Kinder sind ja eine seltsame Spezies. Da denkt man, man kann sie mit Einhörnern und Prinzessinnen beglücken, da gehen sie in Streik. Schöne Abenteuer mit Pferden, Hunden und Kaninchen? Vergiss es. Echte Kinder wünschen sich echten Stoff. So wie die Großen eigentlich auch. Für die schreibt der Leipziger Autor Frank Kreisler seine Trotzenburg-Krimis. Und für die Steppkes? Natürlich eine handfeste Gespenstergeschichte.

Nicht nur eine. Mumien und Geister gab es bei ihm schon mehrere. Und wenn die LehrerInnen mutig sind, lässt er auch mal ganze Klassenzimmer mitgruseln und mitzittern. Und die Kinder haben ihr Abenteuer. Abenteuer gehen durch den Kopf. Als Autor weiß es Frank Kreisler. Und sie brauchen noch eins: den richtigen Erzählton. Und damit knüpft er an die wirkliche Tradition der Gespenstergeschichten, die – wie schon Wilhelm Hauff wusste – in pfeifenden dunklen Herbstnächten bei Kerzenschein am Familienofen erzählt wurden. Wurden. Denn die Neuzeit mit ihren technischen Spielzeugen lässt erwachsene Menschen das Erzählen verlernen. Sie können es nicht mehr.

Und deshalb fallen Kreislers Bücher auch auf, weil er so schreibt, wie man Kindern Geschichten erzählen kann. Sehr bildhaft, sehr humorvoll, sehr locker. Man merkt, dass er seine Erfahrungen mit jungen Zuhörern gesammelt hat und den Ton kennt, mit dem man ihre Aufmerksamkeit erringt. Und es dauert auch mit diesem Buch nicht lange. Denn das große Erklären drumherum lässt er weg.

Sein etwas unsportlicher Held Samuel ruft einfach seine neue Mitschülerin Hannah an und verabredet sich mit ihr zur Mitternachtsstunde. Zur Geisterstunde. So wie früher, als sich all die Helden der romantischen Geistergeschichten mit Zähneklappern und gesträubten Haaren an all die unheimlichen Orte begaben, an denen es spukte und wo man für gewöhnlich teuflische Pakte einging.

Pakte gehen die beiden Jugendlichen nicht ein. Dazu sind sie viel zu abgebrüht, auch wenn Hannah nicht ahnt, zu was Samuel sie tatsächlich auf den mitternächtlichen Friedhof lockt. Aber Hannah ist ein Mädchen, das sich vor Jungs schon mal gar nicht als Angsthase zeigen will, auch wenn ihr schon bald so Manches sehr seltsam vorkommt. Und es kommt ihr nicht nur so vor: Auf diesem Friedhof einer kleinen verschlafenen Stadt geht es zur Geisterstunde tatsächlich turbulent zu. Hier steigen die Skelette tatsächlich aus den Gräbern, erheben sich die Ermordeten, Gelynchten und Geköpften. So ein alter Friedhof hat Geschichte. Es muss wirklich der Friedhof eines kleinen, vergessenen Städtchens sein. Anderswo bleibt kein Grab so lange liegen, keine Gruft so lange ungeplündert.

Aber hier geht es um Geschichte. Irgendwie um Samuels Familiengeschichte, wie sonst wäre der Junge so erfahren mit dieser Geisterstunde und wüsste so genau, in welche Gruft die beiden klettern müssen, um die Schrille Madam zu befreien und den Kopf des Räuberhauptmanns aus seiner Nische zu holen, mit dem das eigentliche Abenteuer erst beginnt.

Denn genau hier beginnt Samuels Geschichte. Auch wenn es Hannah erst einmal ziemlich turbulent vorkommen muss, was die Skelette und Zombies auf dem Friedhof so alles treiben – die sich übrigens fast so benehmen wie richtige Menschen. Augenscheinlich legt man also seine schlechten Angewohnheiten auch nach dem Tod nicht ab. Jedenfalls nicht bei Frank Kreisler, der sichtlich seine Freude daran hat, seine beiden jugendlichen Helden mittenhinein zu führen in diesen Jahrmarkt der zuweilen etwas lädierten Gestalten. Es wird also nicht ganz so gruselig wie in den üblichen Thrillern und Horrorgeschichten, wo allein das Grauen der Hauptgestalten ja dafür sorgt, dass man sich als Leser bald nur noch vor allem möglichen fürchtet.

Ein sehr hübsches Element, wenn man so drüber nachdenkt: Die Gespenster, denen man sich stellt, hören auf einmal auf, fürchterlich zu sein. Wirklich grauenvoll sind die Gespenster, die man sich nur einbildet. Aber das ist ja, wie wir wissen, heute die Eigenart besorgter Erwachsener, die auf den Straßen herumlaufen und allen anderen einzureden versuchen, ihre Gespenster seinen auch unsere Gespenster.

Und Samuels Klappergespenster? Es sind wirklich seine. Oder vielmehr die seines Vorfahren, dessen dicken Schädel die Kinder jetzt durchs Gedränge tragen, ohne wirklich zu wissen, was sie suchen. Der Schädel hat zwar so eine Ahnung, weiß aber auch nicht, ob es nach 300 Jahren endlich klappt, dass Kopf und Unterteil wieder zusammenfinden.

Aus der Geisterstunde wird also gewissermaßen eine familiäre Mission und die Kinder haben einiges zu tun, damit der Schädel seinen Willen kriegt und die Sache sich am Ende zusammenfügt. Denn wie sagte schon ein bekannter Politiker dereinst? Was zusammengehört, muss sich auch finden. Oder so ähnlich. Manchmal muss man solche Sprüche einfach abwandeln, damit was Gescheites draus wird. Ein Skelett eben, das endlich seinen Dickkopf wiederfindet. Und das alles bei diesem gespenstischen Jahrmarkt mit Glühwürmchenfeuerwerk, der natürlich zu Ende geht, wie es im Buch geschrieben steht: mit einem einsamen „Dong!“ vom Kirchturm.

Zumindest eins ist sicher: Die Kinder, die mit dieser Geschichte zu Bett gehen, werden nicht viel Schlaf bekommen. Wenn überhaupt. Und sie werden – wenn sie Papa nicht überreden können, mit ihnen mal mitternachts auf den Friedhof zu gehen – wahrscheinlich immer davon träumen, dass Samuel oder Hannah heimlich anrufen, um sich mit ihnen kurz vor Zwölfe im Schatten des Kirchturms zu verabreden.

Und dann?

Tja, dann heißt es, sich ein gutes Versteck zu suchen und zu warten.

Aber wahrscheinlich kommen nur lauter verstreute Erwachsene vorbei, die auch nicht schlafen können. Mitternacht ist ja schon lange nicht mehr das, was es zu Wilhelm Hauffs Zeiten mal war.

Frank Kreisler Wie ein kopfloses Skelett seinen Schädel wiederfand, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2018, 9 Euro.

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