Mit Giftmorden und Weihnachtsmorden hat die Edition Krimi die Leser schon mehrfach erfreut. Nun ist das Osterfest dran. Und der arme Bursche mit den Schlappohren, zumindest auf dem Cover. In den Geschichten ist es eher so, dass das Osterfest so manchem unachtsamen Zeitgenossen zum Verhรคngnis wird. Und manch Bursche mit Schlappohren wird zum Tรคter.

Aber ist es wirklich das, was solche Sammelbรคnde spannend macht? Kรถnnte es sein, wenn sich unter den Beteiligten herumsprechen wรผrde, dass grimmige Leser wie ich die Bรคndchen in die Hand bekommen. Und dann so etwas Schreckliches tun wie vergleichend zu lesen. Ich kann nicht anders. Ich bin ein infizierter Leser, infiziert mit dem, was die GroรŸen des Genres geschaffen haben โ€“ die Christie, die Doyle, die Chesterton und wie sie alle heiรŸen, die sich auch und gerade im kurzen Genre ausgetobt haben. Bei denen heiรŸt das Short Story und wird auch an Akademien gelehrt.

Da lernt man die Technik dieser Geschichten, ihre Funktionsweise โ€“ also das, was ein guter Autor im Schlaf beherrscht. Das, was die Hamburger Drehbuchautorin Swenja Karsten in โ€œDeadlineโ€ beschreibt, passiert gestandenen Autoren nicht. Sie vertrรถdeln ihre Tage vorm Abgabetermin nicht mit Putzen, Kochen, Restaurant- und Kinobesuchen, weil sie glauben, sie kรคmen so auf Ideen.

Autoren sind voller Ideen. Deswegen landen sie fรผr gewรถhnlich in diesem Metier.

Die anderen schreiben in Deutschland Drehbรผcher.

Deswegen kommt mir kein ARD und kein ZDF mehr in die Wohnung. Und auch der ganze andere Highsociety-Quark nicht, bei dem man schon bei der ersten Totale merkt: Hier haben die Leute das Weltbild aus der Sparkassenwerbung, da fahren fette Autos auf, besitzen die Akteure teure Villen und Hotels, die Frauen sind Inhaberinnen schnieker Agenturen, die Mรคnner toughe Architekten, Rechtsanwรคlte und was der sonstigen Nobelberufe mehr sind.

Praktisch nie sind sie Postbote bei DHL, StraรŸenbahnfahrer, Putzkraft oder Dachdecker, all die Berufe, die unsereiner hier auf Erden ausรผbt. Die man freilich auch nicht mit โ€œkriminellโ€ in Verbindung bringt. Das รผberrascht schon so beim Umblรคttern, wenn man merkt, wie sehr einige Autorinnen auf die Fake-Welt unserer deutschen Fernsehsender fixiert sind. Glauben sie wirklich, dass das die Wirklichkeit ist?

Sie merken schon: Das befremdet einen Leser wie mich. Auch weil ich mittlerweile Berge von Krimis aus der Gegenwart gelesen habe, in denen auch die ganz und gar nicht schickimicki Gegenwart Kulisse ist. Dazu gibt es auch ein paar Geschichten im Buch. Einige der Autorinnen und Autoren leben sichtlich noch im Hier und Jetzt und lassen einen Kaufhallenangestellten das Seine tun, um aus der Mรผhle zu entkommen, oder auch mal einen Schwiegermรผtterstreit auf dem Dorf eskalieren. Aber nicht nur in der โ€œDeadlineโ€-Geschichte steckt so ein Stรผck WeiรŸes-Blatt-Papier-Panik. Eine Panik, die mich schon immer frappiert hat: Warum schreiben die Leute รผber ihre Unfรคhigkeit, eine Geschichte zu schreiben?

Man schreibt doch, weil es einen dazu treibt, weil das Unerzรคhlte zur Geschichte drรคngt. Solche Sammelbรคnde sind wie alte Geschichtenabende, bei denen alle ums Feuer sitzen und versuchen, die Anderen mit einer mรถglichst guten Geschichte zu fesseln und zu รผberbieten. So wie bei Boccaccio im โ€œDecameroneโ€ oder bei Wilhelm Hauff in โ€œDas Wirtshaus im Spessartโ€. Davon lebten einst die groรŸen Grusel-Geschichten-Bรคnde. Und davon lebt auch die ein oder andere Geschichte in diesen Bรคndchen.

Es gibt sie durchaus und sie haben dann so etwas hรผbsches Roald-Dahl-Haftes: Trau nicht dem Anschein und fรผrchte das Schlimmste. Da gibt es den Polizisten, der bei Sturm auf einen Schrotthof durchaus das Schlimmste Befรผrchtet. Und die Polizistin, die eine richtige Mordserie erst in dem Moment aufklรคren kann, in dem sie die schrรคge Liebe des Gerichtsmediziners begreift.

Andere Geschichten nehmen noch seltsamere Wendungen โ€“ etwa wenn ein Stalker glaubt, ein ausgebufftes Berliner Mรคdchen als Osterhase entfรผhren zu kรถnnen. Oder wenn ein verwirrter Mann entdeckt, dass er in Frauenkleidern auf einmal zum Objekt der Begierde wird. Zum Glรผck wird nicht in jeder Geschichte gemordet. Auch das so ein Irrglaube im heutigen Krimi-Business, in dem alle glauben, immerfort mรถglichst blutige Morde erzรคhlen zu mรผssen. Dabei sind die meisten Straftaten deutlich harmloserer Natur โ€“ spielen Irrungen und Verwirrungen eine grรถรŸere Rolle, die biblischen โ€œTodsรผndenโ€, die auch des รถfteren zitiert werden. Denn die meisten Autorinnen sind so brav, dass sie erst in der Bibel nachschauen mรผssen, um zu erfahren, wie das mit Mordsgelรผsten eigentlich ist.

Natรผrlich spielen Neid, Gier und Eifersucht eine Rolle. Von denen auch die meisten scheinbar unbescholtenen Zeitgenossen besessen sind. Und irgendwann brechen die Emotionen auf und es kommt zum groรŸen Drama โ€“ so wie in Frank Kreislers Bauernhof-Geschichte. Oder wie in Laszlo I. Kishs Geschichte โ€œVollpaschaโ€, die nur auf den ersten Blick wie eine bittere Satire auf die Weihnachtsmannvermittlung der Jobcenter wirkt.

Denn das kommt ja zwangslรคufig bei solchen Geschichten zu einem alten christlichen Fest, das eigentlich nur noch in Fiktionen existiert, wรคhrend hinieden alles dem sรผรŸen, oberflรคchlichen Geschรคftemachen unterworfen ist โ€“ bis hin zur Rolle des Geschenkebringers.

An solchen Stellen berรผhrt die Geschichtensammlung die Wirklichkeit, die eigentlich selbst lรคngst eine Satire ist, etwas mit Preis und schรถner Verpackung zur Ware Verkommenes. Eine Welt, in der die handelnden Figuren sichtlich verwirrt und ratlos sind, einige regelrecht vom Kaufrausch besessen. Oder von mรคnnlicher Eitelkeit, wie in Schlueters โ€œBadeleiche in Bunnywoodโ€, eine Geschichte, in der einem tatsรคchlich kurz ein paar Playboy-Hรคsinnen รผber den Weg laufen und der grimmige Gedanke durch den Kopf spukt: Sind Frauen wirklich so doof, dass sie sich freiwillig zu Bunnys machen lassen?

Es geht also hรผbsch rauf und runter in diesen Geschichten. Mit ab und zu spรผrbaren Bauchschmerzen an einer irregewordenen Welt. Da gibt es eigentlich genug zu erzรคhlen. Und genug Typen, die einfach reif sind fรผr ein รถsterliches Missgeschick. Im Krimi darf man das ja. In der Wirklichkeit wirdโ€™s schwieriger. Da haben die Schlitzohren meist das fettere Konto und den besseren Anwalt. Und der Osterhase kommt bei ihnen als leckerer Braten auf den Tisch, aufgetragen von den stillen Dienstwilligen, die froh sind, wenn sie sich als Buttler was dazuverdienen dรผrfen.

Man bringt ja die fiesen Typen, die sich an der Festtafel schlecht benehmen, nicht gleich um, oder?

Naja: Einen Gedanken scheint es wert โ€ฆ und es ist ja erst der erste Sammelband mit Ostermordgeschichten.

Martina Arnold (Hrsg.) โ€œOstermorde 1โ€, Edition Krimi, Leipzig 2018, 13 Euro

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