Das Jahr ist rum. Und wieder hat Leipzigs emsigster Karikaturist Schwarwel jeden Tag gezeichnet, jeden Tag die Weltereignisse in ein Bild komprimiert. Und es ging ihm nicht allein so, dass er an manchen Tagen nur noch so ein Gefühl wie Blutwurst und Sauerkraut hatte, so ein deutsches Eintopfgefühl, weil sich deutsche Politikdarsteller nur noch in nationaler Krachlederpose inszenierten. So viele Witze kann man ja gar nicht zeichnen über diese besorgten Deutschhütchenträger. Oder?
Kann man. Nur wirkt das irgendwann gespenstisch. Genauso wie der Geistertanz auf unseren Bildschirmen, wo sich vor allem die faltigen weißen alten Männer abwechseln in Gesten der Intoleranz, der Selbstverliebtheit und der Unbelehrbarkeit. Wir werden ja alle älter, zusammen mit Schwarwel. Und eigentlich würde man erwarten – so 30 Jahre nach dem Jahr des großen Rausches – dass wir uns mit den gealterten Männern irgendwie eins fühlen, altersmäßig, betroffenheitsmäßig.
Aber je länger die Uhr tickt, umso fremder werden einem diese ganzen Holzhackermichel in ihren Betroffenheitsposen. Mit dieser Generation haben wir irgendwie nichts zu tun. Uns sind die protestierenden Kinder viel näher, die Waldbesetzer und bezopften Mädchen, die dem zeichnenden Genie über die Schulter schauen und fragen: „Kannste nich’ mal was andres machen als wie immer nur diese Witze gegen rechte Antidemokraten?“
Als wären wir 1989 alle in völlig unterschiedliche Hosenbeine der Zeit geraten. Die, die uns nah sind, zogen friedlich und fröhlich in eine Welt, in der Demokratie endlich möglich war. Und die anderen bogen griesgrämig nach rechts ab und hängen heute dort immer noch herum und machen einen auf wütend und besorgt, wedeln mit Deutschlandfahnen, obwohl ihnen all das, was diese Fahne der Republik verkörpert, zutiefst suspekt ist.
Das sind jetzt mal wieder so Nebenbeigedanken beim Durchblättern von Schwarwels neuester Sammlung der übers Jahr entstandenen Karikaturen, diesmal klar positioniert, nicht nur im Titel: „Die Demokratie den Demokraten!“. Ausrufezeichen ist wichtig. Denn was sollen wir mit all dem Gejammer, wir sollten die ach so besorgten Bürger irgendwie ernst nehmen, wenn von ihnen immer dann, wenn man ihre Position kritisiert, ein beleidigtes Mimimi kommt?
Was soll das?
Entweder reden sie mit uns auf Augenhöhe und wie richtige Demokraten und halten es aus, wenn man gegenhält. Das ist nun mal Demokratie. Oder sie stellen sich gleich in die Ecke und heulen ein bisschen vor sich hin. Denn mit dollen Lösungen zur Zeit glänzen sie ja wirklich nicht. Im Gegenteil. Man hört regelrecht, wie Schwarwel vor seinem Bildschirm stöhnt, wenn der nächste dumme Spruch in den üblichen Medien breit ausgewalzt wird. Und das Jahr 2018 war voll davon. War ja auch Bayern-Wahlkampf, da haben sich die Prachtochsen ja gegenseitig überboten mit dummen Sprüchen, auch gern gegen Frauen.
Hab ich schon gesagt, dass wir uns den Frauen noch näher fühlen nach diesem ganzen Gepranze der Lederhosenträger? War Gaulands wohlüberlegte „Vogelschiss“-Erklärung auch in diesem Jahr? Man kommt ja durcheinander. Mit der Karikatur über den wehleidigen Monothematiker am Kaffeetisch, der nur Fußball und Flüchtlinge als Gesprächsthema draufhat, hat Schwarwel ja im Grunde die ganze Erbsensuppe auf einen Punkt gebracht.
Wir hatten eine geradezu quälende Monokultur der Themen. Heute dieselbe Suppe wie gestern und vorgestern – da übersah man beinah, dass die kleine NSU-Braut Beate Zschäpe für eine Haftstrafe verknackt wurde, während sich das Gericht alle Mühe gab, vom Versagen der Ermittler und Verfassungsschützer abzulenken. Und davon, dass die Versager einfach so weitermachten wie bisher. Sie schützen ja ihre lieben Verbindungsleute im rechten Milieu.
Und dann kam ja auch noch die ganze Diesel-ist-ja-so gesund-Debatte mit einem Lungenarzt, der nicht rechnen kann und damit den Bundesverkehrsminister regelrecht beglückte.
Man könnte depressiv werden – so wie einer der Helden in Schwarwels Zeichnungen. Aber vielleicht ist das ja Absicht? Vielleicht sollen wir depressiv werden, damit wir den alten grimmigen Rechthabern am Tisch nicht mehr widersprechen? Oder gar von den mathematisch unbegabten Politikern verlangen, dass sie das tun, womit sie vom Volke beauftragt sind. Man vergisst ja bei all dem Gedödel auch glatt, dass die Mehrheit der Deutschen demokratische Parteien gewählt hat und nicht die Kahlköpfe mit Bierbauch. Aber in den Zeitungen wird debattiert, als wären diese braunen Stimmungstöter irgendwie die Mehrheit und hätten ein paar tolle Ideen für die Zukunft.
Woher dieser Eindruck kommt? In einer fetten Kari für den „Funkturm“ hat Schwarwel die üble Rolle von Facebook, Youtube und Co. zusammengefasst. Da tobt sich ja die selbstverliebte Bagage mit der Miene des Ich-weiß-alles-beser aus, vom Flacherdler bis zum Impfgegner und Merkel-muss-Wegler. Unsortiert, ungefiltert, eine digitale Soap-Opera, in der ziemlich viele Menschen sich jeden Tag ihr aufgepepptes Fertigfutter holen. Jeder an seinem Trog, vorgefiltert, auf dass sich Menschen mit unterschiedlichen Weltsichten gar nicht erst begegnen. Motto: „Filter dir deine Welt.“
Kein Wunder, dass diese alten Suppenlöffler glauben, sie wären die absolute Mehrheit, gar das Volk. Ein seltsames Volk, das sogar noch stolz darauf ist, sämtliche Warnhinweise im Kleingedruckten zu ignorieren. Ist ja Bevormundung von links oder von Staats wegen. „Durchgang für Klimaleugner“ steht auf einem Schild auf einer der letzten Karikaturen im Band, der noch einen Zipfel des Jahres 2019 mitnimmt, das uns ja mit Nachrichten von irren Skifahrern beglückte, die bei akuter Lawinengefahr in allen bayerischen Skigebieten trotzdem loszogen, weil sie echte Profis sind.
Die dann ausgebuddelt werden mussten. So ungefähr benehmen sie sich ja auf fast allen Gebieten des Lebens, zutiefst überzeugt davon, dass sie so clever sind, auch noch die dickste Lawine zu überleben, Masern, Pest und Pocken gleich noch dazu. Lauter durch nichts zu erschütternde Supermänner, die sich auch noch diebisch freuen, wenn wieder Meldungen über ertrunkene Flüchtlinge über ihre Bildschirme flackern. Oder beräumte Protestcamps gegen den Kohledinosaurier. Oder wie wär’s mit einer kleinen Spendenaffäre?
„Warum redet niemand über Kinderarmut?“, fragt ein kleines Mädchen seinen sichtlich besorgten Vater.
„Weil man mit Migration besser Stimmen fangen kann.“
Deswegen ist das so, deswegen gibt es jeden Tag dieselben Themen.
Darum bleibt einem so manche Spitze aus Schwarwels Feder im Halse stecken. Wird es manchmal bitter und manchmal auch rabenschwarz. Was auch eine Entdeckung ist, denn so ist die Welt ja nicht. Aber so ist das, was die graumelierten Herren mit ihrer Miene der falschen Besorgtheit anrichten in dieser Welt. Und wenigstens die Kinder lassen sich nicht mehr für dumm verkaufen. Deswegen gibt es das letzte karikaturistische Bekenntnis im Buch zu „Fridays for Future“. Beinah. Das fast allerletzte ist ein schweinevogeliger Aufruf zum Wählen-Gehen.
Offiziell erscheint der Band mit den Karikaturen und Cartoons von 2018/2019 am 15. März.
Schwarwel „Die Demokratie den Demokraten!“, Glücklicher Montag, Leipzig 2019, 12,90 Euro
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 64: Kopf hoch oder „Stell dir vor, die Zukunft ist jetzt“
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 64: Kopf hoch oder “Stell dir vor, die Zukunft ist jetzt”
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