Um die Leipziger Krimi-Szene ist es etwas still geworden in letzter Zeit. Aber Andreas M. Sturm in Dresden macht unbeirrt weiter. Jetzt hat er seinen fรผnften Roman um das Ermittlerinnen-Duo Karin Wolf und Sandra Kรถnig vorgelegt, die seit 2012 in einer Stadt unterwegs sind, in der augenscheinlich niemand mehr so recht daran glaubt, dass es in Staat und Justiz mit rechten Dingen zugeht. Denn seine รผbelsten Bรถsewichter kommen aus den hohen Etagen des Staates.
Und vielleicht trifft er da den Nerv dieses Landes, in dem ein zielloser Unmut grollt, der sich scheinbar an Auslรคndern abarbeitet, aber eigentlich voller Misstrauen in die Funktionsfรคhigkeit des Staates ist. Sonst hรคtten ja nicht so viele Leute das Gefรผhl, Bรผrger 2. Klasse zu sein. Obwohl auch die beiden Dresdner Kriminalbeamtinnen den wirklichen Bรผrgern 2. und 3. Klasse eher selten begegnen.
Denn das Verblรผffende ist: In Krimis morden sie kaum. Da tauchen sie eher als vom Leben gebeutelte Gestalten auf, die sich mit Nachtschichten, drei Jobs oder Kleinkriminalitรคt irgendwie versuchen รผber Wasser zu halten. Auch die groรen Kriminalstraftaten gehen nicht auf ihr Konto. Auch wenn die Hammerharten aus Polizei und konservativen Parteien immer so tun, als mรผsste man die kleinen Ganoven mit immer mehr Mannschaft jagen und repressieren.
Die Groรen Fische aber bleiben unbehelligt. Denn in der Regel sind es Leute im Nadelstreifenanzug, mit Villa im Etepetete-Viertel und allerbesten Beziehungen zur Highsociety. Ein Thema, das Andreas M. Sturm beschรคftigt, seit er 2012 seinen ersten Krimi โVollstreckungโ verรถffentlichte. Manchmal geht es durchaus in psychische Abgrรผnde. Und er liebt es auch, die Spannung bis zur Weckerverzweiflung zu treiben.
Weckerverzweiflung kennt jeder Krimi-Leser: Er weiร genau, dass der Wecker um 5:30 Uhr klingelt, aber um Mitternacht liegt er mit dem Krimi immer noch hellwach unter der Leselampe und kann nicht aufhรถren, weil der Autor alle seine Handlungsfรคden so zugespitzt hat, dass gleich unbedingt etwas Schreckliches passieren muss. Und man blรคttert weiter, hat noch 90 Seiten vor sich und bekommt immer mehr solcher Momente, in denen der Autor mit Wonne genau da den Kapitelschluss setzt, wo alles sich auf einen richtig dramatischen Punkt hin entwickelt hat, die Heldinnen in hรถchster Gefahr sind und ein blutiger Mรถrder gerade dabei ist, den letzten Knopf zu drรผcken.
Und Sturm hat sein neuestes Buch mit solchen Kapiteln vollgepackt. Es wรคre also keine gute Empfehlung, den Krimi ausgerechnet am Sonntagabend anzufangen. Lieber mit Anstoร dieses nationalen Massenexzesses, der jetzt in Russland zelebriert wird und der den deutschen Notaufnahmen die Masseneinweisung von kollabierenden Mannsbildern bescheren wird, die zu viel getrunken, zu viel gefressen und nie etwas fรผr ihre Kondition getan haben.
Es wird eine laute und bekloppte Zeit. Da lohnt es sich einfach, sich mit Krimi und Rotwein zu absentieren. Lieber mit den beiden ineinander verliebten Kommissarinnen auf Pirsch gehen und Todesangst ausstehen, wobei es diesmal nicht nur Karin Wolf ist, die solche รngste aussteht, weil ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt ist und ein Berufskiller in der Stadt ist, der ihr das Lebenslicht auspusten soll mit einem halben Kilo Semtex.
Den รrger hat sie sich in einem der vorhergehenden Bรคnde eingehandelt, als sie bei der Lรถsung eines ebenso brisanten Falles einem sรคchsischen Politiker namens Herko Christen zu nahe auf den Pelz gerรผckt ist, ein Buch, aus dem der modrige Geruch des schon wieder hรผbsch wegretuschierten Sachsensumpfes drang.
Andreas M. Sturm kennt sein Sachsen. Und wenn die Politik hier heute so in Nรถten schwimmt, hat das genau damit zu tun, dass eine alte Staatspartei aufs Engste mit dem Staatsapparat verwachsen ist, entscheidende Staatsdiener nicht nur das richtige Parteibuch haben, sondern auch ein Schwergewicht in den staatstragenden Netzwerken sind โ und einige Karrieristen auch von Anfang an ihren politischen Aufstieg aufs Engste mit Vorteilnahme und zwielichtigen Geschรคften verbanden.
So eine Type ist Christen, den es letztlich gar auf ein Europamandat gehievt hat, sodass er jetzt von Straรburg aus seine Strippen zieht und im Darknet Killer anheuert, um Karin Wolf aus der Welt zu schaffen.
Da ermittelt es sich natรผrlich ganz und gar nicht mehr unbeschwert. Erst recht, wenn der neue Fall selbst an den Nerven zehrt, denn diesmal scheinen es die beiden Kommissarinnen mit einem Mรถrder zu tun zu haben, der Jugendliche mit aller Brutalitรคt ermordet. Hat man es mit einer Autodiebe-Mafia zu tun, die mit einer konkurrierenden Schieberbande in Zwist geraten ist? Spielt eine Erpressung eine Rolle? Und wer ist jetzt wieder das U-Boot in Wolfs Team, das alle frischen Ermittlungsergebnisse an den zustรคndigen Staatsanwalt ausplaudert, der dafรผr bekannt ist, Ermittlungen mit allen in seiner Macht stehenden Mรถglichkeiten zu verhindern?
Am Ende ist auch dieser Staatsanwalt tot โ aber da ist man schon mittendrin in der Weckerverzweiflung; die Mannschaft um Karin Kรถnig war zwar fleiรig und hat auch die fatalen Verhรคltnisse in den Familien der ermordeten (oder abgetauchten) Jungen grรผndlich erkundet, aber es zeichnet sich noch nicht der entscheidende Hinweis ab, welches Motiv hinter den brutalen Taten steckt.
Dass es ein ganz vertracktes Motiv ist, das auch mit den geradezu frustrierenden Familienverhรคltnissen zusammenhรคngt, mit denen es die Ermittler zu tun bekommen, wird erst am Ende klar. Allein in einigen dieser Schรถner-Schein-nach-auรen-Familien steckt jede Menge Zรผndstoff fรผr blutige Dramen. Aber es ist ja, wie man weiร, die schรถne, vergoldete Wirklichkeit unserer schรถnen neuen Welt, in der Vertrauen, Respekt und Liebe rar geworden sind, weil ja doch alles kรคuflich scheint.
Da denkt man natรผrlich auch kurz an die fatale รhnlichkeit mafiรถser Groรunternehmen mit dem Gebaren, wie selbst in der zivilen Realitรคt von einigen Unternehmen agiert wird. Dieses Denken hat ja auch die Politik zerfressen. Macht und Geld sind die heiligen Kรผhe der Zeit. Und das sorgt schon in den Schulen fรผr durchaus kriminelle Selbstverstรคndlichkeiten. Denn wenn Respekt und Wissen nicht mehr zรคhlen, geht es nur noch um Geschรคftemacherei, Gruppenschikane und das Mobbing von Schwรคcheren.
Es sind durchaus Kriminalromane, die den Leser noch mit dieser Wirklichkeit zu konfrontieren wagen. Und wรคre diese Schule und diese Gesellschaft nicht so, etliches in diesem Kriminalfall wรคre so eigentlich nicht denkbar.
Und natรผrlich รผberlegt man: รberzieht Sturm nicht doch an einigen Stellen zu sehr?
Wahrscheinlich. Denn er ist ein Bursche, der doch noch an den guten Kern im Menschen glaubt, selbst im Herzen seines Profikillers, mit dem er die schรถnen und die finsteren Seiten Dresdens erkundet und den er auch in der Dresdener Bandenwelt ein bisschen aufrรคumen lรคsst. Dabei bringt er es fertig, seine Helden alle fast gleichzeitig durch Dresden eilen oder schlendern zu lassen. Auch einen der Jungen, der in panischer Angst einen Ort sucht, an dem er in Sicherheit ist. Es werden wieder etliche Computer gehackt โ man merkt die Berufsvergangenheit des Autors als Informatiker.
Aber wo, wenn nicht im magischen Reich des Krimis soll das Gute eigentlich noch triumphieren, wenn selbst in der Politik die Rotzlรถffel-Mentalitรคt Einzug gehalten hat und sich die obersten Reprรคsentanten von Staaten benehmen wie Mafiabosse? Zwar nicht in Sachsen, da haben wir es ja mit denkbar schwachen Ministerprรคsidenten zu tun, die die dumpfe Provinzialitรคt ihrer Parteiverbรคnde irgendwie austarieren mรผssen und die Arroganz eines betonierten Machtapparates erst recht.
Den Roman aber wird sich garantiert keiner zu schreiben trauen, der dieses Dilemma auch nur in Bilder fasst. Obwohl: Stoff wรคre genug da. Und Typen wie Christen in allen Sakko-Formaten gibt es in der sรคchsischen Politik genug, oft genug sind es genau die Strippenzieher, die Machtfragen genauso behandeln wir Francis Underwood in โHouse of Cardsโ. Nur dass sie das Licht der รffentlichkeit scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Sind wir jetzt zu weit abgeraten vom Erzรคhlstrang? Nicht unbedingt. Denn die Folgen dieser ungesehenen Netzwerke bekommen auch Karin Wolf und ihre Kollegen zu spรผren. Wenn man selbst den Vorgesetzten in der Justiz misstraut und unter den falschen Entscheidungen und der Gier der praktizierten Politik leidet, dann entsteht ganz von allein ein Fatalismus, der die Arbeit der Kriminalpolizistinnen รผberschattet.
Lohnt es sich รผberhaupt noch, die ganzen kleinen und groรen Ganoven zu jagen, wenn die einen mit banalen Strafen davonkommen und die anderen sich mit gut bezahlten Anwรคlten jederzeit freikaufen kรถnnen? Wenn man selbst mit brutalsten Schlรคgertypen bei immer neuen Ermittlungen aufs Neue konfrontiert wird und sich fragt, was diese Brutalos eigentlich erst anstellen mรผssen, damit ihnen eine โunglรผckliche Kindheitโ nicht immer wieder zum Freispruch verhilft?
Das alles klingt mit an in Sturms neuem Roman. Vielleicht ist deshalb der Krimi aktuell das Beliebteste aller Genres: Weil er zeigen darf, wie kaputt unsere Gesellschaft hinter der blankgewienerten Fassade aus Konsum-Fetischismus und Eitelkeit eigentlich ist.
Und da Karin Wolf in diesem Buch ihren allergrรถรten Schrecken verliert, dรผrfte in weiteren Bรคnden wieder genug Bissigkeit da sein, den ganz groรen Drecksรคcken wieder mal den Angstschweiร auf die Stirn zu treiben.
Andreas M. Sturm Todesangst, Edition Krimi, Leipzig 2018, 14 Euro.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher