Eigentlich ist es kein Postkartenbuch. Obwohl der Titel ā€žDas Alte Leipzigā€œ an einst beliebte Leipziger Postkarten-Serien erinnert. Die waren deshalb so beliebt, weil sie die lƤngst als ā€žromantischā€œ empfundenen Reste mittelalterlicher Bebauung zu einer Zeit festhielten, als Leipzigs Architektur sich in rasendem Tempo modernisierte. Das Ergebnis ist: Von historischen Bauepochen ist in Leipzig fast nichts mehr zu finden. Also macht sich Alberto Schwarz auf die Suche.

Denn zumindest in einem hat Leipzig GlĆ¼ck: Ab dem 16. Jahrhundert gibt es relativ viele Abbildungen, die Leipzigs Stadtentwicklung zeigen. Es gibt mehrere Stadtchroniken, die zu den HintergrĆ¼nden berichten. Und es gibt ā€“ mit der Zeit zunehmend ā€“ gute Abbildungen reprƤsentativer GebƤude, die das Stadtbild prƤgten.

Es ist trotzdem eine fast archƤologische Spurensuche, die Alberto Schwarz hier vornimmt. Denn von diesen Ƥlteren Bauschichten Leipzigs steht ja fast nichts mehr. Das Leipzig, das zum Beispiel Luther erlebte bei seiner Leipziger Disputation 1519 (die sich im nƤchsten Jahr zum 500. Mal jƤhrt), war ein fast nur aus Fachwerk und Lehm gebautes Leipzig, mit relativ niedrigen HƤusern. Was auf der Stadtansicht von 1547 sehr gut zu sehen ist.

Nicht nur die KirchtĆ¼rme Ć¼berragten die Stadt, auch das Alte Rathaus fƤllt auf ā€“ nebst einigen wenigen markanten HƤusergiebeln. Und trotzdem galt die Stadt als prƤchtig und eindrucksvoll. Mathias Gerung zeichnete sie ja schon zehn Jahre frĆ¼her fĆ¼r den reisenden Pfalzgrafen Ottheinrich von Pfalz-Neuburg. Da sieht man ein Meer von TĆ¼rmen ā€“ von denen die meisten TĆ¼rme Stadtbefestigung waren. Leipzig war eine geschlossene Stadt.

Die Blickrichtung, aus der Matthias Gerung zeichnete, sei nicht recht auszumachen, meint auch Alberto Schwarz. Aber die Verwirrung entsteht wohl durch die VorstƤdte, die damals noch standen und den Blick auf die Stadt verstellten. Im Schmalkaldischen Krieg 1547 wurden sie ja sƤmtlich niedergerissen, damit der Feind keine Unterkunft fand. Wir haben es trotzdem mit den ersten Bildern zu tun, die das spƤtmittelalterliche Leipzig zeigen in jener Ausdehnung, die die Stadt irgendwann im 13. Jahrhundert gewann.

Die Vor-Geschichte, aus der wir leider keine Bilder haben, schildert Alberto Schwarz auch noch einmal sehr prƤgnant. Man muss sich das Wachsen der frĆ¼hen Stadt halt im Geiste vorstellen, auch wenn die Nikolaikirche als Ƥltester Bau dieser neuen Stadt natĆ¼rlich bis heute existiert, mehrfach umgebaut und erweitert. Aber sie war nun einmal die erste Stadtkirche, die Kirche der Kaufleute.

Und bis in die Lutherzeit muss Leipzig wirklich das Bild einer richtigen mittelalterlichen Stadt geboten haben ā€“ leicht entflammbar, mit Tieren in den Hƶfen und Schweinen auf den StraƟen, unbefestigten StraƟen und sogar richtigen Landwirtschaftshƶfen in der Stadt. Ach ja: Und einer UniversitƤt, die seit 1409 ansƤssig war und sich an der RitterstraƟe ihre ersten, fĆ¼r die Zeit eindrucksvollen Kollegien und Bursen baute.

Sodass die ersten Bilder, die wir kennen, auch ein StĆ¼ck weit das wirklich mittelalterliche Leipzig noch zeigen.

Das 16. Jahrhundert aber war auch eine Zeit zunehmenden Reichtums. Und das bedeutete fortan eine nur zeitweise noch nachlassende BautƤtigkeit. Der Rat der Stadt lieƟ bauen, die reichen BĆ¼rger bauten, der KurfĆ¼rst lieƟ bauen. An Stelle des zerschossenen kurfĆ¼rstlichen Schlosses entstand die PleiƟenburg, das Rathaus wurde krƤftig umgebaut, das Zeughaus wurde aus Stein aufgerichtet.

Und mit einigem Genuss zitiert Schwarz immer wieder auch die ErlƤsse des Stadtrats, was die Feuergefahr und die Viehhaltung in der Stadt betrifft. Es muss wohl doch einige Zeit gedauert haben, bis die kleinen, aus Holz gebauten HƤuser mit ihren HolzschindeldƤchern verschwanden. Manchmal wurden sie gleich in Gruppen verdrƤngt, wenn reiche BĆ¼rger gleich mehrere GrundstĆ¼cke fĆ¼r ihren Neubau zusammenfassten.

Alberto Schwarz hat sein Buch in Kapitel gegliedert, die sich an den klassischen Architekturstilen orientieren, die sich alle mal im Bild der alten City zeigten ā€“ von der Renaissance Ć¼ber die barocken EinflĆ¼sse und das Rokoko bis zum SpƤtklassizismus, mit dem dann in Leipzig das Industriezeitalter begann. Deswegen tauchen am Ende nicht nur die UniversitƤtsneubauten, die Post, Lurgensteins Garten (wo Mendelssohn wohnte), das Rƶmische Haus und das Alte Theater auf, sondern auch die ersten Bahnhƶfe.

UngefƤhr mit dem Jahr 1840 macht Alberto Schwarz Schluss, nicht nur, weil es danach quasi ein ganzes Potpourri von Stilen in der Leipziger Architektur gab und die Stadt fast vƶllig umgekrempelt wurde, sondern weil in dieser Zeit auch endgĆ¼ltig die alten Stadtmauern verlassen wurden. Die Befestigungsanlagen verschwanden, die VorstƤdte entstanden und die Stadt erlebte eine Bevƶlkerungsexplosion, die sich im Rahmen der alten Kernstadt nicht mehr erzƤhlen lƤsst.

Und die dann auch dazu fĆ¼hrte, dass man die noch erhaltenen Ƥlteren BaubestƤnde sehr bald als mittelalterlich empfand und auch wenig Pardon kannte, sie grĆ¼ndlich zu beseitigen, wenn sie neuen kĆ¼hnen PlƤnen im Weg standen. Dass dabei Bauwerke entstanden, denen selbst nur ein kurzes Dasein beschieden war, machen markante Beispiele wie die BĆ¼rgerschule auf der Moritzbastei, das Paulinum der UniversitƤt oder das ā€žPlace de Reposā€œ am Eingang zur heutigen BosestraƟe sinnfƤllig. Es kam deutlich mehr Tempo in die Sache.

Standen einst markante BĆ¼rgerhƤuser zuvor jahrhundertelang an derselben Stelle und wurden nur ab und zu dem Zeitgeschmack und den neuen BedĆ¼rfnissen angepasst, blieben von den GebƤuden, die das Stadtmodell von Christoph Merzdorf von 1823 zeigt, kaum welche erhalten. Merzdorf hatte wohl die Zeichen der Zeit richtig erkannt, als er die ganze alte Stadt noch einmal grĆ¼ndlich vermessen lieƟ und nachbaute. Heute ist sein Modell das Bild einer Stadt, wie sie Robert Blum und Robert Schumann noch erlebten ā€“ fĆ¼r die heutigen StadtfĆ¼hrer aber einen ganzen Bilderkatalog mitschleppen mĆ¼ssen, wenn sie Touristen erklƤren wollen, was wo geschehen ist.

FĆ¼r die Leser ist das Buch natĆ¼rlich eine echte Zeitreise durch drei Jahrhunderte, in denen die Leipziger und ihre GƤste das GefĆ¼hl haben mussten, in einer sehr stabilen, kaum verƤnderlichen Welt zu leben. Menschenleben sind so kurz, dass sie nur immer einige wenige groƟe Baustellen erfassen. Aber selbst die kleinen VerƤnderungen summieren sich, und sie mĆ¼ssen sich auch in Luthers Zeit schon summiert haben. Oft bestimmt unter dem grimmigen DrƤngen des Rates, der natĆ¼rlich die Holzschindeln und StƤlle und Tiere aus der Stadt verbannt sehen wollte.

Die zunehmende Knappheit an Bau- und Wohnraum taten ein Ć¼briges dafĆ¼r, dass aus der Fachwerkstadt der Lutherzeit schon zu Goethes Zeit eine dicht bebaute Stadt wurde, in der die groƟen HandelshƤuser wie Burgen wirkten und Reisende trotzdem das GefĆ¼hl hatten, in einer fĆ¼r die Zeit modernen und ansehnlichen Stadt angekommen zu sein.

Und da viele dieser Bauten grafisch festgehalten wurden, nimmt Alberto Schwarz die Leser auch visuell mit in diese eigentlich verschiedenen ā€žAlten Leipzigsā€œ. Er erklƤrt, worin sich die Baustile unterschieden, was fĆ¼r Leipzigs Bautradition andererseits unverwechselbar war. So unverwechselbar, dass Dresdener GƤste manchmal glaubten, Leipzig sei vƶllig hinter der Zeit zurĆ¼ckgeblieben, die sich ja in der Landeshauptstadt in Ć¼ppigen PalƤsten und kƶniglichem Barock austobte. NatĆ¼rlich kommt auch die herrliche Anekdote drin vor, in der die Leipziger Ratsherren dem Kƶnig sein Lustschlƶsschen im Rosental ausredeten.

Ein bisschen Barock hat trotzdem Ć¼berlebt ā€“ in liebevoll restaurierten Relikten. Dasselbe gilt fĆ¼r Rokoko und Klassizismus. Das Buch lƤdt dazu ein, die alte Stadt mit Architekten-Augen zu suchen und zu finden. Was Alberto Schwarz auch deshalb leichter macht, weil er die ganz konkrete Bau- und Umbaugeschichte einzelner HƤuser erzƤhlt, von denen einige heute noch stehen. Sogar zwei der alten TreppentĆ¼rme, die das Renaissance-Leipzig noch prƤgten, haben sich erhalten. Verschwunden sind dafĆ¼r die einst typischen LaubengƤnge in den Innenhƶfen. Die alten Tordurchfahrten und Tonnengewƶlbe sieht man da und dort noch. Denn dass hier Handel getrieben wurde, war nun einmal prƤgend fĆ¼r die Stadt und bestimmte auch ihr StraƟenbild.

Und manches, was einst raumprƤgend war, haben die Fotografen des spƤten 19. Jahrhunderts auch noch im Bild festhalten kƶnnen, sodass Vergleiche mƶglich sind zwischen zeichnerisch festgehaltener Baupracht und dem spƤter oft von der Zeit geschliffenen GebƤude, dem Alberto Schwarz dennoch oft Baudetails ablesen kann, die der Laie nicht gleich sieht.

Die Bilder sind reich beigegeben. Wer sich auf diese Zeitreise macht, sieht wirklich die verschiedenen alten Leipzigs, kann sich auch vorstellen, wie sich ein Mensch in diesen Hƶfen und StraƟen gefĆ¼hlt haben mag. Oder beim Blick aus einem der typischen Leipziger Kastenerker, von denen heute nur noch ganz wenige erhalten sind. Das Buch jedenfalls macht Lust, diese Relikte im Stadtbild zu suchen, Erinnerungen an eine Stadt, die wesentlich enger war und wirkte, wo eisenbereifte Wagen auf Steinpflaster ratterten, Innenhƶfe dicht belegt waren von Handwerkern und Kleingewerbetreibenden und immer wieder Alt neben Neu stand.

Und das Neue war meist ein, zwei Stockwerke hƶher und gab den MaƟstab fĆ¼r die NachbargebƤude ab. Bauen war eigentlich eine DauerbeschƤftigung der reichen Leipziger. Nur Zeiten der Kriege sorgten in der Regel dafĆ¼r, dass die BautƤtigkeit fĆ¼r Jahre zum Erliegen kam. Manche Stadtstrukturen blieben scheinbar jahrhundertelang unverƤndert ā€“ und dann genĆ¼gten wenige Jahre, und der Platz war nicht mehr wiederzuerkennen.

Und manchmal fƤllt es auch heutigen StadtfĆ¼hrern schwer, die alten Orte in der heutigen Bebauung wiederzufinden. Man sucht das Alte Theater genauso vergeblich wie die Thomasschule oder das RanstƤdter Tor. Und wer sich nicht so heimisch fĆ¼hlt in diesen ganzen Leipziger HƤutungen, dem ist hier ein sehr Ć¼bersichtlicher Band gegeben, der ihn mitnimmt auf die architektonische Wiederentdeckungstour.

Alberto Schwarz Das Alte Leipzig, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2018, 29,80 Euro.

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