Es gibt zwar derzeit nur einen Ort, wo es schon weihnachtet, das sind die Supermärkte im Land. Nichts zeigt, wie irre unsere Konsumwelt geworden ist, seit clevere Marketingstrategen die großen Feste entkernt und mit billigem Fresskram aufgefüllt haben. Aber – und das ist die gute Botschaft – es gibt noch Menschen im Land, die sich diesem Gespenstertreiben entziehen, so gut sie können. Die auch von ganz anderen Weihnachten träumen.

Auch wenn dieser Traum sich erst im Lauf der Geschichte herauskristallisiert, die Zsusza Bánk aus der Perspektive ihrer Heldin erzählt, für die der Advent eigentlich eine Zeit der zunehmenden Unruhe ist, einer Unruhe, die sie nicht bändigen kann, und die – das erfährt man erst nach und nach – mit dem Verlust von Clemens zu tun hat, ihrem Mann, den es so plötzlich aus ihrem Leben gerissen hat, dass sie lange nicht fertig wurde mit diesem Verlust.

Und Zsuzsa Bánk lässt sich Zeit, umkreist das Thema, lässt all die Menschen im Umfeld ihrer Heldin fast beiläufig aus dem Schatten treten, agieren, feste Konturen annehmen und auf einmal erkennbar werden als Teil eines kleinen Kosmos, der ein Gefühl des Aufgehobenseins vermittelt.

Man merkt es bald: Das ist auch eine Novelle gegen den Ungeist der Zeit, den Wahnsinn des entfesselten Wettbewerbs, der Menschen in Ratten verwandelt, die immerfort neuen Häppchen und Schnäppchen nachjagen. Im Buch geradezu personifiziert durch die Mutter von Lilli, der besten Freundin der Heldin. Nur dass diese Frau dieser Manie nicht freiwillig erlag. Das Kaufen teurer, völlig unnützer Dinge gehört zur manischen Seite ihrer Erkrankung, mit der auch ihr Mann lange nicht umgehen konnte. Wer kann das schon akzeptieren, wenn er einen geliebten Menschen so an eine Krankheit verliert?

Und so wird auch Lillis Lebensgeschichte verständlicher, die eine durchaus abenteuerliche war, bevor sie an den Ort ihrer Kindheit zurückkehrte und ihre Freundin einfach überredete, mit ihr ein kleines Café zu eröffnen.

Was einen kurz einmal an Barbara Handkes Buch „Wo ist Norden“ denken lässt, auch so eine Traumerfüller-Geschichte um eine tatkräftige junge Frau – nur dass dieser Traum in der märkischen Verlassenheit am Ende platzt, während der Traum in einer turbulenten Stadt nahe am Odenwald funktioniert. Auch weil solche mit Liebe organisierten Cafés natürlich auch eine Sehnsucht der Städter erfüllen, die Sehnsucht nach einem Ort, der sie einmal aus dem wilden Jagen herauslässt und eine Prise von dem erleben lässt, was eigentlich das Leben wieder tief und wesentlich macht. Daran, dass die Idee funktionieren würde, hatten die beiden Frauen nicht wirklich geglaubt – aber dann hat ihre Bodenständigkeit augenscheinlich genau den Nerv der Passanten getroffen.

Lilli ist immer die treibende Kraft dabei. Sie macht vor, wie man es anpacken muss, wenn man einen Traum in Erfüllung gehen lassen will. Man muss es selbst anpacken. Und manchmal erwischt man einen Ort, an dem das große Jagen und Reibachmachen noch nicht alle Grundlagen zerstört hat, auf denen einfache und menschliche Träume in Erfüllung gehen können. Es ist in gewisser Weise ein Sehnsuchts- und Hoffnungsbuch. Dazu gehört auch der Traum von einem alten Haus irgendwo im Odenwald, mit Obstplantage davor.

Nur renoviert werden muss es. Und auf einmal erweisen sich Freundschaften und Bekanntschaften als ein Weg zur Erfüllung, taucht Bill auf, der in Amerika alles verloren hat und nun einfach mit anpacken möchte, den Traum von diesem Haus zu verwirklichen. Wir könnten ja so reich sein, wenn wir noch bereit wären, Hilfe anzunehmen und ein Obdach zu bieten.

Auch das taucht als Motiv auf. Es ist eine Geschichte mit vielen Motiven, fast eine kleine Kammermusik, in der gar nicht so wichtig ist, dass es am Ende ein Happyend gibt (ganz fertig ist das Haus zu Weihnachten eben doch noch nicht – aber man kann schon drin feiern, wenn man sich dick einmummelt), sondern dass Menschen auftauchen, denen sich auch verletzte Heldinnen wie die Ich-Erzählerin langsam und vorsichtig anvertrauen und dann merken, dass das Vertrauen berechtigt ist. Dass man nichts erzwingen muss.

Und dass dieses Sich-auch-einmal-tragen-Lassen den Leerraum wieder füllen kann, der in einem schwelt, wenn ein geliebter Mensch da herausgerissen wurde. Was Zsuzsa Bánk wirklich erst spät erzählt. Sie tastet sich vor, probt die Ereignisse und Stimmungen auf ihre Tragfestigkeit – und erzählt es dann, wenn es nicht mehr wehtut. Der Schmerz ist quasi langsam weggeschmolzen, der Blick hat sich wieder geöffnet für das Handfeste im Leben.

Auch wenn es erst einmal nur angefüllte Geschäftigkeit ist, das gemeinsame Kümmern um ein Café, das aufmerksame Arbeiten an einem Traum. So erfüllen sich Träume, gewinnen Konsistenz. Und so kommt auch das zerbrochene Vertrauen ins eigene Leben zurück. Erst spät kann die Erzählerin ja auch von ihrer Angst erzählen, auch ihre anderen geliebten Mitmenschen so unverhofft zu verlieren wie Clemens – herausgerissen aus ihrer Welt. Erst hinterher merkt man ja, wie viele Gefühle man auf einen Menschen tatsächlich fokussiert hat, wie präsent er war, egal, wie beiläufig der Alltag war.

Und dann dieses Loch, dem man sich nicht stellen möchte. Denn die Furcht ist groß, es könnte einen selbst zerreißen. Was die Erzählerin so nicht sagt, nur andeutet. Denn so einen Schmerz muss man nicht in die Welt schreien, der sitzt in einem, liegt schwer im Magen und im Nacken. Und nicht jeder hat eine Lilli, die einen dann packt und einfach dazu bringt, für einen gemeinsamen Traum jeden Tag aufzustehen, anzupacken, Verantwortung zu übernehmen.

Und irgendwann merkt die Heldin, dass sie nicht allein unter dem Verschwinden von Clemens leidet. Aber auch Eddie, Clemens’ Bruder, lässt sich von dem Schmerz nicht zermürben und kleinkriegen. Für ihn sind wieder die beiden Frauen, die unermüdlich ihr kleines Café am Laufen halten, der Ort, an dem er wieder Zuversicht tankt. Und letztlich muss das eigentlich nicht weiter erzählt werden. Man sieht ja mit den Augen der Erzählerin, was wirklich wichtig ist, was einen bereichert und mit Lebensmut versorgt.

Und wie elementar es ist, dass man Menschen um sich hat, die sich nicht entmutigen lassen und mit anpacken. Klingt dann am Ende zwar ein bisschen so, als könnte es das Zweite Deutsche Fernsehen gleich mal als Weihnachtsfilm abdrehen. Aber das würde wohl schiefgehen, bestenfalls eine der üblichen Weihnachtsidyllen ergeben, während das stille, kaum merkliche Erwachen der Heldin aus ihrer Trauer kaum zu greifen wäre.

Bleibt nur die Frage: Geht das überhaupt noch, dass man so ganz einfache Träume verwirklichen kann, ohne dass gleich wieder der große Abkassierer kommt? Nur so als Frage, denn reich wird man dabei ja nicht. Aber vielleicht ist genau das wichtig, was man dabei gewinnt: das Gefühl, das Richtige zu tun und sich nicht für falsche Ansprüche zu zerreiben. Gewissermaßen also eine Kontra-Geschichte, nachdenklich erzählt, mit stiller Aufmerksamkeit für alle Figuren, die vor allem dadurch greifbar werden, weil die Wertung fehlt, der rasende Ehrgeiz, der unsere Gesellschaft für gewöhnlich in ein Tollhaus verwandelt.

Und noch so ein kleiner Effekt stellt sich ein: eine Gelassenheit, die man fast schon vergessen glaubte. Eine Gelassenheit, die sich einfach am Lebendigsein erfreuen kann, dann, wenn man wieder Augen und Sinne dafür hat – und die Leere in einem fast verschwunden ist.

Zsuzsa Bánk Weihnachtshaus, Edition Chrismon,Leipzig 2018, 12 Euro.

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