Für den Jaron Verlag ist dieser „praktische Begleiter für Entdeckungstouren“ durch Leipzig ein Longseller: Er verkauft sich einfach gut. Denn als er 2011 aufgelegt wurde, hatte der Städtetourismus in Deutschland schon einen guten Lauf und Leipzig stand ganz an der Spitze der deutschen Städte, die auch englische Magazine als heißen Tipp zum Entdecken anpriesen. Deswegen gibt es ihn auch auf Englisch.
Den Inhalt hat Bernd Weinkauf zusammengetragen und versucht, ihn in kurze Texte zu pressen, was ja bekanntlich nicht immer einfach ist. Wie erzählt man die Geschichte der Nikolaikirche so, dass alles in einen kleinen Text neben großen Bildern passt? Und die Fotos sind das stärkste. Der kleine Ratgeber ist irgendwie genau das, was man machen würde, wenn man einen Städteführer, der in die Jackentasche passt, mit einem Fotobildband über die schönsten Ecken einer Stadt verschmelzen würde. Wer gern verreist, der weiß ja von sich selbst, dass es oft stimmungsvolle Fotos sind, die einen wirklich erst neugierig auf einen Ort gemacht haben. Fotos wecken unsere Fantasie, schaffen die Kulisse unserer Reiseträume.
Und Günter Schneider, der schon des Öfteren für den Jaron Verlag unterwegs war, hat auch Leipzig in solchen stimmungsvollen Momenten eingefangen – oder besser: all das, was man als Kurzbesucher gesehen haben sollte, wenn man zumindest eine Ahnung davon bekommen möchte, was an Leipzig markant ist und was auch im Stadtmarketing die Hauptrollen besetzt.
Bernd Weinkauf hat versucht, die 52 markantesten Sehenswürdigkeiten der Stadt aufzulisten – das, was die einen so gern „Highlight“ nennen und die anderen als Musst-du-gesehen-haben auch so gern posten und abfotografieren. All jene Orte, die im Selfie beweisen können, dass man da war. Auch wenn mancher gar nicht da war, weil er nur durchgerast ist und alles mit der Handy-Perspektive festgehalten hat. Da kriegt man dann oft erst beim Durchforsten der Dateien zu Hause mit, was im Hintergrund eigentlich zu sehen war.
Die Fotos allein plädieren eher fürs Flanieren und die Lichter auf sich wirken zu lassen. Und auch bei Schneider merkt man, dass ihn als Fotograf die Lichtinszenierungen der Stadt besonders interessieren – neben den Raumwirkungen, die auch mancher Leipziger nicht mehr mitbekommt, weil er sich eben kaum noch Zeit nimmt. Wenn einer langsam durch unsere City läuft, dann muss das ein Tourist sein. Geht gar nicht anders. Oder ein Eingeflogener aus ländlichen Gegenden, der es einfach genießt, dass man in Leipzig am Straßenrand sitzen und Eisberge verschlingen kann. Oder an sprudelnden Brunnen, während die Hiesigen vorübereilen mit fliegenden Jacketts, Schlipsen und Aktentaschen.
Aber allzu viele Einheimische sieht man nicht. Schneider hat sich sichtlich eher schöne ruhige Sonnentage ausgesucht, mit dem richtigen Licht und mit ein bisschen Ferienstimmung, die es sogar in Leipzigs City zu finden gibt. Erst recht für die Aufmerksamen, die nach den Lichtstrahlen schauen, die oben über einen chinesischen Pavillon, Goethes Nase oder die Glaskuppel in der Mädler-Passage huschen. Im Grunde ist es ein gemeines Buch. Nicht wegen der launigen Texte von Bernd Weinkauf, in denen er den Auswärtigen auch ein bisschen was über die Schrullen und Eigenheiten der Leipziger erzählt, sondern weil Günter Schneider den Leipzigern ihre Stadt zeigt, wie sie sie nie sehen dürfen – als ein Ort zum Bummeln, Innehalten und Freisein.
Was man ja nicht ist, wenn man hier in Büros oder an der Ladentheke arbeitet, Termine hat oder nach Feierabend noch Dinge besorgen muss, die man dringend braucht. Meist in Zeiten, wo das auch 100.000 andere Leipziger machen. Man lernt das Parcours-Laufen, das scharfe Bremsen und Mit-allem-rechnen. Auch mit Leuten, die vor einem unverhofft stehen bleiben und nach oben schauen – nach Hauszeichen, Giebeln und Erkern, die man in solchen Stadterkundungs-Büchern findet. Also lernt man auch: Haben die Leute so ein Büchlein in der Hand? Dann muss man aufpassen, dann kann man nicht einfach links überholen, sonst landet man in einer „O, sorry“-Situation.
Weinkauf und Schneider blieben natürlich nicht nur in der City, wo sich die Musst-du-gesehen-haben-Gebäude ballen – von Weinkaufs Spezial-Untersuchungsobjekt Auerbachs Keller bis zum Neubau der Universität und der faszinierenden neuen Paulinerkirche. Weinkauf hat auch die wichtigeren Ausflugsziele drumherum mit untergebracht – vom Bayerischen Bahnhof über den Vergnügungspark Belantis und den Botanischen Garten bis zum Völkerschlachtdenkmal und Zoo. Und manche dieser Ausflugsziele sind so zahlreich, dass er sie nur bündeln kann – etwa beim Waldstraßenviertel, dem Rosental oder – ganz groß – den Wasserstraßen, die keine Wasserstraßen sind. Man merkt schon, was andere Leute ständig erzählen. Leipzigs Selbstdarstellung ist gespickt mit etlichen Übertreibungen. Der Stadthafen ist noch lange kein Stadthafen, aber eine freigiebige Abteilung in der Verwaltung arbeitet ja daran. Im festen Glauben, der Wassertourismus müsse in Leipzig erst mal zu karnevalesker Größe aufgeblasen werden.
Das Buch zeigt aber anschaulich, dass da gar nichts aufgeblasen werden muss: Selbst die 52 „Highlights“, die Bernd Weinkauf aufgelistet hat, reichen völlig, um diese Stadt in der Tiefebene für Reisende aus allen Himmelsrichtungen interessant zu machen. Und ihnen das Gefühl zu geben, einen besonderen Ort auf Erden zu besuchen, dessen Abenddämmerung man unbedingt beim Bummel durch die gepflasterte Innenstadt erlebt haben muss.
Eine Stunde, die man in Schneiders Bildern mehrfach findet und die ja auch die Leipziger lieben, weil sie dann meist endlich das Bürolicht ausmachen und sich noch ein bisschen unters touristische Freisitzvölkchen mischen können, mal ein paar Minuten ohne Schaffensdruck und tickender Uhr im Nacken. Dann schafft man es auch mal, selbst nach oben zu schauen oder auszuwürfeln, ob man es am Wochenende mal wieder ins Grassi-Museum schafft oder ins Opernhaus oder ins Kleingartenmuseum.
Das jedenfalls erreicht das Buch: In schöner Bilderpracht zu zeigen, was in Leipzig alles herumsteht und Reisende aus aller Welt dazu bringt, ausgerechnet hierher zu kommen. Mal auf die ruhige Tour mit Antikenmuseum und Altem Rathaus, mal wegen der großen Feste, die hier so regelmäßig sind wie Kleinmesse und Weihnachtsmarkt.
Und wie es den Leipzigern geht, steht ja seit 90 Jahren hoch oben unter den Glockenmännern des Krochhauses, die den Heimischen alle Viertelstunde die Zeit schlagen: „Omnia vincit labor“. Was Bernd Weinkauf übersetzt mit: „Arbeit besiegt alles“, was die sächsische Variante von „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ ist. Also die strengere, woran die beiden Kerle mit den Hämmern erinnern, die aller Viertelstunde mahnen, dass man am Arbeitsplatz nicht träumen, sondern sich ranhalten soll. Sonst schafft man nämlich nix.
An Venedig denkt dabei wohl wirklich nur, wer mit Fotoknips und Stadterklärer unterwegs ist in Leipzig. Die huschenden Gestalten am Bildrand – das sind die richtigen Leipziger. Man erkennt sie auch daran, dass sie noch einen Schritt zulegen, wenn sich auch nur einer der beiden Glockenmänner anschickt, den nächsten Hammerschlag zu tun.
Bernd Weinkauf Highlights in Leipzig, Jaron Verlag, Berlin 2019, 10 Euro.
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