Es gibt sie noch: Die Journalisten, die wirklich recherchieren dรผrfen, deren Zeitungen stark genug sind, sie nicht nur fรผr Recherchen freizustellen, sondern ihnen auch den Rรผcken freihalten und am Ende auch noch Zeit geben, die Recherchen in ein dickes Buch zu packen. Und wenn man das Buch in der Hand hat, ahnt man, was drei Jahre Recherche im Netzwerk der Neuen Rechten bedeuten.
Christian Fuchs kennen L-IZ-Leser schon. 2012 hat er zusammen mit John Goetz ein profundes Recherche-Buch zur Terrorzelle โNSUโ vorgelegt, 2013 folgte der Recherche-Band โGeheimer Kriegโ, in dem sie รผber die geheimen Operationen der US Army von deutschen Stรผtzpunkten aus berichteten.
Es ist ja nicht so, dass Staat und Politik nicht wissen kรถnnten, was in unserem Land vorgeht. Doch gerade diese Bรคnde und das schnelle politische Schweigen darรผber erzรคhlen eben auch davon, dass Politik auch in Deutschland vor allem als Vertretung von Eigeninteressen verstanden wird, als Kabinettspolitik, die nichts erklรคrt und sich auch nicht wirklich dafรผr verantwortlich fรผhlt, dass Politik transparent wird und die Dinge fรผr alle Bรผrger, nicht nur die eigenen Sponsoren und โBeraterโ, in Ordnung kommen.
Eigentlich eine sehr demolierte Politik. Wobei man bei all den Lobhudeleien auf die Demokratie auch nicht vergessen darf: Es war noch nie anders. Die Rezepte, die Selbstverwaltung des Volkes von รผbermรคchtigen Eigeninteressen zu befreien, sind noch nicht gefunden. Dafรผr liegen die Rezepte, wie man Politik verzerren, รผberwรคltigen und vereinnahmen kann, seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Auch wenn das alles sehr neu wirkt, was da so ziemlich genau seit 2010 passiert. So neu, dass alleweil vรถllig verdatterte Demokraten an den Mikrophonen stehen und versuchen zu erklรคren, warum das hatte passieren kรถnnen.
Es ist ja nicht so, dass Christian Fuchs und Paul Middelhoff etwas aufgeblรคttert haben, was man so noch nicht wusste. Im Grunde hรคtten sie auch gleich noch ein Vorwort schreiben kรถnnen darรผber, wie empรถrt sie aus professioneller Sicht sind, dass alle Recherchen zum Thema Neue Rechte wieder so vรถllig ohne Folgen blieben. Bis Anfang 2019 zumindest, als das Bundesamt fรผr Verfassungsschutz endlich ankรผndigte prรผfen zu wollen, ob die AfD ein Fall zur Beobachtung ist. Die Frage dahinter: Ist diese Partei bestrebt, unsere Verfassung auszuhebeln und unsere demokratische Grundordnung zu zerstรถren?
Warum das so lange dauerte, obwohl dazu viele Fakten und bekannte Querverbindungen ins rechtsextreme Milieu seit Jahren bekannt sind, auch das wird etwas deutlicher, wenn die beiden โZeitโ-Rechercheure die Puzzle-Steine ihrer dreijรคhrigen Recherchearbeit sortieren und systematisieren. Und manche Geschichte kommt dem Leser natรผrlich schon ein bisschen bekannt vor, denn die beiden haben ja nicht bis zur Buchfassung gewartet, ihre Ergebnisse zu verรถffentlichen.
Vieles ist im Lauf der Zeit schon in der โZeitโ thematisiert worden. Kolleg/-innen bei anderen Medien haben ihrerseits Puzzle-Stรผcke zusammengetragen, die dann โ wenn man sie ins groรe Bild einpasst โ deutlich machen, dass alle die Erscheinungen, die unsere Gesellschaft scheinbar seit Tilo Sarrazins zusammengeschustertem Buch โDeutschland schafft sich abโ (2010), der Grรผndung der AfD (2013) und Pegida (2014) in Wirrnis stรผrzen, zusammenhรคngen. Hinter den Erscheinungen, die man medial wie einen Rechtsrutsch der ganzen Gesellschaft erlebt, stecken Netzwerker, die wissen, wie man es macht, wie man mit den zur Verfรผgung stehenden Mitteln schafft, die Hoheit in der gesellschaftlichen Diskussion zu erringen und ihre Themen bis in die Talkshows zu bringen.
Die dabei auch millionenschwere Unterstรผtzung von Geldgebern bekommen haben, die sehr wohl ein Interesse daran haben, dass Deutschland wieder ein autoritรคr regiertes Land wird. Und die viel frรผher als Mark Zuckerberg begriffen haben, wie man die Algorithmen der โsocial mediaโ dazu nutzen kann, mit wenigen Leuten und einigen Fake-Accounts die Diskussionen in den Online-Foren zu kapern und damit die Diskussion รผber jegliches Thema immer wieder in die Ecke zu drรคngen, in der die Kommentarspalten nur noch mit den radikalen Phrasen der Rechten รผberschwemmt werden.
Fuchs und Middelhoff lernten auch die Trollbrigaden kennen, die dafรผr verantwortlich waren. Sie haben sich nicht gescheut, mit all den Personen aus dem rechtsradikalen Milieu zu sprechen, die hinter jedem einzelnen der Phรคnomene stecken, die sie beschreiben โ seien es die Chefs der rechten Zeitungen und Magazine oder jene in den sehr agilen Organisationen von โEin Prozentโ, Institut fรผr Staatspolitik, Studienzentrum Weikersheim oder der Identitรคren Bewegung.
Und was in der medialen รffentlichkeit meist als singulรคres Phรคnomen behandelt wird, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein Netzwerk, in dem die wichtigsten Personen alle eng miteinander verbandelt sind. Dass etliche von ihnen im August 2018 beim โTrauermarschโ von Chemnitz auf einmal nebeneinander auftauchten, war kein Zufall. Chemnitz war fรผr die Strippenzieher der Szene der Moment, in dem sie es wagten, erstmals gemeinsam Arm in Arm in die รffentlichkeit zu gehen โ von Pegida-Grรผnder Lutz Bachmann รผber den AfD-Rechtsauรen Bjรถrn Hรถcke bis zum intellektuellen Strippenzieher der Neuen Rechten, Gรถtz Kubitschek.
Natรผrlich haben die beiden Journalisten auch mit ihm gesprochen, genauso wie mit den anderen Vordenkern der Neuen Rechten, die nicht nur Zeitungen, Magazine und Bรผcher produzieren, sondern auch Schulungen und Akademien abhalten und die theoretischen Grundlagen fรผr das legen, was wir seit zehn Jahren als Diskursverschiebung erleben.
Das reicht vom โCompactโ-Redakteur Jรผrgen Elsรคsser รผber โCatoโ-Verleger Karlheinz Weiรmann bis zu den Grรผndern von โEin Prozentโ und natรผrlich Gรถtz Kubitschek. Und etliche der Akteure sind schon viel lรคnger dabei Wege zu suchen, nationalistisches Gedankengut in Deutschland wieder hoffรคhig zu machen. Sarrazins Buch wirkte 2010 wie ein Brandbeschleuniger, die Grรผndung der AfD wie die Schaffung genau der Partei, die diese Intellektuellen von Rechtsauรen seit Jahren gesucht hatten, bei den eher grobschlรคchtigen rechtsradikalen Parteien wie der NPD oder den Republikanern aber nicht gefunden hatten.
Die AfD-Geschichte bekommt natรผrlich ein eigenes Kapitel, denn seit 2013 und dem folgenden Herausdrรคngen der einstigen Vorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry erlebte die Partei ja eine Radikalisierung im Eilzugtempo. Was Folgen hat, nicht nur in der Radikalisierung der Debatte und der Verschiebung des โSagbarenโ immer weiter in originรคr rechtsradikales Vokabular. Und als die Partei ab 2016 in immer mehr Landtage und am Ende auch in den Bundestag einzog, wurde sie auch noch zur groรen Beschรคftigungsmaschine fรผr Leute, die zuvor in wirklich rechtsradikalen Parteien und Splittergruppen aktiv waren.
Dass die AfD ins Blickfeld der Verfassungsschรผtzer geraten ist, hat nicht nur mit den (gezielten) รถffentlichen Entgleisungen zu tun, die mittlerweile schon wie ein Jargon wirken, den man eigentlich nicht mehr hoffte in Deutschland hรถren zu mรผssen. Etliche Mitarbeiter in den AfD-Fraktionen haben eine deftige Vorgeschichte in diversen rechtsextremen Vereinen, Verbรคnden und Kameradschaften, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Etliche haben auch schon ein entsprechendes Vorstrafengregister.
Je mehr Facetten die beiden Autoren zeigen, umso deutlicher wird, dass diese รberschneidungen mit den Rechtsextremisten kein Zufall sind, sondern Teil einer durchdachten Strategie, zu der die Aktionen in den โsocial mediaโ (samt Shitstorms, Memes und Trollen) genauso gehรถren wie die รbernahme originรคr linker Protestformen, die die Auftritte der Rechten auf einmal hipp, unkonventionell und jung aussehen lieรen. Obwohl selbst die medialen Produkte, die sie im Netz offerieren, geradezu gespenstisch kleinkariert wirken.
Denn am Weltmodell, das sie vertreten, hat sich ja seit 100 Jahren nichts geรคndert. Auch wenn an die Stelle des Rasse-Begriffs die โIdentitรคtโ getreten ist, manchmal auch โKulturโ oder โchristliches Abendlandโ. Schon Heinrich Heine hat sich ja รผber diese Spรคtromantiker bitter lustig gemacht, die das Heil der Welt in der Rรผckkehr in als idyllisch beschriebene Vorstellungen von Heimat, Familie, Kirche und strenger Hierarchie sahen. Das geht jetzt รผber das Buch hinaus, denn genau dieses Problem kann so eine Recherche ja nur antippen, denn irgendetwas an diesen mittelalterlichen Vorstellungen muss ja auch die Wรคhler ansprechen, ihnen wie eine heile Welt vorkommen in einer Moderne, die sie als heillos empfinden.
Und die augenscheinlich ansprechbar sind mit simplen Erklรคrmustern, die all ihre รberforderung mit einer kulturellen รberwรคltigung erklรคren, gar โรberfremdungโ oder gar โVolksaustauschโ. Erklรคrungen, die umso wirksamer sind, wenn sie auch noch in allen Medien thematisiert werden und ein ganzes Land statt รผber die Lรถsungen der Gegenwart รผber Auslรคnder und โMasseneinwanderungโ debattiert.
Das Buch macht sehr schรถn sichtbar, wie die intellektuellen Strategien hinter all dem funktionieren, wie sich die Kรถpfe dieses Netzwerks gegenseitig die Bรคlle zuspielen und wie sie systematisch auch daran arbeiten, sich mit nationalistischen Bewegungen in anderen Lรคndern zu vernetzen. Und zur Konsequenz dieser Strategie gehรถrt natรผrlich auch, unsere Demokratie selbst wie eine Diktatur erscheinen zu lassen, zu suggerieren, da gรคbe es eine โpolitische Eliteโ aus โAltparteienโ, die es zu vertreiben gelte. Politik ist zum grรถรten Teil immer Psychologie, ein Spiel mit Bildern. Die Phrase โLรผgenpresseโ und die Diskreditierung kritischer Medien gehรถren genauso dazu, verbunden mit der Selbstinszenierung als echter โWiderstandskรคmpferโ.
Wenn man diese grauhaarigen โWiderstandskรคmpferโ dann in den Parlamenten sitzen sieht, wird einem schon mulmig im Bauch. Erst recht, wenn Fuchs und Middelhoff sehr akribisch aufarbeiten, wie eng die Verbandelungen mit alten und nicht ganz so alten Kadern aus rechtsextremen Parteien und Kameradschaften sind.
Das Buch ist gespickt mit Geschichten, Namen, aufgedeckten Querverbindungen. Es zeichnet eine fast รผberwรคltigende Fรผlle von Vereinen, Magazinen, Agenturen und Netzwerkern auf, die alle an ein und demselben Projekt arbeiten: Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit wieder hoffรคhig zu machen und ihre Vorstellungen einer โgeschรผtzten Heimatโ in die Kรถpfe zu bekommen. Einer Gesellschaft, die all die liberalen Errungenschaften seit 1968 wieder einkassiert und durch Wertevorstellungen ersetzt, die aus Kaisers Zeiten stammen.
Und die vor allem โ so besonders von Gรถtz Kubitschek formuliert โ den Riss vertiefen will, der durch die Gesellschaft geht, also das Gegenteil einer offenen Debatte erreichen will, sondern genau das, was auch die Weimarer Republik zerrissen hat. Wenn nรคmlich nur noch die Extreme aufeinander einprรผgeln, bleibt vom offenen und respektvollen Gesprรคch, von dem eine Demokratie lebt, nichts mehr รผbrig.
Und so verzeichnet selbst das Bundestagsprotokoll seit Einzug der AfD immer รถfter ein hรคmisches Lachen genau aus dieser Fraktion, mit dem sie auch ihre Verachtung fรผr alles zum Ausdruck bringt, was die anderen sagen. Diese Verachtung kennen wir schon. Es ist die alte Weise, die sich nur wieder neu lackiert hat. Das Buch kommt zum richtigen Zeitpunkt und es beantwortet viele Fragen zum Zustand unserer Gesellschaft und dazu, wer davon profitiert.
Christian Fuchs; Paul Middelhoff Das Netzwerk der Neuen Rechten, Rowohlt Polaris, Reinbek bei Hamburg 2019, 16,99 Euro.
Rechte besprechen auf der Leipziger Buchmesse den Regimesturz + Video
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