An ihrer Sprache sollst du sie erkennen. Und wer ein bisschen gelernt hat, sorgsam mit seiner Sprache umzugehen, der erkennt sie auch. Der merkt schon beim Lesen, wenn ihm dreiste Menschen versuchen, ihre Vorurteile unterzujubeln. Denn Sprache kann missbraucht werden, um Menschen abzuwerten. Was eigentlich mal klar war. Aber dann kamen die Lautsprecher der Neuen Rechten und sorgten für schräge und eigentlich unverschämte Diskussionen.

Und einer wie Anatol Stefanowitsch kann auch erklären, was daran unverschämt ist. Er ist Sprachwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Da weiß er, wie Sprache funktioniert. Und wie Sprache zur Diskriminierung verwendet werden kann. Ein Thema, mit dem man sich in den angloamerikanischen Ländern schon länger beschäftigt. Es kam erst recht spät nach Deutschland und traf hier natürlich auf eine Gesellschaft, die sich lange in dem Glauben eingelullt hatte, dass Sprache nicht moralisch sein könnte und ein abwertender Sprachgebrauch eher nur im Auge des Betrachters liegt.

Dass die Neuen Rechten mit ihrem Lärm gegen die „Political Correctness“ so ein großes Echo finden – bis in die Feuilletons konservativer Zeitungen hinein – hat mit dieser fehlenden Aufmerksamkeit zu tun. Man kann es auch Gleichgültigkeit nennen oder fehlendes Sensorium für Machtgefälle.

Den „Gender Pay Gap“ hatten wir ja gerade. Mit lauter Statements engagierter Frauen und Männer, die nicht verstehen, warum Frauen nach wie vor so systematisch schlechter bezahlt werden als die Männer. Wer noch genauer hinschaut, sieht, dass es nicht nur Frauen betrifft, sondern auch andere abgewertete Bevölkerungsgruppen – Menschen mit Migrationshintergrund, mit Armutsrisiko, mit Bildungsrückstand, mit anderer Hautfarbe, mit anderer oder gar keiner Religion.

Nicht nur in der Bezahlung verfestigen sich Abwertung und Machtgefälle. Auch in der Sprache. Wie hochaktuell das Thema ist, wird erst richtig deutlich, wenn man sieht, mit welcher verbalen Wut selbst Menschen, die selbst zu den Verlierern zählen, aus einer scheinbaren Vorteilsposition der richtigen Hautfarbe und des richtigen Geschlechts auch noch über jene herziehen, die noch stärker benachteiligt sind – und welches riesige Repertoire an Schimpfworten sie dafür entwickelt haben. Und das ist nicht nur das tägliche Wortwerkzeug der Trolle und Hater. Weiter hinten in dieser Streitschrift, in der Stefanowitsch die Leser auch mit den übleren Schimpfworten der Diskriminierung konfrontiert, dürften zumindest die männlichen Leser ein ordentliches Aha-Erlebnis haben, denn dieses Wortarsenal ist auch in ganz gewöhnlichen Männergruppen gang und gäbe – auf dem Schulhof, in Sportvereinen, in männerdominierten Arbeitsgruppen, bei Männerfeiern und erst recht in Berufen, in denen das Macho-Image schon fast zur Uniform gehört.

Es sind Worte, die sich in voller Bandbreite auch und gerade gegen Frauen richten und die einen durchaus fragen lassen: Merken die Frauen, die mit diesen Männern zu tun haben, nicht, wie sehr sie von ihren Partnern verachtet werden? Oder halten sie das zwangsweise aus? Eben weil die Macht- und Geldgefälle in unserem Land so sind, wie sie sind?

Ich weiß: Ich schieße schon wieder weit über das Thema des Büchleins hinaus, das Stefanowitsch vor allem deshalb geschrieben hat, um diejenigen, die mit ihrer Sprache oberflächlich umgehen, sensibel zu machen dafür, wie Abwertung in der Sprache funktioniert.

Also eher ein seltsames Büchlein. Denn die Menschen, die andere Menschen ohne Skrupel beleidigen und abwerten, lesen ja eher seltener Bücher oder wagen sich gar daran, über ihr Sprechen nachzudenken. Reflektierendes Sprechen – ein ganz eigenes Thema, das in letzter Zeit völlig unter die Räder gekommen zu sein scheint. Immer mehr schlechte Vorbilder haben die politische Bühne betreten, von der Wirkung entfesselter Verachtung selbst im Fernsehen will ich gar nicht erst reden.

Da fragt man sich schon: Wird in deutschen Schulen darauf keinen Wert (mehr) gelegt? Lernen die Kinder nicht mehr, mit unserer eigentlich sehr sensiblen Sprache auch bewusst umzugehen?

Gibt es dafür überhaupt Unterrichtseinheiten? Oder Sensibilisierungsstunden? Ich schätze mal: Nein.

Denn eine solche Aufmerksamkeit für die Funktion von Sprache würde einschließen, dass die Machtgefälle unserer Gesellschaft thematisiert werden. Und warum es diese Machtgefälle immer noch gibt und in wessen Interesse es ist, sie immer wieder zu reaktivieren. Denn Macht nutzt ja denen, die sie haben. Sie schafft ihnen auch Deutungshoheiten, mit denen andere Menschen ihrer Individualität beraubt und in anonymen Gruppen versammelt werden. Wenn man Menschen in anonyme Gruppen packt, schreibt man ihnen Eigenschaften zu, klassifiziert sie und sondert sie regelrecht heraus aus einer scheinbar homogenen Gesellschaft.

Und der Standpunkt all derer, die das tun, ist dieses falsche Bild einer homogenen, gleichförmigen Gesellschaft. Gern auch „Volksgemeinschaft“ genannt. Eine Sprachhaltung, die einfach äußere Uniformität zum Kennzeichen einer verbal dominierenden Gruppe macht, die ihre Uniformität zur Norm für alles andere macht. Gleichzeitig bewahrt Sprache natürlich auch uralte Machtgefälle – im Deutschen typisch besetzt mit dem generischen Maskulinum, das bis vor kurzem auch alle amtlichen Dokumente dominierte. Der Mensch kam nur als Mann vor, der Staatsbürger war zwangsläufig männlichen Geschlechts. Erst langsam wuchs das Bewusstsein dafür, wie ausgrenzend und abwertend die ausschließlich männliche Form der Bezeichnungen war. Dass ein Gericht einer Sparkassen-Kundin noch heute den Wunsch abstreitet, auch in allen Belegen und Verträgen mit der weiblichen Form angesprochen zu werden, ist typisch für die tiefe Verwurzelung dieses männlichen Unverständnisses für Ungleichheit.

Stefanowitsch zeigt auch am Beispiel der abwertenden Bewertung für Afrikaner und Dunkelhäutige, die in Kinderbüchern, bei Apothekenbenennungen und Schokoküssen bis heute überlebt haben, wie solche Worte in unsere Sprache kamen und dass sie ganz und gar nicht so unschuldig sind, wie die scheinwissenschaftlichen Erklärungen der Verteidiger dieser Worte suggerieren. Auch die deutsche Sprache hat ihre Kolonialgeschichte, in der die Abwertung und Entwertung ganzer Bevölkerungsgruppen bis heute zu finden ist.

Genau das aber ist die Mühe, der sich die so Sprechenden nicht unterziehen wollen, stellt Stefanowitsch fest: Sich der eigenen Sprachgeschichte zu stellen – und was draus zu lernen. Denn all der Lärm über die „political correctness“ ist auch eine Lernverweigerung. In der ersten Betrachtungsebene. In der zweiten Ebene wird schon das Denken dahinter sichtbar. Denn eines stimmt natürlich nicht: dass Worte keinen Schaden anrichten. Dass sie gar irgendwie ein geschütztes Kulturgut sind, bloß weil sie vor 200 Jahren in den Sprachgebrauch gekommen sind. Etliche dieser Worte tragen noch heute genau die Botschaft der Arroganz jener Leute in sich, die diese Worte als Zuschreibung für Minderheiten, Kriegsgegner und unterjochte Völker und benachteiligte Bevölkerungsgruppen in Umlauf gebracht haben. Und diese Worte funktionieren heute noch genauso: verletzend, kränkend, verurteilend.

Weshalb Stefanowitsch natürlich empfiehlt, auch beim Sprechen immer die Goldene Regel zu beachten: Willst du, dass du selbst so bezeichnet und angesprochen wirst?

Was schon viel verlangt ist, denn augenscheinlich finden es immer mehr Menschen viel zu anstrengend, sich gedanklich überhaupt noch in andere Menschen hineinzuversetzen – was ja die mindeste Voraussetzung für Mitgefühl und Verständnis ist. Da hilft eben nicht, diese Art Sprechen als mutig zu bezeichnen. Mutig ist es nur in genau dem schäbigen Sinn, in dem das Reden in einer johlenden Männergruppe scheinbar mutig wirkt, weil man sich gegenseitig zu höchstmöglicher Aggressivität anstachelt. Aber mutig ist das nicht wirklich.

Wer sowieso schon achtsam mit Sprache umgeht, der fragt sich natürlich beim Lesen: Muss man das eigentlich extra erklären? Augenscheinlich schon. Auch weil die Diskussion um Kinderbücher, Apotheken und Paprikaschnitzel immer nur punktuelle Diskussionen sind, die schnell wieder verebben – und dann geht es mit den scheinbar harmloseren Formen der Unkorrektheit wieder weiter. Worüber Stefanowitsch dann wahrscheinlich ein sehr dickes Buch hätte schreiben können. Denn einige gesellschaftliche Sprecher haben sich Verachtung, Häme und Beleidigung längst wieder zum alltäglichen Sprachrepertoire erkoren – und erreichen damit genau das, was sie wollen: Menschen aggressiv zu machen, Misstrauen und Angst zu säen, die Risse in der Gesellschaft zu vertiefen.

Es ist kein harmloses Phänomen. Und es dient vor allem einem: der Verhinderung einer wirklich ernsthaften Diskussion auf Augenhöhe.

Wer andere Menschen(gruppen) verbal abwertet und angreift, zerstört die Gesprächsgrundlage. Also genau das, wozu Sprache eigentlich da ist und wo sie auch gut funktioniert, wenn wir sie achtsam einsetzen. Und da wird Stefanowitschs kleine Streitschrift brisant, denn wenn einige Parteien ganz bewusst die Zerstörung dieses simplen Respekts in der Sprache zerstören, dann können sie nur ein Ziel haben: die Zerstörung des gesellschaftlichen Friedens.

Das simple Fazit: Der Angriff auf die „political correctness“ ist nicht harmlos. Und mit Respekt und Achtung vor den Mitmenschen hat er auch nichts zu tun.

“Eine Frage der Moral” von Anatol Stefanowitsch (Autor) erschien im Duden Verlag.

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