Als 2017 die Wahrscheinlichkeit immer grรถรŸer wurde, dass zur Bundestagswahl eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag einziehen wรผrde, setzten sich Berthold Kohler, Mitherausgeber der F.A.Z., Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks, und Andreas Wirsching, Historiker an der LMU in Mรผnchen, zusammen und รผberlegten: Was kann man da tun? Bekommen wir jetzt wieder Weimarer Verhรคltnisse? Und mindestens einer in der Runde fragte: Was sind Weimarer Verhรคltnisse?

Das Ergebnis der Runde waren sieben Analysen von Historikern, die im Bayerischen Rundfunk gesendet wurden und parallel auch in der F.A.Z. erschienen. Sieben Wissenschaftler analysierten das Phรคnomen โ€žWeimarer Republikโ€œ โ€“ und zwar unter dem Aspekt: Warum ist sie am Ende gescheitert? Und welche Entwicklungen zeigen wirklich Parallelen zu heute auf?

Werner Plumpe beschรคftigte sich mit der Problemlast, die die Weimarer Republik vรถllig รผberforderte, Horst Mรถller nahm das Parteiensystem unter die Lupe, Ute Daniel die Medienlandschaft, die viel parteiengebundener war als heute und eher den Filterblasen der โ€žsocial mediaโ€œ รคhnelten (was aber wieder eine beachtenswerte Parallele ist), Jรผrgen D. Walter beschรคftigte sich mit den Protestparteien (โ€žVolksparteien des Protestsโ€œ), Herfried Mรผnkler mit den internationalen Konfliktlagen und Hรฉlรจne Miard-Delacroix mit der Sicht von auรŸen auf ein โ€žrรคtselhaftes Deutschlandโ€œ.

Schon diese Beitrรคge zeigten, dass es sich sehr wohl lohnt, sich eingehender mit diesen 14 turbulenten Jahren zu beschรคftigen, die am Ende mit wachsenden Wahlerfolgen der NSDAP endeten, dem Regieren mit Notstandsgesetzen und einem รผberforderten Reichstag, der keine Geduld mehr mit sich selber hatte und vรถllig ohne Not die Wahlperiode halbierte und die nรคchsten Reichstagswahlen von 1934 auf 1932 vorzog. 1930 waren zwar die Nationalsozialisten mit 18 Prozent eingezogen ins Parlament und profitierten damit direkt von den Unruhen nach der 1929 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise. Aber selbst konservative Politiker wissen eigentlich, dass Krisen irgendwann abklingen. Auch damals war das so. Auch die Regierungen der einstigen Feindeslรคnder aus dem 1. Weltkrieg arbeiteten ja daran, die Krisenfolgen zu lindern. 1934 war die Krise tatsรคchlich weltweit im Abklingen.

Aber da waren in Deutschland schon die Nazis an der Macht, in den Steigbรผgel gehoben durch einen greisen Reichsprรคsidenten, der viel mehr Macht hatte als der heutige Bundesprรคsident. Zu Recht verweisen die Autoren immer wieder auf das Grundgesetz der Bundesrepublik und ihre quasi als โ€žGegenentwurf zu Weimarโ€œ konstruierten politischen Institutionen, die dem Bundesprรคsidenten eine derartige Machtfรผlle, wie sie Hindenburg hatte, nicht mehr gewรคhren, dafรผr den Bundestag deutlich gestรคrkt haben. Auch Bundeskanzler oder Bundeskanzlerinnen kรถnnen nicht mehr gegen das Parlament regieren oder sich gar mit Notstandsverordnungen aus der Klemme ziehen. Sie mรผssen die Mehrheiten finden im Parlament. Und damit ist auch der Druck hoch, stabile Koalitionsregierungen zu bilden.

Kรถnnte man ja beruhigt sein.

Aber Andreas Wirsching ist nicht beruhigt. Denn die Analysen zeigen ja auch, dass die Demokratiefeinde ebenfalls aus der Geschichte lernen. Wahrscheinlich viel zielstrebiger als die Demokraten. Und die heutigen Rechtspopulisten suchen ganz gezielt Anschluss an die Argumente und Vorgehensweisen der Rechtspopulisten in der Weimarer Republik. รœbrigens bis hin zum Schaffen von Aufmerksamkeit. Denn sie schimpfen zwar gern รผber die โ€žSystempresseโ€œ, wie das damals hieรŸ โ€“ aber ohne die medialen Berichte รผber die Provokationen und organisierten Skandale der Nazis hรคtte niemand sie fรผr voll genommen. Mit Tabubrรผchen erzwingt man die Aufmerksamkeit der Medien. Das ist heute wieder so. Jeder Tabubruch bekommt mehr Aufmerksamkeit als ein Ringen um wirkliche Lรถsungen.

Wobei die Weimarer Republik eben auch ein Beispiel dafรผr ist, wie sehr Rechtsradikale davon profitieren, wenn Gesellschaften in tiefe und multiple Krisen schlittern und die Verunsicherung auch die Mittelschicht anfrisst. Wobei die NSDAP keine Mittelstandspartei war. Auch mit dieser Legende wird aufgerรคumt. Die Populisten gewinnen ihre Wรคhler im ganzen Bevรถlkerungsspektrum. Und sie feiern ihre Triumphe, wenn die demokratischen Parteien keine Kompromisse mehr finden und gemeinsam an Lรถsungen arbeiten. Und dabei auch noch erkennbar bleiben. Denn ein Faktor stรคrkt die Radikalen ebenfalls: Wenn die unterschiedlichen Positionen der Demokraten nicht mehr sichtbar sind. Das ist ein heutiges Problem. Denn viel zu sehr haben die groรŸen Parteien von heute versucht, allesamt ihr Plรคtzchen irgendwo in der ausgeglichenen Mitte zu finden. Angela Merkel ist ja nicht ohne Grund die Bundeskanzlerin dieser Mitte.

Aber gerade die Bundestagswahl hat gezeigt, wie die Wรคhler diese Unprofiliertheit bestrafen. Nichts lรคhmt mehr als das Gefรผhl, nach der Wahl wieder dasselbe zu bekommen wie davor. Es klingt an โ€“ ist aber wichtig: Parteien kรถnnen sich eben nicht mehr auf die Klassenzugehรถrigkeit ihrer Wรคhler verlassen. Was ja zwangslรคufig heiรŸt: Sie mรผssen รผberzeugende Angebote vorweisen und ihre Konzepte schรคrfen, damit der Wรคhler รผberhaupt noch weiรŸ, was die Parteien unterscheidet. So gesehen ist der Zustrom bei den Populisten auch eine Reaktion auf die zunehmende Konturlosigkeit der demokratischen Parteien. Fast wirkt es wie ein Hilfeschrei: Streitet euch endlich wieder!

Denn im Unterschied zu den parteinahen Zeitungen der Weimarer Zeit sind die heutigen Medien deutlich offener und breiter aufgestellt und durchaus in der Lage, einen demokratischen Streit eben nicht nur als Zoff (โ€žDie streiten sich wieder!โ€œ), sondern als elementaren Vorgang der demokratischen Lรถsungsfindung zu beschreiben.

Das machen gerade die meinungsstarken Medien oft nicht. Stimmt. Viel zu tief sitzt der (falsche) journalistische Lehrsatz, dass Streit und Zoff die Auflage und die Einschaltquote hochtreiben. Das tun sie wohl. Aber wenn am Ende wirklich nichts als Zoff und Skandal als Botschaft bleibt, bestรคrkt das logischerweise die Skandalmacher, nicht die Lรถsungsfinder.

Aber auch das hat Grรผnde. Andreas Wirsching weiรŸ sehr wohl, dass auch unsere heutige Demokratie in einem Dilemma steckt. Das Land steckt zwar nicht โ€“ wie die Weimarer Republik spรคtestens ab 1929 wieder โ€“ in einer multiplen Krise, unter der acht Millionen Menschen wirklich bitter litten, aber die Krisenerscheinungen sind den Bรผrgern heute durch weltweite Medienprรคsenz allgegenwรคrtig. Sie wissen sehr wohl, dass die Globalisierung durchaus auch ihre negativen Folgen hat. Sie bringt nicht รผberall Glรผck und Wohlstand. Und sie greift auch direkt ins persรถnliche Leben der Bรผrger ein โ€“ auch der gut verdienenden Deutschen.

โ€žWie immer man diese Tendenz einschรคtzen mag: Ziel ist das autonome, marktbereite, arbeitende Individuum, das sich befreit hat von den Bindungen, Traditionen und persรถnlichen Loyalitรคten; das stets bereit ist, in die eigene Arbeitskraft zu investieren und zugleich die Risiken dieses Investments selbst trรคgtโ€œ, schreibt Wirsching in seinem Fazit zum Buch. โ€žZu solcher theoretisch propagierten und praktisch eingeforderten Hรถchstbeanspruchung des arbeitenden Menschen passt die zeitlich parallele Zunahme der sozialen Ungleichheit ausgesprochen schlecht.โ€œ

Kein Wunder, dass uralte Begriffe wie Heimat, Familie, Nation wieder Zuspruch gewinnen und Menschen zu Protestwรคhlern werden, weil die Auflรถsung all der Dinge, die ihre Welt definieren, sie in Panik versetzt. Die Sehnsucht nach einem starken Staat und einer starken Regierung haben direkt damit zu tun. Wirsching spricht zwar von Globalisierung โ€“ aber eigentlich ist es die neoliberale Denkweise, die dahintersteckt. Die auch Politik wesentlich entkernt hat und Parteien geradezu stromlinienfรถrmig machte. Denn die neuen populistischen Bewegungen gibt es ja nicht nur in Deutschland. Jeder Blick รผber den Tellerrand zeigt, dass sie รผberall in der westlichen Welt Erfolge feiern. Und in einigen Lรคndern regieren sie ja schon โ€“ und haben nichts Eiligeres zu tun, als die demokratischen Institutionen zu schwรคchen und das Land in eine Autokratie zu verwandeln.

Wirschings Warnung ist nur zu berechtigt: โ€žDie Erinnerung an Weimar als die Demokratie, die ihre Freiheit verspielte mit all den entsetzlichen Folgen, bleibt ein Menetekel. Sie bleibt ein Lehrstรผck der Gefรคhrdung und Selbstgefรคhrdung der Freiheit.โ€œ

Wirsching schwรคcht die Warnung dann zwar ab. Denn viele der nachweisbaren Entwicklungen, die zum Untergang der Weimarer Republik beitrugen, gibt es heute sichtlich nicht mehr. Die Bundesrepublik hat bald 70 Jahre Demokratieerfahrung gesammelt. Aber ganz ausrรคumen kรถnnen die Autoren der Beitrรคge, die in diesem Buch nun gesammelt sind, die Mรถglichkeit nicht, dass auch eine alte Demokratie in fatale Strรถmungen abkippen kann. Gerade die groรŸen Ur-Demokratien USA und GroรŸbritannien (mit dem Brexit) zeigen, wie leicht populistische Tendenzen sich durchsetzen kรถnnen. Gern auch befeuert von Medien, die so richtig Zรผndstoff ins Feuer legen, und von einer medial verstรคrkten Kampagne gegen die โ€žpolitischen Elitenโ€œ. Ganz genauso, wie es die Rechtsradikalen in der Weimarer Republik gemacht haben.

Es gibt manche Parallelen, die eben doch nicht zufรคllig sind. So denn auch der Grundtenor der Beitrรคge: Nicht alles ist รผbertragbar. Aber Achtsamkeit ist dennoch angebracht.

Andreas Wirsching; Berthold Kohler; Ulrich Wilhelm Weimarer Verhรคltnisse, Reclam Verlag, Ditzingen 2018, 14,95 Euro.

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