Für FreikäuferLZ/Auszug aus Ausgabe 54Manchmal ist es ganz gut, wenn Profis wie Susanne Jacob wissen, was für ein Buch eigentlich fehlt in den Kinderbuchabteilungen. Sie ist Gefängnispsychologin und weiß nicht nur, mit welchen psychischen Problemen die Inhaftierten zu kämpfen haben. Denn wenn jemand in den Knast wandert, dann hat er meist auch Familie und Kinder. Und die Kinder leiden natürlich darunter, wenn Papa „in den Bau muss“. Sie werden mitbestraft.
Ein Problem, das Susanne Jacob nur zu bewusst ist. Über einen kleinen Umweg landete der Wunsch beim Klett Kinderbuchverlag in Leipzig. Wo man durchaus auch eigene Autoren bei der Hand gehabt hätte, das Thema kindgerecht in ein Buch zu verwandeln. Aber dann interessierte Monika Osberghaus und Thomas Engelhardt, die den Lesern schon aus dem fiktiven Autoren-Trio Meyer, Lehmann, Schulze bekannt sind, das Thema selbst viel zu sehr.
Und so machten sich die Verlegerin und ihr kreativer Partner auf den Weg, die Justizvollzugsanstalten im Land selbst zu besuchen, mit Anstaltsleitern, Wächtern, Ärzten und Psychologen zu sprechen und sich auch von Gefangenen ihre Zelle zeigen zu lassen. Sie wollten wirklich wissen, wie sich das Leben hinter Gittern abspielt, wie die Betroffenen leben und wie sie damit zurechtkommen. Und vor allem: Wie erleben es ihre Kinder?
Manche Partnerschaften und Familien zerbrechen, wenn einer der Erwachsenen ins Gefängnis muss. Aber viele Ehepartner harren aus und versuchen, so viel Rückhalt zu geben wie möglich. Oft sind sie der einzige Kontakt der Inhaftierten in die „Welt da draußen“, das, worauf es zu warten und zu hoffen lohnt. Die beiden haben die Illustratorin Susann Hesselbarth auf ihren Recherche-Fahrten gleich mitgenommen. So sind auch gleich lauter kindgerechte Zeichnungen entstanden, die eine Vorstellung vom Leben hinter den Mauern geben.
Das Buch ist im Wesentlichen die Geschichte von Sina, einem achtjährigen Mädchen, dessen Vater wegen eines Raubüberfalls ins Gefängnis muss. Eine bewusst positiv konnotierte Geschichte, betonen die Autoren. Das, was die Kinder und Jugendlichen erleben, wenn jemand aus ihrer Familie im Gefängnis sitzt, sei sowieso schon schwer genug zu ertragen. Da sei es wichtig auch zu zeigen, dass das auch ein gutes Ende haben kann. Aber eines, das sich alle hart erarbeiten müssen.
Denn in der Regel stecken hinter den Taten, für die Menschen verurteilt werden, ganz andere Gründe. Bei Sinas Papa ist es die Spielsucht, die er irgendwann nicht mehr bezahlen konnte. Das braucht nicht nur das Verständnis seiner Frau und seiner Tochter, sondern auch seine Bereitschaft, sich auf eine Therapie einzulassen.
Bei Sina – für die das immerhin wichtige Jahre ihrer Kindheit sind – endet es manchmal auch in tiefster Verzweiflung. Da klagt sie den fernen Papa natürlich an, macht ihm Vorwürfe. Denn eigentlich braucht sie ihn ja. Rund 100.000 Kindern geht es deutschlandweit so. Und für die meisten ist die Inhaftierung ihres Vaters natürlich ein Trauma. Die Familien dürfen ihre Angehörigen zwar besuchen.
Aber selbst solche Besuche sind meist hochemotional. Und es ist nicht unbedingt die Regel, dass einer sich wie Sinas Vater frühzeitig bemüht, wieder Tritt im richtigen Leben zu finden – was als Freigänger ja schon möglich ist. Sein Arbeitgeber schätzt ihn als Koch. Und da hat er auch Glück, dass er auch im Knast kochen darf – sehr zur Freude seiner Mitinhaftierten.
Es sind diese kleinen Streiflichter ins ganz Menschliche, die das Buch so berührend machen, denn damit schaffen es Osberghaus und Engelhardt auch, die sonst so anonym abgestempelten „Häftlinge“ (eine Wortbildung genauso wie bei „Flüchtlinge“) aus eben dieser Gesichts- und Konturlosigkeit herauszuholen.
Auch die Inhaftierten sind Menschen mit menschlichen und liebenswerten Seiten, haben Talente, beherrschen Berufe, die gesellschaftlich wichtig sind, haben Gefühle, Sehnsüchte und natürlich Vorstellungen davon, wie ein gutes Leben aussehen müsste. Und die meisten werden eher Sinas Papa ähneln, aus dem Gleis geraten, über die eigenen Fehler gestolpert und nun in einer Situation, in der sie jede Menge über sich selbst und das Wichtigste im Leben nachdenken können.
Es wird trotzdem keine Kuschelgeschichte. Neben Sinas Geschichte gibt es immer auch sachliche Erzählungen über all das, was man über das Leben im Gefängnis wissen kann. Über die Menschen, die dort von Berufs wegen arbeiten, über das, was in einer Zelle stehen darf, was man arbeiten darf und wie das ist, wenn sich die Inhaftierten die ersten Hafterleichterungen verdient haben. Denn das Ziel ist ja weniger die Bestrafung, auch wenn Freiheitsentzug immer eine harte Strafe ist.
Aber eigentlich geht es am Ende darum, die Inhaftierten wieder zu resozialisieren, also wieder einzugliedern in unsere Gesellschaft. Was natürlich leichter ist, wenn sie noch eine Familie haben, auf die sie bauen können – auch das schwer genug. Auch Sinas Mama möchte zuweilen verzweifeln. Und auch die Probleme im Gefängnis werden nicht verschwiegen, denn es finden sich dort eben auch Menschen, die durchaus nicht herausfinden aus ihren alten Schleifen.
Ein kleines Wörterbuch am Ende führt die Leser auch noch ein wenig ein in die Sprache, die im Knast so gesprochen wird.
Tatsächlich erzählt das Buch ja mehr als nur diese eine Geschichte über Sina und ihren Papa. Es stecken lauter Familiengeschichten drin – oder Männergeschichten. Denn es ist Sinas Papa, der ja hier auf die harte Tour lernt, was er seinen Liebsten angetan hat, indem er seine Spielsucht nicht in den Griff bekam. Da lernt man dann ziemlich spät und für alle sehr schmerzhaft, dass man Dinge nicht einfach laufen lässt, wenn man seine Familie wirklich liebt.
Da tröstet dann das rosa Lieblingsplüschschwein, das Sina ihrem Papa mitgegeben hat in seine einsame Zelle. Da hat er jemandem, dem er seine Traurigkeiten erzählen kann. Denn in den Briefen an Sina schreibt er immer aufmunternd. Da wächst er hinein in die Rolle des Erwachsenen, der weiß, was er verbockt hat, und der versucht, so viel Mut zu machen wie möglich.
Thomas Engelhardt; Monika Osberghaus Im Gefängnis, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2018, 14 Euro.
Keine Kommentare bisher
Von Häftlingen geschrieben und von ihnen hergestellt, ist auch dieses Kinderbuch “Wir treffen uns im Traum. Eine Geschichte über Papa im Gefängnis” zu empfehlen. Es erschien erstmals vor 10 Jahren uns ist immer noch lieferbar; sein Preis ganze 3,40 €. Die Idee zu dem Buchprojekt hatte die Gefängnispsychologin Nicole Borchert.
Zum Inhalt: “Alessa erfährt, dass ihr Vater ins Gefängnis muss. Damit verändert sich nicht nur Papas, sondern auch ihr Alltag. Die Sehnsucht nach Papa, das Wiedersehen beim Besuch und der Umgang mit diesem `Geheimnis` werden angesprochen ohne dass es dabei um Schuldzuweisungen geht. Stattdessen soll mit dem Buch die Ansprechbarkeit für kindliche Sorgen und Nöte zum Thema Haft erhöht werden. Angehörige von inhaftierten Vätern sollen eine Unterstützung für die Begleitung ihrer Kinder in dieser schwierigen Lebensphase bekommen. Eine Projektinitiative des Psychologischen Dienstes der JVA Leipzig in Zusammenarbeit mit derzeit inhaftierten Vätern.”
Bestellen kann man es direkt:
http://www.eshop.sachsen.de/gitterladen/index.php/kinderbuch.html