Das Aus für den Elsterstausee kam 2017, als Leipzigs Stadtrat der Argumentation der Stadtverwaltung folgte, dass eine Rettung des Elsterstausees viel zu teuer wäre – 4 Millionen Euro allein wegen der neu zu bauenden Dämme. Damit scheiterten auch die Bemühungen des Fördervereins Elsterstausee, diesen einst beliebtesten Leipziger See zu retten. Aber wer erinnert sich noch? Das Buch hilft jetzt dabei.

Es erzählt die ganze Geschichte. Von Anfang an. Und das ist die Geschichte des Umgangs der Stadt Leipzig mit seinen wilden Gewässern, die einst auch für Hochwasser in der Aue sorgten und ab den 1920er Jahren vor sich hin zu stinken begannen. Da hatte man zwar schon 70 Jahre lang daran gearbeitet, dem wachsenden Leipzig durch eine Regulierung der Flüsse einen Hochwasserschutz zu verschaffen.

Dafür war die Reinigung der Abwässer noch rudimentär. Eine erste Klärstufe hatte das neu gebaute Klärwerk im Rosenthal zwar – aber dennoch liefen die Abwässer der Stadt in einem Zustand in den Fluss, der heutzutage als kriminell gelten würde.

Aber gerade mit der 150 Jahre alten Geschichte der Flussregulierungen, die in diesem faktenreichen Bild-Text-Band Thomas Nabert erzählt, wird deutlich, wie viel Wissen schon im 19. Jahrhundert über Flüsse vorhanden war, die man durchaus in ihrer Rolle als große Reinigungsmaschinen verstand. Flüsse können mit einer gewissen Fracht von Verunreinigungen umgehen – erst recht, wenn sie noch sehr naturnah sind und die nötige Vielfalt an Wassertieren, Wasserpflanzen und Ufergrün ausbilden können.

Viel haben Leipzigs Flüsse heute nicht mehr davon. Und als in den 1920er Jahren so langsam die chemische Industrie im Süden von Leipzig ihre Arbeit aufnahm, waren Elster und Pleiße doppelt belastet. Wollte Leipzig also nicht sofort Millionen in die Aufrüstung des eigenen Klärwerks stecken, musste es einen Dreh finden, die Weiße Elster schon vorm Durchfließen des Stadtgebietes sauberer zu bekommen.

Und da half ein Projekt aus dem Ruhrgebiet, wo man schon vorher negative Erfahrungen mit den Abwässern der Industrie gemacht hatte. Die Ruhr stank nicht nur zu Himmel, sie war auch eine richtige Seuchenquelle für das Ruhrgebiet. Bis man drei große Seen anlegte, die die Klärung des hochgradig verschmutzten Flusses übernahmen. Und genau das Modell wurde mit dem Elsterstausee übernommen.

Mit vielen Fotos und vielen Details zu diesem riesigen Bauprojekt, das noch in der Spätzeit der Weimarer Republik begonnen wurde, nimmt Thomas Nabert die Leser mit in die durchaus spannende Vor-Geschichte des Sees, der den meisten Leipzigern nur noch als Bade- und Anglersee in Erinnerung ist, aber nicht als gigantische Flussreinigungsanlage für die Elster, die ab Mitte der 1930er Jahre bewies, dass sie tatsächlich funktionierte.

Gleichzeitig verschwand jener Flussabschnitt der Weißen Elster, der die Leipziger Planer immer geärgert hatte, denn hier floss die Weiße Elster als „Wilde Elster“ durch ein naturbelassenes Stück Landschaft, was ihr einen wildromantischen Anschein gab. Gleichzeitig hatten sich hier aber auch lauter Steilufer und Sandbänke ausgebildet, die bei Hochwasser in Massen abgetragen wurden und mit dem Fluss ins Stadtinnere flossen und dann – in das frisch gebaute Elsterbecken stürzten.

Das Elsterbecken war – neben seiner Funktion als Hochwasserschutz – auch als Sedimentfalle gebaut worden. Das wollten die damaligen Planer tatsächlich und eine Zeit lang wurden die Sedimente auch eifrig abgebaggert, um damit innerstädtisches Gelände aufzufüllen.

Aber schon damals wurde das der Stadt zu teuer. Woran sich ja bis heute nichts geändert hat. Anfangs freuten sich auch Segler und Ruderer über das große Wasserbecken – bis ihnen das Wasser unterm Kiel abhanden kam. Der Bau des Wagnerhains, der die Sportler erst recht vertrieb, folgte ja dann in den 1930er Jahren. Und mittlerweile ist zumindest denen, die sich damit beschäftigen, klar, dass eine Verwandlung des breiten Beckens in einen natürlichen Fluss die beste und preiswerteste Lösung wäre.

Hier haben wir darüber geschrieben:

Was macht der Fluss im Elsterbecken?

Aber staunen darüber, wie eng die Geschichte des Elsterstausees mit der des Elsterbeckens zusammenhängt, darf man trotzdem. Und schon in den 1930er Jahren war klar, dass die Klärung des Elsterwassers im Elsterstausee mit seinen vorgeschalteten Absetzbecken so gut funktionierte, dass man auf der Nordseite des Sees problemlos baden konnte. Nur für einen weißen Sandstrand fehlte damals noch das Geld. Dafür fuhren die ersten Boote auf dem Wasser und die Leipziger träumten von einer Verlängerung der Straßenbahn von Knauthain direkt ans Seeufer.

Sie träumten auch deshalb davon, weil der Elsterstausee wirklich das erste, das allererste große Badegewässer war, das Leipzig bekam. Bis in die 1920er Jahre noch hatten die Leipziger in den Flüssen gebadet – auch am Elsterbecken im legendären „Lido“. Aber mit der industriellen Verschmutzung der Flüsse war Schluss damit. Der Elsterstausee erfüllte also einen großen Traum, auch wenn es den Badestrand erst nach dem Weltkrieg gab. Aber danach war der See das Badeparadies der Leipziger überhaupt.

Vor der Freigabe des Kulkwitzer Sees in den 1970er Jahren gab es nichts Vergleichbares. Logisch, dass man mehrere fast euphorische Beiträge über die Rolle des Sees als Bade- und Seglerparadies im Buch findet. Und noch erstaunlicher: die große Geschichte der Fischzucht im See. Denn da ja auch lauter organische Materialien mit der Elster in den See gespült wurden, wurden die ausgesetzten Fische binnen eines halben Jahres groß und schwer und deckten augenscheinlich den Fischbedarf der halben Republik.

Und das alles endete auch nicht, als der See in den 1970er/1980er Jahren regelrecht halbiert wurde – der Zwenkauer Tagebau fraß den kompletten Südteil, der See verlor seinen Elsterzufluss und war fortan auf eine Wassereinspeisung aus dem Tagebau angewiesen. Was bis in die 1990er Jahre problemlos ging.

Im Grunde bedeutete das Ende des Kohlebergbaus in den Tagebauen Cospuden und Zwenkau auch das Ende des Sees. Das wird nicht so explizit gesagt, wird aber deutlich, wenn die Mitstreiter des Fördervereins Elsterstausee gegen Ende der schönen Geschichte davon erzählen, wie sie um die Sicherung des Wasserzuflusses kämpften.

Und so nebenbei wird mit einer alten Legende aufgeräumt, der Seeboden sei löcherig geworden und deshalb verschwände das Wasser aus dem See. Man merkt schon: Auf einige Argumente der Leipziger Stadtverwaltung sind die Mitstreiter des Fördervereins überhaupt nicht gut zu sprechen. Ein bisschen fühlten sie sich am Ende auch gelinkt. Denn gegen ein 4-Millionen-Euro-Argument, mit dem die Stadt am Ende operierte, konnte man nicht mehr opponieren.

Dabei hatte sich der Seeboden seit dem Bau Anfang der 1930er Jahre nicht verändert. Es war ja kein ruhendes Gewässer, sondern so geplant, dass jeden Tag tausende Kubikmeter Elsterwasser hindurchfließen konnten. Das Wasser war also immer da – außer wenn der See abgelassen wurde, um ihn abzufischen. Schwierig wurde es erst, als der See seiner ursprünglichen Funktion enthoben wurde. Ab da musste der Wasserzufluss neu geregelt werden, was nach dem Auslaufen des Tagebaus Zwenkau ab 1999 schwierig war. Dabei hatte die Stadt die 1990er Jahre sogar genutzt, um den See zu einem ökologischen Schmuckstück zu machen.

Aber bald stellte sich heraus, dass der Pumpenbetrieb teuer war. Das war dann das Hickhack in den frühen 2000er Jahren, das dann 2008/2009 tatsächlich dazu führte, dass die Pumpen abgestellt wurden und der See begann zu verlanden. Das war auch der Zeitpunkt, als der Förderverein sich gründete und mit durchaus belastbaren Ideen an die Öffentlichkeit ging, das Wasser im See dennoch dauerhaft zu sichern. Da war noch nicht von Millionen die Rede, sondern eher von 600.000 Euro.

Aber wie sagt doch Ingo Sasama, der heute die Ausfluggaststätte „Zum Flotten Radler“ am Nordufer des Sees betreibt: „Wenn die Verwaltung nicht will, will sie nicht.“

Keine ganz neue Erfahrung.

Dabei sah nicht nur der Förderverein gute Chancen, den Elsterstausee als wirklich ruhiges Erholungsgewässer zu betreiben und als Paradies für alle, denen es am benachbarten Cospudener See zu laut und zu hektisch ist. Aber irgendwie war der Stausee für Leipzigs Verwaltung ein See zu viel.

Wobei zwar die Geschichte als See zu Ende ging mit dem ablaufenden Wasser. Aber mittlerweile ist ein neues Biotop auf dem Seegrund entstanden, die Schafherde von Kerstin Doppelstein findet hier leckeres Futter und erste Pläne, den See dauerhaft zu einem Erlebnisbiotop umzugestalten, gibt es auch schon.

Genauso wie kühne Pläne, am Nordufer ein Heckenlabyrinth anzupflanzen und einen Abenteuerspielplatz zu bauen. Und auf der Tagesordnung steht auch der mögliche Neubau des Elsterradwegs direkt auf dem Westdamm des Sees, der zugleich Ostdeich für die Weiße Elster ist. Denn dann käme man hier auf direktem Wege weiter zur Erikenbrücke und zum Zwenkauer See.

Das Buch endet also nicht wirklich mit einem Abschied. Nur die Zeit als Wasserparadies endete. Die Zukunft wird etwas anders aussehen. Aber sie ist schon skizziert, das Buch klingt also nicht in Moll aus, sondern eher in einem frohgemuten „Packen wir’s an.“

Und für alle, die den See noch mit Segelbooten, Schwänen und Rettungsschwimmern erlebt haben, ist es ein kompaktes Stück Erinnerung. Und für viele wird es eine erhellende Reise in die Geschichte sein, die in dieser Detailfülle auch die älteren Leipziger nicht mehr kennen dürften.

Förderverein Elsterstausee, Pro Leipzig (Hrsg.) „Der Leipziger Elsterstausee. Seine Geschichte vom Anfang bis zum Ende“, Pro Leipzig, Leipzig 2018, 24 Euro

Alle Beiträge zum Elsterstausee.

Eine Muntermacher-LZ Nr. 61 für aufmerksame Zeitgenossen

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