Wenn Thomas Leibe aus Halle ein Buch illustriert, dann könnte man beinah alle Texte weglassen, denn seine deftigen humorvollen Bilder erzählen selbst Geschichten. Man merkt seinen Bildern an, dass er im Herzen Karikaturist ist. Seine Karikaturen erscheinen z. B. im „Eulenspiegel“. Aber wenn er Kinderbücher illustriert, wird es erst richtig deftig. Motto: Wenn schon Spaß, dann richtig.

So hat er es mit den kleinen Geschichten von Jurij Koch gemacht, und so kann er es mit einer kleinen Zauberer-Geschichte von Klaus W. Hoffmann machen. Darin tritt der kleine Gandalfino auf, der im Zirkus seines Vaters seinen ersten großen Auftritt hat. Noch ist Zirkus ja eine Zauberwelt. Eine bisschen exotisch, ein bisschen geheimnisvoll. Ein Ort, an dem noch wundersame Dinge passieren können. In dem man noch offenen Mundes sitzen kann und einfach staunen. Und nicht alles wissen muss. Und auch nicht besserwissen. Ein bisschen Magie, auch wenn man eigentlich weiß, dass dahinter viele oft geübte Tricks stecken. Auch bei den kleinen und großen Zauberern.

Nur dass dem kleinen Gandalfino vor seinem ersten großen Auftritt eine Hexe begegnet. Rosa heißt sie. Und sie ist in ihrer Hexenschule sichtlich schon ein bisschen weiter als der kleine Gandalfino, sie erscheint ihm im Spiegel und lässt sich auch nicht wegzaubern. Und sie kündigt ihm an, dass sie am nächsten Tag ein bisschen hexen wird in der Zirkusvorstellung. So eine richtige Kindergeschichte eben. Wer möchte denn nicht zaubern können? Man könnte so tolle Sachen machen …

So recht glaubt Gandalfino das zwar nicht. Er hat ja mächtig üben müssen für seinen Auftritt. Aber was dann am nächsten Tag passiert, lässt ihn nur noch staunen, denn da hat wirklich jemand Spaß dabei, die eh schon verrückten Dinge noch verrückter zu machen – der Zirkusdirektor (Gandalfinos Vater!) muss mit den Löwen durch den Reifen springen, dem Jongleur verwandeln sich alle Keulen in Würste – ein Heidenspaß für hungrige Hunde!

Die Einradartistin bekommt es auf einmal mit einer Gans zu tun, das Seil des Seiltänzers verwandelt sich in Nudeln – und reißt. Und noch viel schöner wird es, als die Messerwerferin mit verbundenen Augen ihre Messer auf den berühmten Freiwilligen aus dem Publikum wirft. Das Bild von Thomas Leibe erzählt alles, was sich die Phantasie dazu ausmalen kann.

Im Grunde zeigt der begnadete Grafiker, was alles drinsteckt in so einer schönen kleinen phantasievollen Zirkusgeschichte für Kinder. Vielleicht kann er das auch besonders gut, weil er das Kind in sich bewahrt hat. Und die Freude an deftigen, emotionsgeladenen Bildern. Bildern, die selbst Geschichten sind, weil sie zeigen, wie sehr wir im geregelten Alltag auf Sparflamme laufen und genauso unsere Emotionen auf Sparflamme fahren.

Was uns meistens nicht gut bekommt. Es blubbert ja in uns allen. Und was ständig vor sich hinblubbert, das kocht irgendwann über. Dann werden aus kleinen Emotionen, die nicht herausdurften, weil wir immer starre Maske zum wilden Spiel machen, auf einmal große – meist gallegrüne oder donnerwetterschwarze Emotionen. Selbstgefällig, bräsig und miesepetrig. Lang aufgekocht, völlig versalzen. Was dann alle, die so mit ihrem emotionalen Haushalt umgehen, zu etwas macht, mit was man nicht in einer Straßenbahn sitzen möchte, weil es die ganze Zeit nach mieser Laune müffelt.

Manche halten das für Erwachsensein.

Dabei ist es nur ungelüftete Miesepetrigkeit. Mit der man auch Kinder verschrecken kann. Kinder machen ganz von allein einen großen Bogen um die großen Gräulinge und Schwergemüter. Sie lieben pralle, freche, farbenfrohe Geschichten. Solche wie diese, in der sich der erste Auftritt des kleinen Zauberlehrlings in die verrückteste Zirkusvorstellung aller Zeiten verwandelt – in der einige der Artisten zwar sehr erschrocken dreinblicken, wenn ihnen Unerwartetes passiert.

Aber irgendwo im Publikum muss eine kleine Hexe Rosa sitzen, die einen wahnsinnigen Spaß dabei hat, die Vorstellung außer Rand und Band geraten zu lassen. Nur halt nicht so, wie man es aus üblichen Kindertrickfilmen kennt, in denen hinterher alles kaputt ist und ein unsichtbarer Zeigefinger mit einem theatralischen Dudududu! aus dem Himmel kommt. Sondern mit echter Freude am Spaß. Der eben nicht in Chaos ausbricht.

Es ist eine Geschichte, die eigentlich auch von Achtung erzählt. Rosa will Gandalfinos Zauberkünste ja nicht wirklich blamieren. Sie will auch niemandem ein Leid tun. Am Ende bekommt der kleine Zauberer sogar noch einen Brief und lernt, wie er die kleine Hexe herbeirufen kann. Es könnte eine witzige schöne Freundschaft werden. Solche, wie man sie viel zu selten zulässt, wenn man groß und dumm geworden ist und meint, dass Status und Prahlerei die wichtigsten Zutaten fürs gemeinsame Saufen sind.

Es könnte anders sein. Auch das erzählt die Geschichte. Und manchmal können Mädchen besser zaubern. Und manchmal kann man sich einfach aus vollem Herzen freuen, dass man so eine verrückte Nudel zur Freundin hat wie die Hexe Rosa.

Klaus W. Hoffmann Der verhexte Zirkus, Lychatz Verlag, Leipzig 2018, 9,95 Euro.

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