Sein Wappentier ist das Känguru. Und freche Kinderbücher hat er auch schon geschrieben. Seit dem vergangenen Jahr aber verbreitet der Berliner Liedermacher, Kabarettist und Autor Marc-Uwe Kling ein ganz neues Entsetzen unter den Leuten, die in unserer Welt die große Klappe haben. Er packt ihre großmäuligen Sprüche in einen Abreißkalender. Aber nicht einfach so.
Er legt sie anderen Großmäulern in den Mund, historischen, mythischen oder filmischen. Denn wenn ein berühmter Mann (meistens sind es wirklich Männer) Bockmist von sich gibt, entlarvt sich dieser Bockmist erst so richtig, wenn man ihn aus Film und Funk bekannten fiesen Typen in den Mund legt.
Oder alten Berühmtheiten aus der Bibel. Vor Marc-Uwe Kling ist nichts sicher. Und wenn man nach seinem 2017 vorgelegten ersten Kalender dieser Art glaubte, das Reservoir der beknackten Sprüche müsste doch eigentlich überschaubar sein, wird man nun mit dem zweiten Kalender dieser Art eines Besseren belehrt.
Und wahrscheinlich kommen einige Stars aus dem Star-Wars-Universum nicht zufällig drin vor: Menschliche Sprücheklopperei füllt augenscheinlich ein unendliches Universum. Das können sich nicht mal 100 Affen ausdenken, die eine Milliarde Jahre wie blöde auf Schreibmaschinen einhämmern. Das ist nicht zu übertreffen.
Wobei manche Zuordnung auch eine tiefe Ehrerweisung ist. So wie am 7. Mai, an dem Kling einfach mal einen Ausspruch von Richard „Tricki Dick“ Nixon dem berühmten Physiker Stephen Hawking in den Mund gelegt hat: „Ich weiß, dass Sie glauben, Sie verstünden, was Sie denken, was ich gesagt habe; aber ich bin mir nicht sicher, ob Sie begreifen, dass das, was Sie gehört haben, nicht das ist, was ich meine.“
Da freut sich das Herz. Der Spruch ist von einem großen politischen Trickser zu einem gewandert, der es genau so gesagt haben könnte – und damit wirklich beschrieben hätte, wie wir in der Regel den Erkenntnissen der höheren Physik gegenüberstehen.
Es gibt also Tage, an denen man sich beim Abreißen krumm und scheckig lachen kann, weil der Spruch den Burschen, dem er frisch in den Mund gelegt wurde, regelrecht entlarvt. Und es gibt Tage, an denen Kling mit Augenzwinkern auch ein bisschen zeigt, wen er wirklich achtet und bewundert. Stephen Hawking zum Beispiel.
Und manchmal gibt es Tage, da hat ihn die Lust gepackt, auch nett gemeinte Politikersprüche in ihrer versteckten Brisanz zu entlarven. So wie Angela Merkels Bundestagswahlkampfslogan „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“.
Den sich aber wohl eher nicht Angela Merkel ausgedacht hat, sondern eine teuer bezahlte Marketingagentur, wo man sich längst ein dickes Fell hat wachsen lassen, weil ihre Kampagnen jedes Mal ein höhnisches Gelächter auslösen, weil die Sprüche so schief und dämlich sind. Dieser ist es nun einmal, was sich dabei entlarvt, wenn Marc-Uwe Kling ihn einfach mal Ulrike Meinhof in den Mund legt.
Und man überlegt wirklich: Könnte sie das gesagt haben?
Ja. Sie könnte es sogar geschrieben haben.
So viel zu Ambitionen. Und zu Politikern. Manche Sprüche können schon morgen dem nächsten Traumtänzer in den Mund gelegt werden. Schusselige Fußballer liefern jede Woche neuen blitzgescheiten Nachschub. Was ebenso fröhliche Verschiebungen in andere Sportarten zulässt. Ein Spruch wird geradezu zur Befreiung, etwa wenn mal ein Sumo-Ringer sagen darf: „Der nächste Gegner ist immer der schwerste.“ Oder wenn mal nicht Rainer Zitelmann (den eigentlich kein Mensch zuordnen kann), sondern Cristiano Ronaldo sagen darf: „Steuern zahlen nur Idioten und Arme.“
Was dann natürlich erst so richtig zeigt, wie der Spruch stimmt. Oder wenn mal statt des Großmauls aus dem Weißen Haus das Großmaul aus Nordkorea sagen darf: „America first!“ Da werden aus Plattitüden ganze Dramen, die man sich nur zu gut vorstellen kann.
Womit Marc-Uwe Kling ja beweist, dass es nur auf den Sprecher ankommt, der etwas sagt, damit eine Botschaft ihre wahre Bedeutung entfalten kann. Denn die Hälfte der Sprüche stammt ja von Leuten, die hinter ihrer Prahlerei ihre wahren Absichten verbergen. Der Spruch ist für die Pressemeute und die vielen Leute, die den Blödsinn dann glauben.
So wie dämliche Werbesprüche (von denen es auch etliche im Buch gibt), die sich bei regelkonformer Einordnung als ein Stück Wahrheit über die Welt erweisen. So wird aus „Alles muss raus!“ ein Slogan für Sachsen, der ein paar von den heutigen Sachsen als piefige Saubermacher entlarvt. Auch noch boshafterweise auf den 20. Juli gesetzt. Oder rutschte das Datum so mit unter?
Was nicht recht zu glauben ist, wenn etwa am 13. August Walter Ulbricht den Erich-Kästner-Spruch verpasst bekommt: „Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen.“ Oder am 11. September Osama bin Laden zu Wort kommt mit: „Im Flugzeug gibt es während starker Turbulenzen keine Atheisten.“ Natürlich hat das ein anderer gesagt, in diesem Fall Robert Lemke. Und das ist auch schon etwas länger her.
Aber gerade durch diese Neubesetzung zeigen manche Sprüche erst, welches Explosionspotenzial in ihnen steckt.
Und weil ihm dieses Umverteilen so richtig Spaß macht, hat Marc-Uwe Kling längst auch eine App draus gemacht („Game of Quotes – Die App“) und ein Kartenspiel („Game of Quotes – das Kartenspiel“), wo sich alle, denen das Erraten des echten Absenders so ein Bauchkribbeln verursacht, so richtig austoben können.
Für die Nutzer des nunmehr zweiten „Falschen Kalenders“ gibt es die Hinweise auf die echten Verursacher der schrägen Sprüche ganz am Ende, sozusagen zum Jahresschluss, wenn sie durch sind mit den Sprüchen einer überdrehten Welt und nur noch ein paar weiße Notizzettel übrig sind, quasi Blanko-Scheine für neue Kloppersprüche, die man dann anderen Leute in den Mund legen kann, um zu merken, was wirklich darin und dahintersteckt.
Marc-Uwe Kling Der falsche Kalender 2, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2018, 14 Euro.
365 platte Sprüche, den richtigen Sprücheklopfern falsch in den Mund gelegt
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