Siegfried Jahn ist ein Leipziger Urgestein. Die Leipziger kennen den 66-Jährigen als Inhaber der kleinen Buchhandlung „Interart“, die er von 1995 bis 2017 in der Königshaus-Passage betrieb, wo man die Mosaik-Bücher bekam und alle Indianer-Bücher, die einst in DDR-Verlagen erschienen. Die Ureinwohner Nordamerikas liegen Jahn zeitlebens am Herzen. Jetzt hat er sein schönstes Hobby in einem eindrucksvollen Buch sichtbar gemacht.

Gemeinsam mit Rudolf Oeser, Historiker aus Zwickau, hat er seine über Jahrzehnte gesammelten historischen Postkarten mit Motiven nordamerikanischer Indianer in diesem Bildband versammelt. Immer schon war er der Leipziger Indianistik verbunden. Und gezielt hat er gesammelt, was es an Indianer-Motiven auf historischen Postkarten zu finden gab.

Die hohe Zeit der Bildpostkarten war ja um 1900. Die bebilderten Karten luden geradezu dazu ein, kurze Grüße und Botschaften schnell mal zu formulieren, zu frankieren und loszuschicken – so, wie heute SMS verschickt werden mit Selfies von den kuriosesten Orten der Welt.

2010 zeigte Pro Leipzig mit dem Band „Bilderbogen“, welche Schätze die Sammlungen eifriger Postkartenfreunde an Motiven für die historische Stadtentwicklung in Leipzig haben. Gäbe es keine Bildpostkarten, gäbe es von vielen Orten und Ereignissen kein einziges verfügbares Bild.

Und so ähnlich ist es auch mit den Ureinwohnern Nordamerikas. Im Vorspann erzählen die beiden Autoren noch einmal die Geschichte der Postkarte, die zentrale Rolle Deutschlands als Druckort auch für Millionen amerikanischer Postkarten, und die Entstehung der Motive, die hier auf über 700 Postkartenbildern zu sehen sind.

Das Wort Indianer hat sich zwar eingebürgert und auf den Postkarten ist meist auch der Begriff Indians zu lesen, aber tatsächlich geht es ja um die First Nations, wie sie in Kanada genannt werden, bzw. die Native Americans in den USA. Und auch das sind ja nur Sammelbegriffe für dutzende verschiedener Stämme, die sich nicht nur durch ihre Kultur, ihr Kunsthandwerk und ihre traditionelle Lebensweise unterscheiden, sondern auch durch ihre Sprache und die Zugehörigkeit zu einer Sprachfamilie.

Und da zeigen diese alten Postkarten ihre eigentliche Stärke. Entstanden sind sie fast alle nach Ende dessen, was man so landläufig Indianerkriege nennt, was aber in großen Teilen die oft geradezu verzweifelten Verteidigungskriege der amerikanischen Ureinwohner gegen die vordringenden Weißen, den fortgesetzten Landraub und letztlich die oft zwangsweise Umsiedlung in Reservationen waren.

Einige (Krieger-)Häuptlinge wurden in diesen Kriegen berühmt – wie Tecumseh oder Sitting Bull, die man in diesem Band genauso findet wie einige jener Häuptlinge, die sich als Friedensstifter einen Namen gemacht hatten – so wie Seattle, Häuptling der Duvamish, nach dem die Großstadt Seattle benannt ist.

Wer so eifrig über Jahrzehnte sammelt, der ordnet seine Sammlung natürlich auch und merkt irgendwann, wie viele wichtige Informationen die Postkarten tragen. Nicht nur über Entstehungsjahr, Fotograf und die Eigenarten der Versender. Denn die Karten bieten ja in der Regel auch Erläuterungen zu den Motiven. Und spätestens da merkt man, was für eine reiche Kulturwelt die weißen Siedler eigentlich vorfanden, als sie nach Nordamerika kamen und begannen, sich das wertvolle Land anzueignen.

Eine große Karte gleich zu Beginn zeigt dem Leser, wo welche Stämme einst siedelten und zum Teil auch heute noch zu Hause sind. Nach diesen großen Siedlungsgebieten ist auch der Band geordnet. Von Ost nach West, von Süd nach Nord lernt man die verschiedenen Stämme kennen. Man taucht quasi ein in die Sichtweise des späten 19. Jahrhunderts, als die meisten Stämme „befriedet“ waren und sich die ihnen zugewiesenen Reservationen zu touristischen Attraktionen entwickelten. Es ist der exotische Blick der Weißen auf die ins Abseits gedrängten Ureinwohner.

Dass es ein sehr seltsamer Blick ist, wird im letzten Kapitel „Neue Zeiten: Das 20. Jahrhundert“ besonders deutlich, das sich speziell mit den Schaudörfern und den Inszenierungen von Indianerleben beschäftigt – bis hin zu den großen Zirkus- und Völkerschauen in Europa, die dann ebenfalls wieder auf Postkarten verewigt wurden. Es gibt auch einige Postkarten, die die Verklärung der amerikanischen Siedlungsgeschichte aufgreifen.

Die berühmtesten Beispiele sind ja das große Epos „The Song of Hiawatha“ von Henry Wadsworth Longfellow aus dem Jahr 1855 und die auch noch von Hollywood verkitschte Geschichte um die Häuptlingstochter Pocahontas. Wenn man ein schlechtes Gewissen um die eigene Geschichte hat, dann wird sie eben mit sentimentalem Kitsch zugeklatscht. Da sind die US-Amerikaner nicht anders als die Deutschen.

Aber die Vielzahl der Postkarten, die auch das Alltagsleben, die Unterkünfte, Frauen und Kinder, Tänze und Zeremonien zeigen, macht eigentlich erst deutlich, wie sehr sich die Wirklichkeit von der verkitschten Romantik unterscheidet. Und die kleinen Texte zu jeder Karte helfen bei der Einordnung. Sie beschreiben die jeweils versammelten Stämme, ihre Lebensräume und ihre Geschichte zumindest in der jüngeren Vergangenheit.

Das erstreckt sich teilweise bis ins 17. Jahrhundert zurück, als viele Stämme ihre Lebensweise gründlich veränderten – teilweise unter dem Druck der weißen Siedler, der zuallererst die Huronen, Iroquois und Delawaren betraf. Aber befördert auch durch die Pferde, die die Spanier mitgebracht hatten und die nun auf einmal die Jagd auf die Bisons erleichterten.

Einige Postkarten im Buch halten auch die alten, beeindruckenden Siedlungen oder die beeindruckenden Mounds der Hopewell-Kultur fest. Die Weißen kamen ganz und gar nicht in eine Welt der Jäger und Sammler, sondern in eine Welt, in der die meisten Stämme in festen Siedlungen lebten und Landwirtschaft betrieben. Die Hopewel-Kultur ist die berühmteste dieser prähistorischen Kulturen.

Und am Ende darf der Leser auch staunen, dass die am längsten besiedelten Orte nicht an der Ostküste zu finden sind, sondern im Südwesten, wo einige Pueblos seit dem 12. Jahrhundert bewohnt sind. Gerade weil die Postkarten so detaillierte Kapitel zu den meisten Stämmen ermöglichen, wird der Band zu einer Reise in die Vielfalt der indigenen Kulturen Nordamerikas.

Die Grenze zu Kanada wird dabei mehrfach stillschweigend überschritten. Aber während Kanada weite Teile des Landes als indigene Territorien anerkennt, leben die Native Americans heute in einem Flickenwerk von Reservationen. Manche Postkarten reichen bis in die 1940er Jahre, zeigen also auch, wie die Stämme mit den ihnen auferlegten Bedingungen zurande kommen.

Das mit den Schaudörfern hat nicht dauerhaft funktioniert. Aber indianisches Kunsthandwerk und die Feste der Ureinwohner sind auch heute noch eine Attraktion. Museen widmen sich dieser reichen Vorgeschichte, Denkmäler erinnern an die alten Schlachten. Und vor allem bewahren viele der Bildkarten die Gesichter und Namen wichtiger Vertreter der Stämme, teilweise auch Situationen, die heute so ein Außenstehender nicht mehr zu sehen bekommt. Grundlage der Motive sind oft die Fotosammlungen einiger großer Expeditionen im späten 19. Jahrhundert.

Und viele Bilder zeigen auch detailliert Kleidung und Wohnorte. Nicht alle Indianer lebten in Tipis, nicht alle jagten Büffel. Man begegnet auch Walfängern, Töpfern, Tänzern, Scouts und Bauern – der ganzen Vielfalt einer Welt, die um 1900 sichtlich als sehr exotisch empfunden wurde. Und gerade weil die Karten so detailliert sind, haben sie auch für den Völkerkundler viel Wissenswertes festgehalten. Und für jeden, der eh schon von den Völkern Nordamerikas fasziniert war, bietet der Band eine Fülle von Informationen, die es so reich bebildert anderswo kaum gibt.

Siegfried Jahn, Rudolf Oeser „Indianer Nordamerikas auf historischen Postkarten“, Passage-Verlag, Leipzig, 2018, 39,95 Euro.

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