Das Leben als Kind ist voller kleiner Dramen. Und diese Dramen sind natürlich riesengroß und unendlich, so schrecklich, dass gleich da vorn alle Welt ganz und gar zu Ende ist. Furchtbar. Zum Schreien. Eltern kennen das nur zu gut. Noch sind alle Gefühle ungebändigt. Und am schrecklichsten ist das für die verzweifelten Kleinen, die noch nicht wissen, wohin mit der ganzen Not und mit sich. Zum Beispiel wenn sie nicht schlafen können – so wie Häschen.
Und dabei ist das ein ganz besonderer Tag: Zum ersten Mal darf Häschen bei seinem Freund Wusel übernachten. Das ist aufregend genug. Häschen hat sogar sein Lieblingskopfkissen mitgebracht. Es wird gespielt, getobt und – oh, Überraschung – nach dem Essen sogar aufgeräumt. Sandmännchen geguckt, Popcorn gefuttert, Zähne geputzt. Aber dann wird es wirklich Zeit zum Schlafen. Und da kommt auch ein Großer ins Grübeln beim Vorlesen: Ja, wie ist das eigentlich, wenn man in fremden Betten schläft? Und sich das auch wirklich anders anfühlt als zu Hause, nicht weich genug oder viel zu weich, es riecht anders, wenn in einem beim Augenzumachen so ein komisches Gefühl aufkommt und die Gedanken quirlen: Kann ich hier überhaupt schlafen?
Manchmal kann man das nicht. Irgendwie scheint Häschen ja doch etwas zu fehlen. Es ist zwar jetzt beim Wusel, aber Papa und Mama Hase sind nicht da. Auch wenn sich Wusel-Mama alle Mühe gibt.
Es ist eine scheinbar ganz kleine Geschichte, die Stina Wirsén hier aufgeschrieben hat – völlig ohne Prinzessin, Einhorn oder Drache. Das ganz normale Leben als Kind ist ja aufregend genug. Jeder Tag ist ein Abenteuer und alles, was man zum allerersten Mal erlebt, sowieso. Auch so ein Spieltag beim Wusel …
Und dann will da etwas in einem einfach nicht einschlafen.
Der Klett Kinderbuch Verlag hat gleich zwei Bücher von Stina Wirsén zur Buchmesse fertig. Das andere heißt: „Wer blutet denn da?“. Da geht es logischerweise um den nächsten Dramenkomplex im Leben der Kinder, das so ungefährlich ja nicht ist. Manchmal gibt es auch wirklich Böses in ihrer Welt, wovon ja schon das 2016 erschienene Buch „Klein“ von Stina Wirsén erzählte. Auch das wirkte schon durch die liebevollen Zeichnungen der schwedischen Autorin, in denen nicht nur der erwachsene Blick auf die kleinen niedlichen Wesen um uns herum steckt, sondern auch der neugierige und ungebrochene Blick der Kinder auf die Welt.
Denn diese frühen Jahre erleben sie ja als geschützte Welt. Wenn Hilfe gebraucht wird, ist immer jemand da. Mama und Papa sind in der Regel stets verfügbar, wissen, wie man Katastrophen beseitigt, Schmerz lindert und Wünsche erfüllt. Die Ahnung, dass es in der Welt doch etwas komplizierter ist und man nicht immer nur das kleine, stets umsorgte Kind bleibt, die kommt erst später – mit lauter Fragen.
Aber Häschen lebt noch in der Welt davor. Mit einer spannenden Vorlesegeschichte lässt es sich zwar noch ablenken von seiner Unruhe. Aber sowie das Licht ausgeht, ist alles wieder da. Es traut sich ja, beim Wusel zu schlafen. Aber wenn man sich schon trauen muss, dann ist auch die Unruhe nicht weit, die einen zappelig werden lässt. Und wenn Erwachsene sagen, dass das bei ihnen nicht so ist, dann schummeln sie. Nur haben die Großen ja gelernt, dass man auch mit einem halboffenen Auge und lauschenden Ohren schlafen kann. Das lernt man ja spätestens, wenn ein Häschen da ist, auf das man aufpassen muss.
Und Wusels Eltern sind ja genauso. Wer dieses kleine Häschen-Abenteuer von außen beobachtet hat, wird wohl lauter Bewegung in Wusels Kinderzimmer gesehen haben. Und im Elternschlafzimmer der Wusels nebenan auch. Spätestens da weiß man, dass die Autorin dieses Leben mit klappenden Türen und Kindern, die nicht schlafen können, nur allzu gut kennt. So ist es ja im richtigen Leben. Eigentlich aufregend genug. Da braucht man keinen Fernsehkrimi mehr und freut sich über jede Nacht, in der die Kleinen mal durchschlafen und nicht mit Bärchen im Arm aller zehn Minuten angetappelt kommen und Mama und Papa bei dem aufstöbern, was Mama und Papa so machen, wenn sie glauben, dass ihr Häschen endlich schläft.
Natürlich erzählen wir hier die Geschichte nicht zu Ende. Alle Eltern wissen, dass solche Geschichten viele Enden haben können. Aber fast alle haben sie damit zu tun, dass ein eigentlich redlich müder Mensch noch einmal in seine Tageskleider schlüpft und Dinge organisiert, die irgendwie dazu führen, dass Häschen doch noch beruhigt schlafen kann.
Und weil das alles so schön irdisch ist, ist das ein richtig schönes Buch für genau solche Abende, eins, das man dann Wusel oder Häschen vorlesen kann, um ihnen über die Schwelle des Schlafes zu helfen, da hin, wo die Kleinen angefüllt sind mit dem herrlichen Gefühl: Jetzt, ja, jetzt ist alles in Ordnung.
Stina Wirsén Wer kann denn da nicht schlafen?, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2019, 8,50 Euro.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 64: Kopf hoch oder „Stell dir vor, die Zukunft ist jetzt“
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