderts in die magische Welt Franz Kafkas
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