Auf der Leipziger Buchmesse haben sie sich 2015 im Grunde gefunden: Die Lyrikerin Nora Gomringer und der Jazz-Musiker Philipp Scholz. Ist ja nicht so weit von guter Lyrik zum hingehauchten Jazz. „Peng Peng Peng“ hieß ihr erstes gemeinsames Lyrik-Jazz-Album. Nun ist ihre zweite Co-Produktion fertig und die entführt die Hörer in die Welt der amerikanischen Schriftstellerin Dorothy Parker. Kein Wunder, dass man sich dabei fühlt wie in einer Jazz-Bar der 1930er Jahre.
Nicht nur, weil Nora Gomringer auch dieses Schmachten draufhat, das sich im Gedächtnis so leicht verbindet mit den amerikanischen Songs dieser Zeit, ein wenig rauchig, ein bisschen hingebungsvoll, ein wenig kess und gegen den Strich gebürstet. Denn es war eine ironische Zeit, auch schon eine mit leichten Kratzern am Bild vom perfekten Mann.
Und dem der perfekten Frau wohl auch. Aber das sagte man damals lieber nicht so öffentlich, schon gar nicht in den etwas verklemmten USA, die sich gern modern gaben, wenn es um frische, geklonte Produkte ging – aber wenn es ums Familienbild ging, herrschte sichtlich noch ein spießiges Bild. Genau das, das heute noch immer aus der Kiste geholt wird, wenn ein Bild vom perfekten Familienleben gestanzt werden soll: Haus, Auto, Hund, Kinder und eine wie aus dem Ei gepellte Frau, die den Haushalt schmiss und ohne Murren die Herrschaft des Geldverdieners akzeptierte.
Ein Bild, das damals wie gesagt schon Brüche bekam. Aber irgendwie war es dennoch so wie heute: Wer wirklich deutlich wurde in seiner Kritik am falschen Gesellschaftsbild, musste mit Rausschmiss rechnen. 1920 wurde Dorothy Parker bei „Vanity Fair“ gekündigt, weil das Publikum ihre beißenden Kritiken nicht aushielt. Oder war es nur das Management, das den Spagat nicht hinbekam zwischen dem eigentlich sprechenden Titel „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ (gemaust bei William M. Thackeray) und einer jungen Kritikerin, die am liebsten Eitelkeiten aufspießte? Irgendwie sind Eitelkeiten sehr leicht gekränkt.
Und so verlor die spitzzüngige junge Frau ihren Job und wurde Schriftstellerin. Ihre Gedichtbände erschienen in den 1930er Jahren. Im Schweizer Dörlemann Verlag erschien 2017 eine von Ulrich Blumenbach übersetzte Auswahl ihrer Gedichte unter dem Titel „Denn mein Herz ist frisch gebrochen“.
Und daraus stammen die Gedichte, die Nora Gomringer nun ins Mikro gehaucht hat. Gedichte, bei denen man sich natürlich fragt: Ist das nicht schon echter Gomringer-Stil? Leicht sentimental, um die Gefühle der poetischen Seelen zu kitzeln, die da draußen ja auch noch herumlaufen und glauben, es gäbe die eine Liebe, Männer (und Frauen) müssten treu sein und der Liebespartner zumindest adrett, ansehnlich und vorzeigbar. Also so eine Art in Schuss gehaltener Gebrauchsgegenstand, der sich bitteschön attraktiv und vorzeigbar halten soll.
Die ganz Jungen unter uns wissen, wie einem dieser ganze amerikanische Schmalz durch den Kopf geht (und wie viele Influencer/-innen sich mit diesem Schönheits- und Vorzeigewahn goldene Näschen verdienen).
Ganz bestimmt hätte Parker diese Gedichte damals nicht in einer Jazz-Bar singen dürfen, sie hätte es mit den gut dressierten Herren und Damen im Publikum zu tun bekommen. Gedruckt liest sich das anders, eher wie der bissige Weltbefund einer desillusionierten jungen Frau, die so langsam die Nase voll hat, immerfort den falschen Schein inszenieren zu müssen und immer wieder mit irgendwelchen Jacks und Jims zu tun zu haben, die in der Bewertungsskala auf dem Markt der Partnerwahl immer ganz oben stehen – aber im Alltag eigentlich zu nichts zu gebrauchen sind.
Man kann sie nebeneinanderstellen oder -legen und findet immer am anderen noch ein besseres Qualitätssiegel, aber der, den man gerade hat, der kann eigentlich froh sein, dass er überhaupt noch im Wohnzimmer stehen darf. Es sind die Gedichte einer zutiefst frustrierten Hausfrau, die weiß, dass sie auch die Rolle als Hausfrau und Hüterin des Interieurs nur spielt. Und dass Männer nicht einfach nur schön herumstehen im Wohnzimmer, hat sie auch schon gemerkt.
So ganz listig hauchend holt Nora Gomringer die Dichterin in die Gegenwart, wo deutsche Star-Kolumnisten nun schon seit Wochen den Untergang ihrer Männlichkeit beklagen. Wahrscheinlich alles Neds und Donalds, die selbst mit Wampe und Halbglatze noch glauben, sie seien unersetzliches Mobiliar im Herzen ihrer Angetrauten.
Dorothy Parker hat die ihr Angetrauten ja bekanntlich in die Wüste geschickt, nicht jeden ganz, aber jeden so weit, dass er begreifen durfte, dass dieses Frauchen auch beißen konnte und sich nicht alles gefallen ließ, auch nicht das, was Männer so gut beherrschen, weil es so einfach ist: „Sie dirigieren und erziehn, / Sie tilgen, was dich einst empfahl / Sie machen krank, sie können mich mal.“
Die Texte sind der Scheibe beigelegt, man kann also mitlesen, was Nora mit ihrer unverkennbar kessen Art ins Mikrofon haucht, flötet und tiriliert, wissend, wie das reingeht ins Ohr, wie das runtergeht und bezaubert, weil es klingt wie eine tändelnde Parodie auf all die schönen alten englischen Liebeslieder von Shakespeare bis Shelley. Nur dass es bei Shakespeare auch schon so einen Schuss schmerzlicher Ironie gab, wenn er seine sauberen Verse über die Liebe und den oder die Angebeteten schrieb.
Das spürt man auch bei Parker, nun freilich mit der Lust der 1920er noch einmal gebrochen, denn man muss schon aufhorchen, wenn sie über ihren „dear little friend“ schreibt und ihn preist für seinen Stolz und sein edles Haupt – ihn dann aber doch zur Raison bringen muss, weil er das Kätzchen ärgert. Denn der Geliebte ist ein Hund. Der dann auch noch das Gassigehen verpasst.
Da muss also der Bello herhalten für den „verdammten Mann“, den es in der richtigen Ausführung einfach nicht gibt. Obwohl alle Sehnsucht auf diesen Einen wartet, von dem die Dichterin eigentlich weiß, dass auch der nächste Gockel nur ein Betrüger ist, einer der Herzen bricht, der Lady aber erzählt, er hätte nur Augen für sie.
„One of you is lying“, stellt Parker fest. Klingt das schon nach ABBA? Nicht wirklich. Bei ABBA klingt das alles fürchterlich ernst und vorwurfsvoll. Parker aber kennt das schon. Es ist bitterer Sarkasmus, der aber leider nichts daran ändert, dass sie dieses blöde Gefühl zum Weinen bringt. Obwohl sie doch all ihre Bissigkeit dazu verwendet hat, sich selbst klarzumachen, dass die Kerle zwar das ganze Herz ausfüllen können, aber eigentlich sind sie so „voller Tatendrang“ eigentlich nicht auszuhalten. „Und Liebe ist etwas, das immer gelingt / Und ich bin der Kaiser von China.“
Über diese Dichterin musste Nora Gomringer natürlich stolpern. Diese Bissigkeit kennt sie. Und sie hat hörbar ihren Spaß dabei, mit verführerischer Stimme die Männer im Publikum zu erschrecken, vielleicht auch die Frauen, wenn die noch im sentimentalen Zeitalter festhängen und glauben, Herz-Schmerz sei schon die Erfüllung.
Denn wenn frau alles auf diese Sehnsucht und diesen einen oder anderen Robin oder David setzt, dann bleibt am Ende nur noch der Frust, dieses Zweifeln am eigenen Aussehen und Sein. „Mein Herz ist hin, mein Geist ist leer / Ich mag mich wirklich gar nicht mehr … Ich schaudre, dass es Männer gibt / Ich bin bestimmt bald frisch verliebt.“
Da kommen auch schon einmal Mordgedanken auf. Oder Selbstmordgedanken. Die Möglichkeiten aber sind so blöd, dass man auch so enden kann: „Da kannst du auch leben.“
So ein bisschen klang Tucholsky damals. Ein wenig Brecht und auch ein wenig Kästner. Und es klingt so frisch, als wären gar keine 90 Jahre vergangen und nicht ganze Generationen von Jims und Jacks mit ihren Frauenerziehungsmethoden durch die Generationen marschiert – und Frauen nicht trotzdem meistens doch noch so schrecklich sentimental und darauf bedacht, es ihrem Hausherrn recht zu machen. Bis sie passend sind und widerspruchsfrei.
Kein Wunder, dass Nora Gomringer diese bissigen Texte faszinierend fand, und zwar in beiderlei Gestalt – dem englischen Original und der Blumenbach-Übersetzung, was in den Aufnahmen hübsch durcheinandergeht. Munter wechselt sie hin und her. Und man weiß nicht recht: Meint sie da nicht auch gleich noch ein paar eigene Jacks und Jims, die ihr im Leben vor die Füße kullerten und versuchten, die kesse Dichterin nach ihrem Geschmack „umzubauen“? Das klingt zuweilen mit, ja, fast ein bisschen ernst gemeint. Aber gerade deshalb funktioniert das ja so schön und man hat ein schönes Kribbeln im Ohr. So ein leicht verruchtes, das eben nicht in sentimentalem Sternschein endet. Sondern so hübsch unverhofft und aus sentimentalem Himmel: „Dreierlei bleibt mir mein Lebtag genug: / Lachen und Hoffnung, der Schuss vor den Bug.“
Also eine Scheibe für alle, die sich mal wieder vom üblichen romantischen Kladderadatsch erholen wollen. Und von der ganzen Optimierung für einen Markt der Eitelkeiten, auf dem es sichtlich nur um den schönen Schein geht, das fügsame Tierchen zu Füßen der großen Selbstdarsteller, die immer noch bestimmen, was aus dem Katalog bestellt wird und wie unsere Welt auszusehen hat. Eine langweilige, mit Nippes vollgestellte Kleinbürgerwelt, in der man bestens nachfühlen kann, wie Frauen wie Dorothy Parker sich fühlen. Immer noch fühlen. Kein Wunder, dass Dorothy Ausschau hält, wo der Ausgang aus der Hölle ist.
Nora Gomringer; Philipp Scholz Peng Peng Parker, CD inkl. Booklet mit allen Texten, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2019, 18 Euro.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 63: Protest, Vertrauen und eine gute Frage
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