Die Idee zu diesem ganz speziellen Leib-und-Seele-Kochbuch wurde in Bonn geboren, im Kirchenpavillon Bonn, dem „besonderen Bistro der Evangelischen Kirche im Herzen von Bonn“. Dort hat sich Wirtin Kornelia Kraemer Gedanken darüber gemacht, wie man sich „den biblischen Text sozusagen auf der Zunge zergehen“ lassen kann. Stellen, an denen Speis und Trank erwähnt werden, gibt es jede Menge. Und am Anfang war ja bekanntlich der Apfel. Auch nein: Himmel und Erde.
„Himmel und Ääd“, ein „Klassiker aus der rheinischen Küche“. Hoppla? Kennen das nicht auch die Leute aus der Altmark? Die aus dem Vogtland oder die aus dem Thüringer Wald? Natürlich, wenn auch unter etwas anderem Namen und manchmal anderer Zusammensetzung. Es gibt Rezepte aus der Pfanne, aus dem Suppentopf, mit Äpfeln, Birnen, Pflaumen – Hauptsache, der Himmel (also das himmelsnahe Obst) trifft sich mit der Erde, den Erdäpfeln. Das ist echte Volksküche und gleichzeitig immer auch ein Bezug zum großen Bild am Anfang der Bibel.
Und Ulrike Verwold, die Pfarrerin im Kirchenpavillon, weiß, was die eigentliche Stärke der lutherischen Kirche ist: ihre starke Bildhaftigkeit in Worten. Denn die protestantischen Kirchen selbst sind ja in der Regel recht schmucklos. Es geht ums Wort, ums Zuhören und um Phantasie. Wer keine Phantasie hat, kann mit dem Luthertum wenig anfangen. Und die begabtesten Pfarrerinnen und Pfarrer verstehen es, an die Vorstellungskraft ihrer Zuhörer zu appellieren, in ihren Köpfen Geschichten, Bilder und Gleichnisse entstehen zu lassen.
Und genauso handhabt es Ulrike Verwold in den kleinen Texten, die sie zu jedem der 30 Rezepte in diesem reich bebilderten Buch geschrieben hat – jeder Text eine kleine Predigt, ein Verknüpfen der entsprechenden biblischen Stelle mit dem daneben abgebildeten Gericht.
Wobei das kein Bibel-Kochbuch geworden ist. Das gibt es bestimmt anderswo, auch wenn auch ein paar biblische Nahrungsregeln ins Wort kommen. Aber eher geht es den vier Frauen, die dieses Buch zusammen geschaffen haben, um Lebensregeln. Um die Verknüpfung der alten Gleichnisse mit ihrer tiefen, oft verschlüsselten Botschaft, mit der Gegenwart und unseren vielen täglichen Entscheidungen, die selten einfach sind.
Oft genug landen wir in verzwickten Situationen, müssen entscheiden zwischen zwei und mehr widersprüchlichen Möglichkeiten, geht es um unser Herz und unser Vertrauen. Aber auch um Gelassenheit, die Fähigkeit, das Leben mit offene Augen und offenem Herzen anzunehmen.
Und natürlich weiß jeder, der die Geschichte von Adam und Eva gelesen hat, dass die Sache mit der Frucht vom Baum der Erkenntnis eine ganz und gar verzwickte ist. Die auch meistens auf die Schuldfrage reduziert wird. Hat denn der Allmächtige nicht strengstens verboten, von diesem Baum zu naschen?
Hat er nicht harte Strafen dafür angedroht? Und wer macht sich eigentlich schuldig? Ganze Generationen schoben ja ausgerechnet Eva die Schuld zu. Obwohl eigentlich die Schlange … Oder doch nicht Herr Gott selbst? Warum hat er denn ausgerechnet diesen Baum mitten ins Paradies gestellt? Wollte er prüfen, was für asketische Blindgänger seine frisch erschaffenen Menschen sind?
Verwold geht auf einen Aspekt ein, den selten einer wirklich wahrnimmt: dass die eigentliche Geschichte der Menschen erst NACH der Vertreibung aus dem Paradies beginnt. Und es ist keine schreckliche Geschichte, sondern eine voller Chancen und Möglichkeiten. Denn hier sind Eva und Adam nämlich zu dem gezwungen, wozu es im Paradies praktisch keine Gelegenheit gab: sich ihrer eigenen Entscheidungsfreiheit stellen. Jetzt mussten sie zeigen, ob sie in der Lage sind, mit komplexen Entscheidungen das Richtige zu tun.
Das Gericht dazu? Ein Apfelkuchen. Es gibt auch viele süße Rezepte in diesem Buch, in dem das berühmte Linsengericht (und seine ganzen moralischen Implikationen) genauso vorkommt wie der Fisch, den die Jünger Jesus zu essen gaben, als er hungernd daherspaziert kam. Es kommt das Brot vor, das sich so wundersam vermehrte, aber auch das Gericht, in dem sich das „Land, in dem Milch und Honig fließen“, verkörpert. Und auch das Kalb kommt vor, das der Vater für den verlorenen Sohn schlachten ließ. Essen war mal auch ein Zeichen von Verbundenheit, Freude und besonderer Ehrung. Manchen ist das noch bewusst, wenn sie die Feiertage ganz traditionell begehen und entsprechend auch symbolische Gerichte auf den Tisch bringen.
Was auch das mit sich bringt – wenn man es richtig macht – was Sandra Then hier in Bildern inszeniert hat. Das Auge isst ja auch mit. Essen ist eine richtige Inszenierung. Und wenn sie richtig ist, sieht man auch wieder den Reichtum und die Schönheit unserer Nahrung. Liebevolle Köchinnen und Köche wissen das.
Manchmal illustrieren die Rezepte auch nur Bibelstellen, die Ulrike Verwold besonders gefallen. So die Stelle, als Sara, die mit Abraham eigentlich schon biblisch Gealterte, erfährt, dass sie nun doch noch schwanger ist. So lange haben die beiden sich einen Sohn gewünscht. Und was macht Sara, als der Engel ihr das verkündet? – Sie lacht. Wie sollte sie auch nicht. Es ist ein völlig verrückter Moment. Ein ganz wichtiger in der Bibel, denn erst so kommt ja Abrahams Volk zustande, das mal zahlreich werden soll wie die Sterne am Himmel.
Aber es ist, so Verwold, auch eine gute Möglichkeit, mit den vielen verrückten Zufällen im Alltag zurechtzukommen. Nicht schimpfen, zürnen oder verzweifeln. Lieber lachen.
Wenn man es recht bedenkt, hält die richtige Bibel-Lesart also auch eine Menge Rezepte zum Überleben des Alltags bereit. Man muss sich nur mal Zeit lassen, um über all die skurrilen Begebenheiten nachzudenken. In diesem Fall also bei einem leckeren Thai-Curry auf Reis. Wer herzhaft essen möchte, bekommt also nicht nur Kalbsgulasch vorgesetzt. Sondern auch Chili con Tofu, mit dem Kornelia Kraemer auf das falsche Wildgericht anspielt, das Rebekka ihrem Jakob vorsetzt.
Oder Krustenbraten mit gefüllten Kartoffelklößen an Apfelrotkohl, ein Rezept, das für das Festessen steht, mit dem der (reich gewordene) Josef seine Brüder bewirtet. Die hatten den Josef ja einfach in die Sklaverei verkauft. Da würde keiner auf die Idee kommen, die Wiederbegegnung ausgerechnet mit einem Festessen zu feiern. Oder doch? Manchmal ist das der bessere Weg zur Versöhnung. Das vergisst man so leicht. Die meisten Leute denken immer nur an „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Nicht daran, dass man so die alten Vorurteile nur immer wieder bestärkt.
Josef ist sichtlich der Klügere.
Und das steckt dann auch in einem der Sprüche, der sich dann als Gemüsecouscous im Buch wiederfindet: „Besser ein Gericht Kraut mit Liebe als ein gemästeter Ochse mit Hass“.
Dinge lieber mit Liebe als mit Hass tun, betont Ulrike Verwold.
Was schon erstaunlich ist in diesen Zeiten. Sollte man die ganzen Leute da draußen mit ihren Schafsmienen einfach mal nach Bonn schicken in den Kirchenpavillon?
Oder sie selber mal kochen lassen. Mal sehen, was ihnen einfällt und ob eine Botschaft dahintersteckt. Eine richtige Botschaft, nach der man hinterher gut gegessen hat und nicht mehr so finster guckt.
Martina Baur-Schäfer; Ulrike Verwold Himmlisch genießen, Edition Chrismon, Leipzig 2018, 20 Euro.
Keine Kommentare bisher