Das hรคtte uns ja auch gewundert, wenn es in diesem Jahr keinen Trier-Stadtfรผhrer gegeben hรคtte. Denn Trier steht in diesem Jahr so im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit, wie es 2017 Wittenberg tat. Natรผrlich hรคngt es mit den berรผhmten Burschen zusammen, die da wirkten bzw. ihre Kindheit verbrachten. Und Trier hat ja den 200. Geburtstag seines berรผhmtesten Sohnes auch noch mit der Aufstellung einer Statue gefeiert.

Sogar die konservative F.A.Z. hat Karl Marx in diesen Tagen mehrfach mit groรŸen Artikeln gewรผrdigt. Man zeigte sich zwar hรถchst besorgt, dass zum Marx-Geburtstag eine von China gestiftete Marx-Statue aufgestellt wurde. Aber augenscheinlich haben einige F.A.Z.-Redakteure etwas getan, was die SPD-Fรผhrungskrรคfte schon lange nicht mehr tun: Sie haben das Wichtigste aus seinen Werken gelesen.

Und gestaunt. Weil fast alles, was der alte Rauschebart geschrieben hat รผber Kapital, Handel, Zรถlle, Freihandel, Freiheit und Abhรคngigkeit heute noch immer stimmt. Noch viel klarer als zu seiner Zeit. Der Bursche konnte nicht mal ahnen, dass die Wirtschaftsweise, die er da analysierte, nicht am Ende ihrer Entwicklung war (und gleich die Revolution kรคme), sondern erst am Anfang.

Es ist also keine รœberraschung, wenn man gleich zum Beginn des Trier-Rundgangs, gleich hinter der Porta Nigra auf dem Simeonstiftplatz รผber die Marx-Statue stolpert. Und am Haus SimeonstraรŸe Nr. 8 auf die Gedenktafel stรถรŸt, die daran erinnert, dass der kleine Karl hier seine Jugend verbrachte. Spรคter lernt man noch das Gymnasium kennen, auf dem er eifrig lernte, und ganz zum Schluss auch noch sein Geburtshaus, das heute der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gehรถrt und das das kleine Marx-Museum enthรคlt.

In Trier geht man sichtlich etwas lockerer mit dem ร–konomen und Philosophen um, der den Kapitalisten eigentlich als Erster richtig erklรคrt hat, wie Kapitalismus funktioniert. Aber trotzdem kommt man nicht in eine โ€žRote Stadtโ€œ. Selbst wenn man extra wegen Karl und Jenny nach Trier reist an die herrliche Mosel. Was schon alles sagt. Denn die Stadt liegt auch noch mitten in einem der glรผcklichsten Weinanbaugebiete Deutschlands.

Und das hat natรผrlich wieder mit den Rรถmern zu tun, die hier im Jahre 17 vor unserer Zeitrechnung die Stadt Augusta Treverorum grรผndeten, benannt nach dem Stamm der Treverer. Damit ist es die รคlteste Stadt in Deutschland. Und auch das kann man besichtigen โ€“ mit der Porta Nigra beginnend, die einem heute ja sofort einfรคllt, wenn man an die berรผhmtesten rรถmischen Bauwerke in Deutschland denkt.

Dabei ist sie nie fertig gebaut worden, genauso wenig wie die Kaiserthermen, รผber die man spรคter stolpert. Und das, obwohl Trier zeitweilig Sitz der rรถmischen Kaiser war โ€“ auch von Konstantin, jenem Kaiser, der das Christentum zur Staatsreligion erhob. Deswegen ist Trier auch der รคlteste Bischofssitz in Deutschland. Man kommt regelrecht durcheinander bei all den Begrรคbnisplรคtzen berรผhmter Bischรถfe und Erzbischรถfe innerhalb und auรŸerhalb des heutigen Domfreihofs.

Man stolpert aber auch รผber den faszinierenden Streit, den stolze Bรผrger immer gegen die geistlichen Fรผrsten ausgetragen haben, wenn ihnen die kirchliche Vormundschaft auf den Keks ging. Die Trierer zeigten dem Erzbischof mit der Erhรถhung ihres Stadtkirchturms ihren Trotz. Losgeworden sind sie den Kirchenfรผrsten aber erst 1801 durch Napoleon.

Trotzdem ist Trier bis heute geprรคgt durch die groรŸen Kirchenbauten. Und zwei wichtige rรถmische Relikte kann man nur deshalb noch bewundern, weil sie als Kirchen genutzt worden sind โ€“ die Porta Nigra und die berรผhmte Konstantin Basilika.

Und richtig viel rรถmische Geschichte kann man auch im immer noch funktionsfรคhigen Amphitheater, der 2.000 Jahre alten Rรถmerbrรผcke, in den Barbarathermen, am Viehmarktplatz (wo ein ganzes Viertel der einstigen rรถmischen Stadt ausgegraben wurde) und unter der Kirche St. Maximin bestaunen. Im Rheinischen Landesmuseum natรผrlich auch โ€“ fast alles liegt an dem von Tomke Stiasny beschriebenen Rundweg, den man wohl tatsรคchlich nicht an einem Tag schafft.

Vielleicht hat auch Verleger Mark Lehmstedt eingesehen, dass es zwar schรถn ist, die wichtigsten Sehenswรผrdigkeiten einer Stadt an einem Tag zu absolvieren. Aber hinterher ist man fuรŸlahm, abgehetzt โ€“ und hat trotzdem nicht viel mitgekriegt. Denn faszinierende Orte brauchen Zeit. Nicht nur die Kirchen, die immer sehr detailreich beschrieben werden, sondern auch die Museen, die Parks und historisch wichtigen Plรคtze.

Deswegen gibt es ja unterwegs immer kleine Tipps, wo man einkehren kann, um einen gemรผtlichen Riesling von der Mosel zu genieรŸen. Oder im Heft weiterzulesen und auch mal kurz die Biografien der Berรผhmtheiten zu รผberfliegen. Denn Kaiser Konstantin und Karl Marx sind ja nicht die Einzigen, die es an die Mosel verschlagen hat โ€“ auch wenn der eine dann seinen Alterssitz nach Konstantinopel verlegte und der andere nach London. Das Grab des Dichters Friedrich Spee (der sich auch gegen Hexenverfolgung und Folter engagierte) kann man heute noch besuchen.

Und man findet auch noch Reste des mittelalterlichen Triers โ€“ auch wenn das meiste von diesem Trier, wie es Karl Marx gekannt haben muss, im 2. Weltkrieg in Schutt und Asche gebombt wurde. So weit, ihre ganze Altstadt wieder zu rekonstruieren wie die Frankfurter, sind die Trierer noch nicht. Auch wenn ein paar eindrucksvolle Wohn-Wehr-Tรผrme รผberlebt haben oder โ€“ wie die Steipe โ€“ wieder aufgebaut wurden. Was nur zu verstรคndlich ist, denn rund um den Markt mit seiner erzbischรถflich gewรคhrten Marktfreiheit zeigt sich bis heute in stolzen Bรผrgerhรคusern das Selbstbewusstsein der Trierer.

Drei eindrucksvolle Kirchen liegen auรŸerhalb des Rundgangs, der kurz hinterm Karl-Marx-Haus auf dem Kornmarkt endet. Hinterher hat man 2.000 Jahre mehrschichtige Stadtgeschichte hinter sich โ€“ da fallen die 200 Jahre Marx gar nicht so sehr ins Gewicht, auch wenn es die Friedrich-Ebert-Stiftung natรผrlich wertschรคtzt, dass sich seit 2008 wieder eine Menge Leute intensiver mit Marx beschรคftigen, weil sie begriffen haben, dass er in seinen Analysen wohl Recht hat. Bis heute. Auch wenn seine grรถรŸten Verehrer heute aus China kommen.

Tomke Stiasny Trier an einem Wochenende, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2018, 5 Euro.

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