Dieses Buch kennen Leser der „Leipziger Zeitung“ schon. Die dortige Besprechung ist ziemlich lang geworden, denn was der Historiker und Politikwissenschaftler Marcus Böick hier akribisch auf über 700 Seiten herausgearbeitet hat, ist die Geschichte einer Einrichtung, die deutsche Geschichte geprägt hat. Die Folgen sind bis heute spürbar. Die Diskussionen sind gerade wieder hochgekocht.
Und mit einigen guten Gründen fordern auch Politikerinnen wie die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD), dass dieses Kapitel aus der Endzeit der DDR und der Frühzeit des gemeinsamen Deutschland aufgearbeitet wird. Auch weil die riesige Privatisierung der DDR-Wirtschaft ab 1990 sich in der Erwerbsbiografie vieler Ostdeutscher bis heute negativ auswirkt. Und oft genug werden dann die alten Medienskandale wieder aufgeschäumt, die das Wirken der Treuhand bis 1994 begleiteten und Stoff für einige erfolgreiche Treuhand-Bücher boten.
Keine Frage: Diese Skandale gab es auch. Es gab genug Glücksritter, die bei diesem Großverkauf unter Zeitdruck ihre Chance witterten, so richtig Reibach zu machen – kleine Glücksritter, aber auch große, einflussreiche Konzerne, die sich die Filetstückchen sicherten und die Konkurrenz vom Leib schafften.
Und da sind wir schon über das Buch hinausgeschossen. Denn Böick widmet sich vor allem den Mitarbeitern dieser ungewöhnlichen Anstalt, die noch in der DDR gegründet wurde, um den Ostdeutschen ihren Anteil am „Volkseigentum“ zu bewahren. Eine Idee, die im Grunde schon im Sommer 1990 starb – was aber bis heute vielen Betroffenen schlicht nicht bewusst ist. Denn die DDR ging zwar zuallererst zugrunde, weil ihre Wirtschaft größtenteils zerschlissen und nicht mehr konkurrenzfähig war.
Aber in den „Staatsbürgerkunde“-Lehrbüchern der DDR gab es kein einziges Kapitel, das den DDR-Schülern erklärt hätte, was mit einer überalterten Wirtschaft passiert, wenn über Nacht eine neue, härtere Währung eingeführt wird und die heruntergewirtschafteten Betriebe ihre Absatzmärkte verlieren und auf einmal mit der fittesten Wirtschaft der Welt direkt konkurrieren müssen.
Das nämlich genau ergab den enormen Zeitdruck, den so viele in der deutschen Wiedervereinigung nicht wahrhaben wollten und sich deshalb gegen jede Überlegung, den Übergang klüger zu gestalten, wehrten. Deswegen war die schöne Idee, wie sie etwa der Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann mit der Schaffung einer Treuhandanstalt verband, ab dem 1. Juli 1990 obsolet. Und folgerichtig übernahmen schon in diesem Sommer 1990 westdeutsche Manager die Leitung der Anstalt, anfangs mit gewaltigem Rumpeln im Karton.
Erst unter Detlev Rohwedder, der schon Sanierer-Erfahrungen im Hoesch-Konzern gesammelt hatte, bekam die Anstalt Kontur und wurden all die gestandenen und später auch blutjungen Manager im Westen gesucht und gebunden, die ab 1991 die Privatisierung der DDR-Wirtschaft managten. Anfangs auf rund 10.000 Unternehmen beziffert – am Ende waren es über 60.000, weil auch die riesigen Kombinate der DDR erst einmal entfitzt werden mussten.
Böicks Sicht ist die Sicht der Macher. Er konnte auf viele Interviews zurückgreifen, die zu einem Großteil noch in der Treuhand-Zeit selbst entstanden sind, als die Anstaltsleitung unter Birgit Breuel selbst versuchte, ihr Tun soziologisch untersuchen zu lassen. Denn dass das, was man tat, historisch ohne Vorbild war, war den Beteiligten durchaus bewusst.
Noch nie zuvor musste eine komplette, bis dahin zentral gesteuerte Staatswirtschaft so schnell an die Bedingungen eines freien Marktes angepasst werden. Die Treuhand-Manager mussten also nicht nur einen Käufer finden, was eh schon eine wahnsinnige Herausforderung war. Nie zuvor waren so viele Unternehmen auf einmal auf den Markt gekippt worden. Wo sollten die ganzen Käufer oder gar Investoren herkommen?
Viele Unternehmen mussten erst einmal in einen Zustand versetzt werden, in dem sie überhaupt verkäuflich waren. Was fast überall auch mit dem Abbau der Beschäftigtenzahl einherging. Viele Betriebe arbeiteten mit Belegschaften, wie sie sich schon seit Jahrzehnten kein westdeutsches Unternehmen mehr leistete. Dafür war der Maschinenpark zumeist veraltet, die konkurrenzfähigen Produkte fehlten.
Man begegnet sehr vielen persönlichen Schicksalen und Betroffenheiten. Denn nicht nur die West-Manager kommen ja ins Bild, Böick widmet sich auch ausführlich den zuvor gerade aus den DDR-Wirtschaftsministerien übernommenen Spezialisten, ohne die das nötige Grundlagenwissen gefehlt hätte, mit dem überhaupt hätte privatisiert werden können. Man darf nicht vergessen: Die DDR war noch nicht einmal richtig im Computerzeitalter angekommen. Es gab keine zentrale Datei, die man einfach aufrufen und abarbeiten konnte.
Eigentlich wundert man sich als Leser nur, dass die zentrale Steuerung der DDR überhaupt so lange funktioniert hatte. Obwohl sie das ja nicht hatte. Wovon gerade die ostdeutschen Interviewpartner erzählen, die ja genau wussten, warum die Vorgaben aus Berlin und die tatsächlichen Produktionsergebnisse nicht übereinstimmen und tatsächlich immer weiter auseinanderliefen. Im Grunde war die DDR-Wirtschaft eine Schimäre, ein erwünschter Erfolgsjubel, der mit den oft genug naturzerstörenden Tatsachen nichts zu tun hatte.
Aber man merkt noch etwas, was Böick gar nicht so sehr betont, auch wenn er akribisch versucht herauszubekommen, wo eigentlich die Weichen für die Treuhand-Arbeit gestellt wurden. Gab es irgendwo in Bonn eine Schablone, mit der man die deutsche Einheit vorausbedacht und irgendwie geplant hat? War es denn nicht der Westen, der über Jahrzehnte an der Wiedervereinigung festgehalten hatte?
Aber gerade hier tut sich ein überraschendes Manko auf: Eigentlich gab es nur zwei irgendwie belastbare Schriften, die sich überhaupt damit beschäftigten. Das eine war eine Dissertation des Wirtschaftswissenschaftlers Peter Dieter Propp aus dem Jahr 1964. Und das andere war eine kleine Schrift des damaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard aus dem Jahr 1953, geschrieben unter dem direkten Eindruck des Aufstands in der DDR: „Wirtschaftliche Probleme der Wiedervereinigung“.
Just diese Schrift war 1988 wieder neu aufgelegt worden und machte dann in der Bundesregierung Furore und wurde in gewisser Weise dann auch zur Blaupause der Treuhand-Arbeit. Und genau das beschreibt das Dilemma, denn Erhard hatte eine DDR-Wirtschaft vor Augen, die zwar schon stark zentralisiert war, aber noch längst nicht so radikal wie 1989. Es gab noch viele Kleinunternehmer und Mittelständler. Man hätte es also vor allem mit den Großunternehmen und der Schwerindustrie zu tun gehabt.
Und da sind wir in der Politik, dem Bereich, den Böick bei aller Materialfülle nicht erfassen kann. Das hätte den Rahmen seines Buches völlig gesprengt. Die Kohl-Regierung wendete auf die Transformation der DDR-Wirtschaft ein Rezept an, das 1953 wahrscheinlich noch funktioniert hätte, ab 1991 aber nur noch mit massiven Folgen auch im sozialen, finanziellen und psychologischen Bereich umsetzbar war.
Es ging nicht mehr um ein paar Dutzend große Staatsbetriebe und eine überschaubare Zentralsteuerung, sondern um eine Wirtschaft, die seit Jahrzehnten zentral gesteuert wurde und in der die Direktoren praktisch keinen Einfluss hatten auf die ihnen zugewiesenen Finanzen, Rohstoffe und Neuerungsraten.
Und Böick fragt zu Recht: Warum haben sich die verantwortlichen Politiker nicht mal eine Auszeit genommen, um über das Thema ein bisschen gründlicher nachzudenken?
Es ist zumindest keine Spur zu sehen von so einer – wenn auch zeitlich befristeten – Zeit für eine gut überlegte Lösung. Sodass dann eigentlich alle Entscheidungslast tatsächlich bei den Treuhand-Managern lag. Gerade die Älteren hatten zwar oft jahrzehntelange Manager- und Sanierer-Erfahrungen. Und das war auf jeden Fall Gold wertes Wissen bei einem auch nur irgendwie strukturierten Verkauf einer ganzen Wirtschaft.
Aber sie konnten nicht ersetzen, was die große Politik ausblendete – die sich auch noch lange nach dem 3. Oktober blenden ließ. Denn in einem war die DDR-Propaganda ja erfolgreich: Sie hatte nicht nur den eigenen Leuten eingeredet, in einer Spitzenwirtschaft zu leben und zu den führenden Industrieländern in der Welt zu gehören. Selbst die Bundesregierung war felsenfest der Überzeugung, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu übernehmen und dann am Ende möglicherweise die von Rohwedder einmal flapsig genannten 600 Milliarden Mark einzunehmen.
Aus denen ja dann bekanntlich über 300 Milliarden Mark Zuschuss wurden, die die Treuhand am Ende brauchte. Nicht nur, weil sie für viele Betriebe so gut wie nichts erlöste, sondern weil sie eigentlich auch von Anfang an sanieren musste. Das wird ebenfalls gern vergessen, wie viele Betriebe noch eine Weile nur mit Treuhandunterstützung noch weiterarbeiten konnten oder dann – auch mit Treuhandunterstützung – von der eigenen Belegschaft entrümpelt und abgerissen werden mussten, weil sich für die überalterte Produktion wirklich kein Interessent mehr fand.
Man kann sich über die beiden Zahlen ärgern – man könnte aber auch irgendwann einmal ein wirtschafts-mathematisches Buch über diese Transformation schreiben. Dann wird sich möglicherweise herausstellen, dass der Umbau einer derart erstarrten Planwirtschaft am Ende sogar ein relativer Erfolg war. Nur halt nicht mit „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl versprach. Aber Menschen lassen sich ja von solchen Phrasen gern blenden.
Und am Ende bleibt das Manko, dass das Buch über die eigentlich Verantwortlichen für die Treuhand-Richtungsentscheidung bis heute fehlt. Auch wenn Otto Köhler mit seinem Buch „Die große Enteignung“ schon in die Richtung zielte – aber auch er zeigt ja nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Bild. Vielleicht gibt es auch nicht mehr zu sehen, denn eindeutig tat sich gerade Helmut Kohl schwer, den Privatisierungsprozess politisch zu flankieren. Das überließ er lieber den unteren Chargen, die ihrerseits natürlich auch nicht in die Zukunft blicken und die Langzeitwirkungen dieser Art Politik aufzeigen konnten.
Denn dass die Treuhand heute wieder als Ursache allen Übels betrachtet wird, hat ja mit der völlig fehlenden politischen Flankierung zu tun. Was selbst die Untersuchungsausschüsse im Bundestag bestätigten, so deutlich wichen die Einschätzungen der Regierungsfraktionen vom Minderheitenvotum der Opposition ab.
Am Ende bekam man eine riesige Niedriglohn-Landschaft, in der viele Erwerbstätige mehrfach gebrochene Erwerbsbiografien und „Karrieren“ in schlecht bezahlten „prekären“ Jobs erlebten. Und das nicht nur bis zum versprochenen Angleich der Lebensbedingungen, der eigentlich spätestens 15 Jahre nach der Wiedervereinigung eintreten sollte.
Dafür gab es just in diesem Jahr „Hartz IV“, das im Osten natürlich zuerst all jene traf, die eh schon die ganze Zeit in prekären Beschäftigungen ausharrten. Logisch, dass gerade für die Älteren die Rückschau auf die DDR wie ein Blick in „bessere Zeiten“ wirkt – in Zeiten mit leidlich ausreichender Bezahlung und sozialer Sicherheit. Da steckt viel Verklärung dahinter. Aber Verklärung fasst nun einmal da Fuß, wo man die Enttäuschung der jüngeren Zeit einfach ignoriert.
Aber natürlich sprengt das den Inhalt dieses Buches.
Eine Ebene deutet Böick zumindest noch an, weil sie in den (ost-)deutschen Skandalgeschichten fast nie benannt wurde: Dass gleichzeitig eine ebenso radikale Privatisierungswelle durch die einstigen „Bruderstaaten“ in Osteuropa tobte, wesentlich brutaler, weil hier fast überall die schnellen Einsatzkommandos der Chicago-Boys zum Zuge kamen und eine harte neoliberale Privatisierungspolitik durchzogen, die die sozialen Verwerfungen in diesen Ländern noch viel schärfer machte. Auch dort kamen westliche Konzerne zum Zug, die auch gern all die Absatzmärkte besetzten, die zuvor DDR-Betriebe beliefert hatten.
Wer die Verwerfungen im Osten allein auf das Konto der Treuhand schreibt, springt zu kurz. Der blendet auch aus, dass auch die wirtschaftliche Transformation der DDR-Wirtschaft Teil einer noch viel gigantischeren Transformation in Osteuropa war.
Es wäre durchaus zu untersuchen, ob die Bundesrepublik das besser hätte flankieren können und welche Ansätze dafür klug gewesen wären. So galt in einem Wahnsinns-Galopp nur das eine Modell „Vorbild Bundesrepublik“ (wo man niemals so eine Transformation gestalten musste), später flankiert durch die ersten neoliberalen Experimente auf dem (ost-)deutschen Arbeitsmarkt.
Aber da wären wir schon mittendrin in einer ziemlich in Grautönen gezeichneten Geschichte der 1990er Jahre. Und Böick erinnert hier sehr lebendig, farbenreich und vielschichtig daran, dass das Jahr 1990 ganz und gar nicht das Ende der Geschichte war, sondern erst der Anfang einer viel zu selten thematisierten ostdeutschen Geschichte im vereinigten Deutschland. Da fehlt tatsächlich was. Als wäre es bis heute immer nur ein verstörender Appendix einer Republik, die aus der Bonner Bräsigkeit nicht herausfinden will.
Video: Wie die Treuhand die DDR privatisierte (1)
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