Der Name bleibt. Das stimmt. Mit dem Kroch-Hochhaus und der Kroch-Siedlung bleibt der Name Kroch dauerhaft im Leipziger Stadtbild präsent. Am Kroch-Hochhaus erinnert eine Gedenktafel an die Familie Kroch. Und wer es weiß, bringt auch den Industriepalast und den Jägerhof noch mit dem Wirken von Samuel und Hans Kroch in Verbindung. Doch Fakt ist auch: Zwei gnadenlose Regimes haben die Familie Kroch und ihre Unternehmen aus Leipzig vertrieben. Davon erzählt dieses Buch.

Es ist keine Familienbiografie. Eher eine Bilanz. Eine Geschichte von Aufstieg und Erfolg, von Enteignung und Vertreibung. Und eine von Wiedergutmachung, die nur bedingt wieder gutmachen konnte und einer der größten Restitutionsfälle der jüngeren Vergangenheit wurde.

Es gibt zwar schon einige durchaus auch gewichtige Bücher zum Aufstieg der Handels- und Industriestadt Leipzig. Es gibt auch ein paar Versuche, darin die Geschichte besonders der jüdischen Unternehmer nachzuzeichnen. Aber im Grunde fehlt auch für Leipzig ein Bernt Engelmann, der wie in dessen „Deutschland ohne Juden“ tatsächlich einmal den Anteil jener Menschen jüdischer Herkunft nachzeichnet, die den Aufstieg der Großstadt Leipzig im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert prägten. Und wie in keiner anderen Stadt Sachsens war dieser Aufstieg von jüdischen Unternehmern geprägt.

Nicht nur im Pelzhandel, wo das ja regelrecht ein Markenzeichen war, sondern auch im Buchgewerbe, im Bankwesen, im Transport und im Immobilien- und Wohnungswesen. Und da ist man schon längst beim Wirken von Samuel Kroch, der die ersten Familienunternehmungen in der Stadt auf die Beine stellte und mit dem Industriepalast ein markantes Bauwerk direkt in Hauptbahnhofsnähe errichtete, das bis heute vom frühen Boom der Messestadt erzählt. Unternehmungen in der Mehrzahl, denn Kroch war ein Unternehmer, der strategisch dachte und sein Geschäft auf mehrere Beine stellte. Er diversifizierte, wie das heute heißt. Damit wurde das Gesamtunternehmen weniger krisenanfällig, entstanden aber auch immer neue Spielräume unternehmerischen Handelns.

Aber wie gesagt: Es ist keine Familiengeschichte. Die Idee zum Buch entstand, wie man dem Nachwort entnehmen kann, bei einem Abendessen, bei dem der Schweizer Jurist Rolf H. Weber neben der Journalistin Monika Zimmermann zu sitzen kam. Beide kamen auf den schon seit Jahren dauernden Restitutionsprozess um die einstigen im Osten liegenden Besitzungen der Familie Kroch zu sprechen. Nur die Zeit war noch nicht reif für ein Buch, denn die Krochs vermieden – auch das eine alte Tugend – den öffentlichen Rummel, vermieden, wo es ging, auch Gerichtsprozesse und suchten überall dort, wo es schon mehrere Besitzerwechsel gab, den Vergleich.

Diesen Restitutionen und rechtlichen Klärungen sind die letzten Kapitel gewidmet. Aber auch die haben es in sich. Denn auch die Familie Kroch erlebte 1990, wie der rasante Wechsel im Osten ab 1990 die Glücksritter, Betrüger und Trickser auf den Plan rief, die in diesem Chaos versuchten, sich fremder Leute Gut anzueignen.

Was aber nicht das peinlichste Kapitel dabei ist. Das ist viel mehr das Wirken jener legendären „Kunst und Antiquitäten GmbH“ des Stasi-Offiziers Alexander Schalck-Golodkowsky, die noch Ende der 1980er Jahre die im Tresor des Kroch-Hauses gefundenen Aktien der Krochschen Unternehmungen an westdeutsche Käufer verhökerte. Und die sahen auch nicht wirklich ein, dass sie unrechtmäßiges Gut gekauft hatten.

Aber es ist nur ein Kapitel in vielen für sich bändefüllenden Kapiteln, in denen die Krochs nach den Spuren ihres Besitzes suchten, der ihnen erst in der Nazi-Zeit regelrecht geraubt wurde und dann in der DDR-Zeit noch einmal enteignet oder in Zwangsverwaltung überführt wurde. Bis 2014 dauerte das. Ein Zeitraum, der 1991 noch gar nicht absehbar war, als die Stadt Leipzig sogar in einem Festakt die Krochschen Firmen, die bis dahin unter staatlicher Zwangsverwaltung standen, ganz offiziell an die Familie zurückgab.

Immerhin blieb hier den Krochs das aufwendige Restitutionsverfahren erspart. Und auch den Kampf mit den Behörden, die in diesen frühen 1990er Jahren oft heillos überfordert waren mit der Klärung der tatsächlichen ursprünglichen Besitzverhältnisse. Denn was die Nazis „arisiert“ hatten, wie sie es nannten, wechselte danach oft noch mehrmals den Besitzer.

Aber kompliziert waren diese Verfahren auch, weil Hans Kroch natürlich auch noch in der NS-Zeit versuchte, das Familieneigentum vor dem Zugriff der Nazis zu sichern. Verblüfft kann man lesen, dass er mit seiner Familie tatsächlich bis 1938 in Leipzig blieb und noch am 10. November verhaftet wurde. Eigentlich war es fast schon zu spät, das Land zu verlassen, obwohl auch Hans Kroch, der das Unternehmen 1920 von Samuel Kroch übernommen hatte, genau wusste, dass ein Verbleiben in Deutschland den sicheren Tod bedeutete. In letzter Minute konnten er und die Kinder sich retten, nur seine Frau Ella, die zur Tarnung der Flucht in Leipzig geblieben war, konnte den Mördern nicht mehr entkommen. Ein Stolperstein vor dem einstigen Wohnhaus der Krochs in der Sebastian-Bach-Straße erinnert heute an ihr Schicksal.

Auch der extreme Hass der Nazis auf die Familie wird thematisiert. Und gerade weil das auch in Originalzitaten passiert, merkt man, wie irre die Rechtsradikalen auch damals waren. Und dass dieselben Denkmuster heute wieder von den Vordenkern der „Neuen Rechten“ im gesellschaftlichen Diskurs platziert werden, lässt nichts Gutes ahnen.

Für eine Stadt wie Leipzig bedeutete die doppelte Enteignung unter den Nazis und dann unter der neuen Macht der SED auch einen fast kompletten Verlust an Unternehmertum. Wahrscheinlich ist es genau das, was heute den Osten so aufwühlt. Es fehlen die markanten Persönlichkeiten, die in der Lage sind, wirtschaftliche Prozesse in Gang zu bringen, Unternehmen aufzubauen und Städte zum Blühen zu bringen. Und die sich gleichzeitig auch noch verantwortlich fühlen für ihre Stadt, wie das bei den Krochs selbstverständlich war. Bei ihrem Bauprojekt des sozialen Wohnungsbaus in Gohlis-Nord wurden sie ja sogar noch ausgebremst, sonst wäre die Kroch-Siedlung noch viel größer geworden.

Ein nicht unwichtiges Thema in einer Zeit, in der einem hilflose Politiker sagen, dass man das Ding mit dem sozialen Wohnungsbau nicht hinbekommt. Oder nur kleckerweise. Irgendeine Unternehmerinitiative in Leipzig, die einfach in die Hände spuckt und das Thema anpackt? Fehlanzeige.

So steht die Kroch-Geschichte exemplarisch für das, was Leipzig seit 1933 an Unternehmertum verloren hat. Die sogenannten „Arisierer“ konnten den Unternehmern, deren Firmen sie übernahmen, selten das Wasser reichen. Aber so war die „Arisierung“ der Nazis ja auch nicht gedacht. Sie waren darin keine Spur besser als die künftigen stalinistischen Enteigner. Sie wollten nur die von ihnen gehassten „Juden“ aus der Wirtschaft verdrängen, weil sie die dämliche Hoffnung hatten, damit mehr vom großen Kuchen für ihre „arischen“ Unternehmen zu bekommen.

Aber so funktioniert Wirtschaft nur am Biertisch, nicht in der Realität, wo der Große Kuchen deshalb wächst, weil kluge Konkurrenz mehr Umsatz für alle schafft. Deutschland hat mit der Vertreibung der Juden nicht nur (wie Bernt Engelmann nachweist) den Anschluss an die wissenschaftliche Weltspitze verloren, sondern auch den Anschluss an die Innovationsspitze in der Wirtschaft.

Sogar dafür stehen exemplarisch die Krochs, denn als das Bankhaus Kroch am Augustusplatz neu gebaut wurde, wählten sie ganz bewusst den Hochhaus-Entwurf des Münchner Architekten German Bestelmeyer – obwohl die Baurichtlinien Hochhäuser in Sachsen eigentlich untersagten. Aber der Entwurf war so überzeugend, dass das erste Hochhaus Leipzigs nach seiner Fertigstellung allgemeinen Zuspruch fand und weitere Hochhauspläne regelrecht initiierte.

Mit Hans-Otto Spithaler holten sich Weber und Zimmermann noch einen Mann ins Autorenteam, der für die Kroch-Unternehmen selbst jahrelang in die Restitution des Kroch-Besitzes eingebunden war. Entstanden ist ein Buch, das die Geschichte im Grunde von der Ankunft des jüdischen Juristen Jacob Leib Kroch erzählt, der sich in den 1850er Jahren mit seiner Familie in Leipzig niederließ. Hier begann dann in den 1870er Jahren sein Sohn Samuel seine typische Leipziger Laufbahn als Kaufmann, gründete einen Großhandel für Getreide und Mehl, baute Getreidespeicher und schuf auch die erste Bank, mit der er den Bauern die Ernte schon auf dem Halm finanzieren konnte.

Erzählt wird in kurzen, komprimierten Kapiteln, sodass man regelrecht hineingezogen wird in dieses Arbeitstempo, mit dem die Krochschen Unternehmen binnen weniger Jahrzehnte für Leipzig prägend wurden. Der Industriepalast wurde 1913 fertig, also genau in jenem Zeitfenster, in dem auch das Astoria und der Hauptbahnhof fertig wurden. Wenn man es sich recht vergegenwärtigt, sieht man hier die enge Verflechtung von Unternehmergeist, klugem Investment und strategischem Denken, das damals viele der namhaften Leipziger Unternehmen prägte. Und man merkt, wie viel verloren gegangen ist und heute fehlt.

Aber die drei Autoren erzählen das Ganze nicht als tragische Geschichte, sondern als eine Kette von Geschichten über Menschen, die sich trotz alledem nicht entmutigen ließen, die nach 1945 im Westen wieder neu begannen. Die Familie Kroch selbst ist heute in alle Welt zerstreut. Sie überdauert also nicht nur mit ihrem Namen. Der Buchtitel gehört ganz und gar zu Leipzig, wo die Unternehmen der Familie Kroch entstanden, wo die Familie zuhause war, bis die NS-Politik begann, alles jüdische Leben in der Stadt zu zerstören.

Viele der erzählten Geschichten fixieren sich naturgemäß auf Hans Kroch und sein Wirken. Leipzig bekommt so – zusätzlich zum Namen Kroch, der im Stadtbild überdauert – auch die notwendige Geschichte dazu. Die erzählt werden muss. Quasi als Summe und Abschied, denn heute liegen die Unternehmensschwerpunkte der Kroch-Unternehmen logischerweise im Westen – in Berlin, Frankfurt und Hamburg. „Doch das ist eine andere Geschichte“, lautet der letzte Satz der Erzählung. Das Ende der langen Restitutionszeit bedeutete eben auch das „Ende einer Beziehung“.

Hans-Otto Spithaler, Rolf H. Weber, Monika Zimmermann Kroch – der Name bleibt, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2018, 20 Euro.

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