Hans Joachim Kรถhler ist Musikwissenschaftler und Schumann-Experte. Wie kein anderer hat sich der emeritierte Musikprofessor mit Leben und Werk von Robert und Clara Schumann beschรคftigt. 2014 hat er den ersten Band seiner โ€žBlickkontakteโ€œ vorgelegt, in dem er den Leipziger Spuren von Robert Schumann folgte. Eine Art Stadtfรผhrer der ganz anderen Art. Etwas extra fรผr alle, die wirklich den Spuren des berรผhmten Komponisten folgen wollen.

Und die dabei die noch vorhandenen und die verschwundenen Wirkungsorte kennenlernen wollen, die Auffรผhrungsorte, die Lieblingsrestaurants und die Wohnorte der Freunde und Kollegen. Denn so ein Musikerleben lebt von Vernetzungen. Damals, als Robert in Leipzig lebte und um die faszinierende Musikertochter Clara Wieck warb, war das noch viel ausgeprรคgter als heute.

Leipzigs geselliges Leben fand in Salons statt. Man traf sich regelmรครŸig und man musizierte gemeinsam. Erst wenn man diese Welt vor Augen hat (die man im Schumann-Haus in der InselstraรŸe zumindest noch erahnen kann), weiรŸ man, warum die Spรคtromantik vor allem eine Zeit der Kammermusik und der Lieder war. Und des Genies. Nicht zu vergessen.

Leipzig hatte ja zu der Zeit zwei junge Komponisten, die vom Geniefieber angesteckt waren โ€“ Richard Wagner und Robert Schumann. Und fรผr beide war einer der absolute MaรŸstab: Felix Mendelssohn Bartholdy. Und wรคhrend Wagner sich wรผtend an diesem Unvergleichlichen rieb, bewunderte ihn Robert โ€“ und litt trotzdem unter einem enormen Druck, fรผrchtete sich regelrecht vor Ortswechseln und neuen Herausforderungen.

Im zweiten Band der โ€žBlickkontakteโ€œ, mit dem Kรถhler die musikalisch Reiselustigen mit Robert und Clara in den Harz entfรผhrte, wird es ja deutlich, wie dieser Robert Schumann seine ร„ngste geradezu mit รœbermut versuchte zu parieren โ€“ und trotzdem litt, weil er sich zu viel zumutete. Und dabei wandelte er ja noch auf Goethes Spuren, die Walpurgismacht sollte vertont werden.

Gleichzeitig war die Harzreise mit Clara auch schon so etwas wie eine Flucht โ€“ aus Leipzig. Was an der Umsiedlung nach Dresden noch deutlicher wird. Robert hatte schon vorher vorgefรผhlt, ob das ein Weg fรผr ihn war, seinen Nervenkrisen zu entkommen. Mit mehreren Persรถnlichkeiten, die fรผr Robert und Clara in Dresden wichtig wurden, waren sie ja schon vorher bekannt gewesen. Auch wenn die Szenerie aus Leipziger Sicht erst einmal fremd anmutet. Dresden, die Residenzstadt der sรคchsischen Kรถnige, hatte schon damals eine andere Atmosphรคre, romantischer, wenn man das so bezeichnen will.

Gerade erst hatten die Maler die Sรคchsische Schweiz als faszinierendes Bildmotiv fรผr sich entdeckt. Und schon von Wagner wissen wir ja, wie stark er sich von diesen Tรคlern, Schluchten und Berggipfeln und vor allem der Elbe inspirieren lieรŸ. Wobei die faszinierenden Ausflugsorte gleich hinter Dresden erst am Ende von Kรถhlers โ€žSpaziergangโ€œ durch Dresden ins Bild kommen. Richard Wagner begegnen die beiden Neuankรถmmlinge ja schon frรผher. Der war ja Kapellmeister und sein Engagement in der Revolution von 1848/1849 lag noch zwei Jahre in der Zukunft. Einer Revolution, die die Schumanns zwar im Herzen begrรผรŸten โ€“ aber Robert hatte wahnsinnige Angst vor Gewalt und verlieรŸ die Stadt lieber, als die Barrikaden gebaut wurden.

Dresden, so Kรถhler, wurde wohl dennoch Roberts glรผcklichste und fruchtbarste Schaffenszeit. Vielleicht auch, weil er in einen Kreis von Menschen aufgenommen wurde, die ganz รคhnlich dachten und fรผhlten wie er โ€“ wenn auch zum grรถรŸten Teil alles Maler, Vertreter jener romantischen Schule, fรผr die Namen wie Ludwig Richter, Julius Hรผbner und Gustav Carus stehen.

Auch Carus war ja ein in Leipzig Ausgebildeter โ€“ einer der namhaftesten ร„rzte seiner Zeit und gleichzeitig ein anerkannter Maler in der Tradition Caspar David Friedrichs. Den Maler Eduard Bendeman, dessen Fresken im Schloss die Schumanns faszinierten, darf man genauso wenig vergessen wie den Bildhauer Ernst Rietschel, der auch das berรผhmte Doppel-Medaillon der Schumanns schuf, bei dem der Genius Robert im Vordergrund zu sehen ist. Das hatte sich Robert erkรคmpft. Er hielt seine schรถpferische Rolle fรผr wichtiger als die nur ausfรผhrende der genialen Pianistin Clara.

Roberts Frauenbild war zumindest ein zutiefst biedermeierliches. Und wahrscheinlich hat er zeitlebens Clara nie so unabhรคngig gesehen, dass er ihre ganze Stรคrke begreifen konnte. Viele Tagebuchaufzeichnungen, die Kรถhler zitiert, zeigen Clara, die ja auch noch mit einigen Geburten zu tun hatte, als die eigentliche Organisatorin des Haushalts. Sie organisierte die Umzรผge und den Alltag. Und gab dennoch Konzerte. Und wenn man dann im Anhang wieder Eduard Kaisers Lithografie von 1847 sieht, dann sieht man es der noch immer bezaubernden Clara an, dass sie dennoch mรผde war von der Vielzahl ihrer Pflichten. Robert wirkt in diesem Bild schon von der Krankheit gezeichnet, die ihn dann in der nรคchsten und letzten Etappe seiner Lebensreise aus dem Rennen kegeln wรผrde.

Deswegen ist die Etappe Dresden von 1846 bis 1850 im Leben Schumanns so wichtig. Hier fand er augenscheinlich nicht nur die anregende Umgebung, die ihn zu seinen besten romantischen Kompositionen animierte, sondern auch die nรถtige Ruhe. Auch wenn seine Tagebucheintrรคge gerade zu solchen Dingen keine Auskunft geben. Was auch Kรถhler bedauert. Auch die Wohnungen, in denen die Schumanns lebten, beschrieb Schumann nicht.

Es gibt zwar einige Orte in Dresden, die man mit Schumanns Aufenthalt in Verbindung bringen kann. Aber anders als in Leipzig hat in Dresden kein Haus รผberlebt, in dem die Schumanns damals lebten. Selbst ganze StraรŸen sind aus dem alten Stadtbild verschwunden. Oft findet Kรถhler bei seinem Streifzug nur Wiesen oder groรŸe Einkaufstempel mit vรถllig anderer Sichtachse vor, sodass man eine Menge Phantasie braucht, um sich die StraรŸen vorzustellen, durch die die Schumanns gingen, wenn sie Freunde besuchten oder ins Theater eilten.

Bei der Oper geht es ja weiter โ€“ die Schumanns kannten die erste Semper-Oper, die dann bei einem Brand verloren ging. Sie kannten auch den Zwinger noch in eher ruinรถsem Zustand. Dafรผr waren die Brรผhlsche Terrasse und der GroรŸe Garten schon ganz รคhnlich erlebbar wie heute. Im Buch wird das versucht, durch nebeneinander gestellte Fotos und Bilder des 19. Jahrhunderts ein wenig auszugleichen. Man braucht schon ein bisschen Phantasie fรผr diese Blickkontakte.

Wahrscheinlich kommt man Roberts Gefรผhlswelt tatsรคchlich am nรคchsten, wenn man die Bilder jener Maler betrachtet, mit denen er in Dresden in Kontakt kam. Hier verschmilzt all das, was zur Spรคtromantik in Kunst und Musik gehรถrt. Diese Maler malten so, wie Robert Schumann sein Komponieren empfand. Und dass auch Wagner ein Spรคtromantiker war, wird deutlicher, wenn Robert gerade in Dresden die Schรถnheit Wagnerscher Kompositionen entdeckt.

Und wer sich auf diesen Spaziergang begibt, merkt, dass er es die ganze Zeit mit einer Feier der groรŸen Gefรผhle zu tun hat, mit einem positiv besetzten Begriff der Schwรคrmerei, der Sehnsucht nach einer harmonischen Welt und der Verbindung von Innigkeit und dem Rausch der Sinne. Oder mal direkt Kรถhler zitiert: โ€žAuch Schumann wusste um seine Genialitรคt, die er als Fรคhigkeit der visionรคren Zusammenschau im kreativen Akt verstandโ€œ. An der Stelle wird insbesondere die Sicht von Gustav Carus betont, der mit seiner Malerei auch einen Gegenpol zur gerade in dieser Zeit aufkommenden Tendenz setze, die Natur (nur) unter sachlichen, รถkonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. Es ist die Zeit der beginnenden Industrialisierung. Und nicht nur Carus glaubte, im Poetischen das โ€žeigentliche Wesenโ€œ der Welt begreifen zu kรถnnen.

Die groรŸen Romantiker suchten also eine Poesie in der Welt, die sie am Ende nur noch in Bildern und Liedern bewahren konnten. Aber sie lebten lรคngst auch im Widerspruch mit sich selbst: Auch die Schumanns benutzten fรผr ihre Fahrten zwischen Leipzig und Dresden ganz selbstverstรคndlich die Eisenbahn. Schumann verdiente zwar in Dresden endlich genug, um seine wachsende Familie ernรคhren zu kรถnnen.

Auch mit seinem ebenfalls nach Dresden gezogenen Schwiegervater Wieck fand er so eine Art Waffenstillstand. Aber die Suche nach einer sicheren Anstellung hรถrte nicht auf. Wagners Stelle hรคtte er nur zu gern gehabt. Aber da war er wohl mit dem flรผchtig gewordenen Kapellmeister zu nah bekannt gewesen. Das Vorfรผhlen blieb ohne Erfolg. Dafรผr verhalf ihm ein Musikerfreund zur Musikdirektorenstelle in Dรผsseldorf.

Man kann wohl davon ausgehen, dass auch diesen Umzug vor allem Clara organisierte. Und auch wenn Robert darรผber kein Wort verliert, darf man wohl davon ausgehen, dass auch gerade dieses Selbstbewusstsein bei der schon jung als Pianistin Erfolgreichen den zutiefst romantischen Musiker fasziniert haben muss.

Gibt es also auch mal โ€žBlickkontakte mit Claraโ€œ? Schwierig, sagt der Verleger. Denn in den drei jetzt vorgelegten Kapiteln decken sich ja die Lebenswege von Robert und Clara. Man wandelt immer auf den Spuren von beiden, wenn man durch Leipzig oder Dresden geht mit so einem Blick-Fรผhrer in der Hand. Oder โ€“ wie im letzten Band โ€“ mit beiden auf Harzreise geht. Beide werden โ€“ zumindest in Konturen โ€“ sichtbar. Genauso wie dieses Dresden als einer der eindrucksvollsten Knotenpunkte der Spรคtromantik.

Hans Joachim Kรถhler; Ralf C. Mรผller Blickkontakte mit Robert Schumann โ€“ Begegnungen im heutigen Dresden , Eudora Verlag, Leipzig 2018, 15,90 Euro.

Die gar nicht so romantischen Reisen von Clara und Robert Schumann in die Sรคchsische Schweiz und den Harz

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