Man darf durchaus staunen, wie schlecht erforscht die sächsische Geschichte tatsächlich noch ist, auch wenn alle naselang ein neuer Prachtband über August, die Gräfin Cosel oder das schöne Elbflorenz erscheint. Da schreibt so mancher nur von anderen ab und hübscht es auf. Deswegen fällt es richtig auf, wenn sich ein Historiker wie Alexander Querengässer einmal intensiv mit der Aktenlage zu Friedrich dem Streitbaren beschäftigt. Kennen Sie nicht? Dabei gäbe es ohne ihn gar keinen Freistaat Sachsen.
Denn er ist der Bursche, der 1423 die sächsische Kurwürde von König Sigismund erhielt. König Sigismund kennen Sie wahrscheinlich auch nicht. Er gehört zu den nicht ganz so ruhmreichen deutschen Königen, Sohn des am Ende glücklosen Königs Wenzel. Seine Machtbasis war Böhmen.
Genau jenes Böhmen, das 1419 mit dem ersten Prager Fenstersturz schlagartig auf der Bühne der mitteleuropäischen Geschichte erschien. Vorhergegangen war dem 1415 die Verbrennung von Jan Hus auf dem Konzil von Konstanz.
Eben jenes Jan Hus, der 100 Jahre später für Luther so wichtig werden sollte. Luthers Reformationsansatz war in Böhmen schon 100 Jahre früher erfolgreich – wurde aber massiv bekämpft. Auch die Wettiner befürchteten, dass diese neue Lehre auf ihr Territorium übergreifen könnte.
Und deshalb waren die letzten Lebensjahre von Friedrich dem Streitbaren von Krieg überschattet. Aber die Hussitenkriege bescherten ihm auch den Kurfürstentitel- und Sachsen übrigens sein Wappen. Vorher trugen die Askanier die sächsische Herzogswürde und besaßen seit 1356 auch die Kurwürde. Sie herrschten im heutigen Sachsen-Anhalt.
Und wäre Albrecht II. von Sachsen-Wittenberg nicht so früh gestorben, wäre Friedrich IV., damals noch Markgraf von Meißen, auch nicht zur Kurfürstenwürde gekommen. Obwohl er zielstrebig darauf hinarbeitete und sogar noch mit ansehen musste, wie seine heftigsten Gegner, die Burggrafen von Nürnberg, noch viel eher zur Kurwürde kamen, indem ihnen das Land Brandenburg zugesprochen wurde. Genau hier beginnen die alten und am Ende für Sachsen so nachteiligen Konflikte mit den Hohenzollern.
Es erstaunt schon, dass es aus neuer Zeit keine einzige Biografie über Friedrich IV. gibt, der sich als Kurfürst dann Friedrich I. nennen konnte. Den Titel „der Streitbare“ verlieh ihm erst die Nachwelt, ob wirklich in Bezug auf die vielen Fehden mit den meißnischen Rittern und Grafen, ist da wohl eine Frage. Querengässer hat alle diese Fehden im Anhang seines Buches aufgelistet.
Sie erzählen von einem Prozess, der in Geschichtsbüchern auch eher selten erzählt wird: der Durchsetzung der wettinischen Hausmacht, die aus den Wettinern erst eines der mächtigsten Fürstengeschlechter im Heiligen Römischen Reich machte. Und Friedrich war unter diesen zielstrebig agierenden Wettinern wohl einer der konsequentesten.
Im Zentrum stand das Lehnsrecht, das den Adligen im Land ihre Souveränität nahm und sie rechtlich zu Dienstbaren des Landesherrn machte. Etliche Adlige fügten sich dem aus freien Stücken, andere ließen sich ihr Besitzrecht abkaufen. Wieder andere aber – wie die Grafen von Dohna – wehrten sich mit Gewalt.
Was Querengässer auch zu einigen schönen Seitenreflexionen zum Raubrittertum bringt, das damals noch weit verbreitet war. Adlige wehrten sich nicht nur gegen die forcierte Unterordnung unter den streitbaren Landesherrn, manche versuchten so auch ihre finanziellen Probleme zu lösen.
Und da stolpert man dann auch gleich noch über so ein schönes Wort wie Landfrieden, das heute noch so gern von der Polizei benutzt wird, ohne dass recht klar ist, was die Polizei damit jedes Mal meint. Man muss ja nur am falschen Ort stehen oder sitzen und schon hat man eine Anklage wegen Landfriedensbruch am Hals.
Zu Friedrichs Zeiten hatte das Wort noch eine reale Bedeutung, denn vertraglich verpflichtete der Lehnsherr seine belehnten Adligen zur Einhaltung des Landfriedens, also zum Verzicht auf die gewalttätige Durchsetzung ihrer Interessen. In diesen Landfriedensordnungen wurde auch festgelegt, welche Gerichte im Streitfall zuständig waren. Landesherren wie Friedrich IV. schufen also das erste funktionierende Polizeisystem in diesem Gebiet.
Auch das erfährt man bei Querengässer so erstmals plastisch. Und dass er es erzählen kann, ist natürlich echte Fleißarbeit – er hat alles durchforstet, was heute (noch oder wieder) aus den alten Archiven der Wettiner und ihrer Standeskollegen greifbar ist. Es ist zwar vieles in diversen Kriegswirren verschollen.
Aber was noch zu finden ist, zeigt die zielstrebige Arbeit eines jungen Wettiners, der anfangs nur das Osterland verwaltete, da die Mark Meißen zwei Generationen vorher unter drei Brüdern geteilt worden war – mit den üblichen Konflikten und Querelen. Aber da die Familie noch versuchte, ihr Ererbtes beisammenzuhalten, konnte Friedrich das Erbe seines Onkels Wilhelm antreten und damit in etwa den Raum des heutigen Sachsen zu seinem Herrschaftsgebiet machen.
Da wirklich persönliche Lebenszeugnisse fehlen, kann Querengässer nur versuchen, die Persönlichkeit dieses Fürsten aus den überlieferten amtlichen Schreiben zu rekonstruieren. Aber indirekt erzählen sie eben doch von einem Herrscher, der einige der so typischen sächsischen Eigenschaften an den Tag legte: er war sparsam und kam lange Zeit ohne großes Schuldenmachen aus.
Die Belege für seine großen Schuldenaufnahmen stammen fast alle aus der Hussitenzeit, die sich aber überschneidet mit der Zeit, da Friedrich als Kurfürst seine Landesherrschaft festigen musste. Die Kreuzzüge gegen die Hussiten kosteten eine Menge Geld. Und Querengässer kann erstaunlich detailliert vorrechnen, wie sich das damalige Kriegswesen eigentlich finanzierte, wie es zu den Kriegssteuern kam und wie Lehnsleute und Städte in dieses System eingebunden waren.
Und gleichzeitig kann er zeigen, dass auch hier Friedrich ein Mann des Übergangs war, wie aus dem alten, mit lehnspflichtigen Rittern geführten Krieg, der modernere, mit bezahlten Söldnern (die oft auch wieder nur Ritter waren, die sich auf diese Weise als Söldner verdingten) geführte Krieg wurde.
Und während die zunehmende Gefahr durch die Hussiten Friedrich zu modernerer Kriegsführung zwang, nutzte er gerade in den Konflikten mit anderen Fürsten und seinen eigenen Adligen gern die Macht des Geldes, kaufte Verpflichtungen auf, löste alte Verträge aus. Man taucht in eine Welt ein, in der mit Geld durchaus auch sehr bewusst als Verhandlungsmasse umgegangen wurde. Und wenn Friedrich sich aus einem ewig nicht lösbaren Konflikt nicht lösen konnte, dann nahm er lieber einen Kredit auf und kaufte sich frei.
Und wir lernen Friedrich als einen Mann kennen, der wusste, wie wichtig die wirtschaftliche Kraft seines Landes war, weshalb er sich nicht nur um neue Erzlagerstätten bemühte, da der Silberbergbau um Freiberg sichtlich schwächer wurde, er sorgte auch mit Verträgen dafür, dass die Handelswege durch Sachsen sicherer wurden – also nach Leipzig, der Messestadt des Herzogtums, die damals noch lange nicht den Rang Erfurts erreicht hatte. Auch davon kann Querengässer erzählen.
Eins wird sichtbar: Ein schriftloses Zeitalter war das nicht, auch wenn die Erfindung des Buchdrucks à la Gutenberg noch ausstand. Aber Friedrich war in dieser Hinsicht ein moderner Fürst, legte Wert auf eine professionelle Kanzlei und auf eine saubere Archivierung. Denn nur was im Archiv nachweisbar war, belegte auch alle Rechte und Pflichten des Fürsten und seiner Untertanen.
Und so nebenbei kann Querengässer auch von der längst existierenden Landschaft (höherer) Schulen in den sächsischen Städten erzählen. Und als sich 1409, nach dem Auszug der Professoren und Studenten aus der Prager Universität, die Gelegenheit bot, griff Friedrich zu, besorgte sich das Einverständnis des Papstes und stellte in Leipzig nicht nur Häuser zur Verfügung, sondern bezahlte auch die ersten 19 Professoren. Womit die Leipziger Universität binnen kurzer Zeit zu den führenden Universitäten des Reiches aufstieg.
Es ist erstaunlich, was Querengässer aus den eigentlich trockenen Dokumenten der Zeit alles herausfiltrieren kann. Bis hin zu Friedrichs Heirat mit der viel jüngeren Katharina von Braunschweig-Lüneburg, die eben nicht nur zur Mutter seiner Kinder wurde, sondern augenscheinlich eine ganz zentrale Rolle an seinem Hof spielte und ihn auch problemlos vertreten konnte, wenn er auf Reisen war – etwa auf seiner Huldigungsreise nach Ungarn zu König Sigismund, um ihm dort für die Ernennung zum Kurfürsten zu huldigen.
Eine monatelange Reise unter Umständen, die sich heutige Flieger und Bahnreisende eigentlich nicht vorstellen können. Und mit fürstlichem Aufwand, ganz ähnlich wie seine Reisen zu diversen Reichstagen oder in seiner Jugend nach Preußen zum Heerzug gegen die Litauer.
Auf einmal entfaltet sich ein ganzes Panorama, die Farbenpracht eines Fürstenlebens. Und nicht nur die eines auf Prunk versessenen Fürsten, sondern eines, der augenscheinlich großes diplomatisches Geschick besaß, aber auch den Durchsetzungswillen, das Haus Wettin unter den mächtigen Fürstenhäusern des Reiches zu etablieren.
Man kann nur ahnen, wie er sich gefühlt haben muss, als er gegenüber den Burggrafen von Nürnberg auf einmal benachteiligt wurde bei der Vergabe der Kurwürde. Und wie stolz er auf seine Frau gewesen sein muss, wovon indirekt die reiche Absicherung Katharinas erzählt mit Gütern, Dörfern und Einkünften im Raum Grimma.
Womit Querengässer auch mit dem alten Märchen aufräumt, Katharinas Lebensmittelpunkt sei die Burg Mildenstein bei Leisnig gewesen. Alle Dokumente deuten darauf hin, dass Katharina ihren Lebensmittelpunkt in Grimma hatte. Und damit auch Friedrich, der eben – gezwungen durch die Tatsache, dass er noch nicht über eine moderne Landesverwaltung verfügte – noch ein sehr mobiler Fürst war und Konflikte im Land noch durch persönliche Anwesenheit klärte.
Und da er die Burg von Meißen erst spät erwerben konnte und sich dort erst einmal auf den Ausbau von Dom und Grablege fokussierte, liegt es für Querengässer nahe, dass seine am häufigsten genutzte Residenz eben die in Grimma war. Und dass die Versorgungslisten für Katharinas Hof eben auch davon erzählen, wie Katharina für Friedrich im Grunde einen funktionierenden Hof am Laufen hielt, der alle Bedürfnisse eines fürstlichen Haushalts in dieser Zeit erfüllte.
Und auch wenn Friedrich nur in Konturen sichtbar wird und Alexander Querengässer eigentlich nur ein kleines Buch schreiben wollte, hat ihn gerade die Fülle dessen, was er trotzdem in den Dokumenten fand, dazu gebracht, das in Schriften sichtbar gewordene Leben eines der wichtigsten Wettiner zu malen. So dicht, dass man sich eigentlich fragt, warum der Bursche nicht so berühmt ist wie all die Moritze und Auguste. Sein Leben jedenfalls ist ein Roman.
Mit eindrucksvollen Fehden, auch einigen verlorenen Schlachten, und auch einer gewissen Strenge, wenn es um den Umgang mit den ihm Lehnspflichtigen und den Städten ging. Und das Streitbare beschreibt vor allem seine Geduld, sich mit Niederlagen nicht abzufinden, sondern dranzubleiben und seinen Einflussbereich zu verteidigen. Was ihn von manchen Fürsten seiner Zeit unterschied.
Auf einmal wirkt dieses frühe 15. Jahrhundert gar nicht mehr mittelalterlich. Obwohl sich Querengässer natürlich zu Recht weigert, die Diskussion über Spätmittelalter oder (Vor-)Renaissance aufzumachen. Man hat eine klassische Übergangszeit vor sich, in der noch viele mittelalterliche Elemente voll funktionsfähig waren, die Vorboten der Renaissance aber schon unübersehbar waren – von der Waffentechnik über die Religion bis hin zu Friedrichs großer Wertschätzung für höhere Bildung.
Es war wirklich höchste Zeit, dass sich seit langem mal wieder ein Historiker mit dieser fast verschollenen Gestalt aus der meißnisch-sächsischen Geschichte beschäftigt hat. Und eigentlich hätte Katharina ein ganz ähnliches Buch verdient. Denn die Frauen in dieser Geschichte wurden viel zu lange immer nur als hübsches Anhängsel betrachtet, nicht als gleichrangige Partnerinnen, ohne die Männer wie Friedrich nicht hätten schaffen können, was sie am Ende in die Geschichtsbücher gebracht hat.
Alexander Querengässer Friedrich der Streitbare, Sax Verlag, Leipzig 2018, 24,80 Euro.
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