Für FreikäuferEr gehört zu den eher unbekannten Fotografen der Leipziger Schule – auch wenn der Sax Verlag jetzt schon zwei thematische Bildbände aus der Werkstatt des 2011 verstorbenen Rainer Dorndeck vorgelegt hat. Er war Werbe- und Modefotograf in Leipzig, hat aber 1978 auch ein Fotoprojekt begonnen, das in dieser Art einzigartig ist: Er hat einen Jahrgang angehender Tänzerinnen an der Palucca-Schule in Dresden mit der Kamera begleitet. Acht Jahre lang.

Entstanden ist ein Zyklus ausdrucksstarker Schwarz-Weiß-Fotografien, die zeigen, was der Ballettbesucher sonst nie zu sehen bekommt: Wie viel Arbeit und zielstrebige Mühe hinter all dem steckt, was auf der Bühne so leicht, so schwebend, so mitreißend aussieht. Das Tanzen mag jedem Menschen gegeben sein. Aber die Welt des klassischen Balletts und des modernen Ausdruckstanzes ist hart erarbeitet. Und der Name Gret Palucca hat bis heute einen Klang. Ihre Dresdner Schule für Bühnentanz existiert bis heute und wurde selbst in DDR-Zeiten gefördert. Denn die Tänzerinnen und Tänzer, die diese Schule nach acht Jahren Schweiß und Ausdauer verließen, waren Künstler auf höchstem Niveau.

Deswegen durften sich die Bühnen des Landes ihren Nachwuchs hier auch nicht direkt aussuchen – der wurde durch eine Kommission zugeteilt. Cornelia Richter-Dorndeck, eine der Autorinnen dieses Buches, wurde direkt an die Semperoper Dresden engagiert, 2001 kam sie – nach Engagements in Luxemburg und Frankreich – als Physiotherapeutin nach Leipzig und betreut seitdem das Leipziger Ballett. Kristina Bernewitz, ihre Co-Autorin, verschlug es gleich nach Leipzig – ab 1991 war sie 1. Solistin unter Uwe Scholz – heute ist die Tanzpädagogin in Berlin. 2004 hat sie ihre Tanzkarriere offiziell beendet. Es ist eine kurze, sehr intensive Zeitspanne, die den Spitzentänzerinnen und -tänzern wirklich auf höchstem künstlerischem Niveau möglich ist. Das wissen sie auch, wenn sie – wie die Heldinnen dieses Bildbandes – mit zehn Jahren ihre Ausbildung zur Bühnentänzerin oder zum Bühnentänzer beginnen.

Und das mit einem erstaunlichen Ernst. Der aber dazugehört. Sonst wird das nichts. Es ist genauso wie bei den Thomanern. Über diese intensive Arbeit hat ja Georg Christoph Biller gerade in seinem Erinnerungsbuch „Die Jungs vom hohen C“ geschrieben. Ohne diesen Willen, das Beste zu erreichen, wird keine beeindruckende, mitreißende Kunst geschaffen. Ich schreibe das einfach mal her, weil das in heutigen sogenannten post-post-modernen Zeiten so gern vergessen und überspielt wird. Deswegen ist so viel Kunstmüll in der Welt, füllt Galerien, in denen der Besucher ratlos steht, genauso wie Radio- und Fernsehkanäle. Hingeluschte Angeberei wird als Kunst verkauft. Womit die meisten künstlerischen Berufe auch entwertet werden. Denn wenn nur noch Masse zählt, Mainstream und Hitlisten-Ranking, dann fressen die Oberflächlichen das Geld.

Was aber noch schlimmer ist: Sie gewöhnen das große Publikum daran, dass gute Kunst keine Mühe wert ist und vor allem billig – billig in der Aufführung, billig in der Wirkung, billig im Anspruch. Sie fordert vom Zuschauer und Zuhörer nichts mehr als billige Gefühle. Keine Aufmerksamkeit, keine Hingabe, kein Aufgeschlossensein.

Leipzigs Ballettpublikum weiß, was ich meine. Uwe Scholz, Paul Chalmer und Mario Schröder haben das Ballett in der Stadt Leipzig auf höchstem Niveau am Leben erhalten. Jede Aufführung ist ein mitreißendes Erlebnis der atemberaubenden Verbindung von Tanz und Musik. Ballett ist ja getanzte Musik. Nur dass man im Farbenglanz der Bühne nicht mehr sieht, wie lang der Weg der Tänzerinnen und Tänzer war vom ersten verspielten Austesten bis zum Abschlusssolo, mit dem die 18-Jährigen zeigten, was sie alles bei Gret Palucca und den anderen Dozentinnen an ihrer Schule gelernt hatten.

Der Part der 1978 schon 76-jährigen Palucca war natürlich das Training des Ausdruckstanzes. Hier lernten die Mädchen, ihre eigene Persönlichkeit kreativ in Tanz umzusetzen. Der Tanz wird zur Sprache der Emotionen. Im Grunde eine völlig andere Welt als das klassische Ballett, dem die Tanzschülerinnen auch in Form des strengen russischen Ausbildungssystems begegneten. Waganowa-Methode des Klassischen Tanzes nennt sich das: Die Tanzregeln werden bis zur Perfektion gelernt. Jederzeit abrufbar. Für klassische Ballette, in denen das Publikum keine Überraschung erwartet, sind diese Elevinnen jederzeit gewappnet.

Und daneben – und augenscheinlich im Lauf der Jahre immer stärker – gewinnt das Thema Improvisation in Paluccas Unterricht an Gewicht, sieht man die greise Palucca aber nicht nur aufmerksam am Rand der Tanzfläche sitzen, sondern immer wieder selbst auch vormachend, wie man Emotionen in Tanz verwandeln kann. Es ist ihr „Goldener Jahrgang“, den sie bis zum Examen führt. Denn auch wenn die Schülerinnen ihre Lehrerin als nimmermüde, immer beweglich und aktiv schildern, gehen doch irgendwann die Kräfte aus.

Aber Dorndecks Bilder, in denen er vor allem die Tanzstunden der Mädchen begleitete, zeigen auch, warum die Palucca-Schule die Zeiten überdauerte und ihre Rolle als Ausbildungsstätte für den Bühnentanz bis heute bewahrt hat. Viele ihrer Schülerinnen wurden selbst Tanzausbilderinnen, setzten die Tradition der Palucca fort.

Die Texte zu den Fotostrecken sind kurz. Sie erläutern das Notwendigste, gehen selten auf den gesellschaftlichen Bezugsrahmen ein, den Kristina Bernewitz vor allem im Vorwort kurz anreißt. Denn wie so oft steht ja die Frage: Wie ging die berühmte Palucca mit den Mächtigen der Zeit um? In der Nazi-Zeit war ihre Arbeit verboten. Nazis hassen echte Emotionen. In der DDR wurde Paluccas Arbeit hingegen gefördert – auch mit einem wichtigen Neubau, der beste Ausbildungsmöglichkeiten schuf. Aber mit Kommentaren zur Zeit hielt sich die Berühmte lieber zurück. Man merkt, dass ihr das Bewahren dessen, was an der Palucca-Schule möglich war, wichtiger war. Lieber Generationen hochbegabter Tänzerinnen und Tänzer ausbilden – auch das eine Art Protest. Ein stiller. Wichtig sind nicht die eitlen Mächtigen, sondern die Ausbildung guter Künstler, die wirklich bereit sind, das Beste aus dem zu machen, was sie können.

In Dorndecks Bildern sieht man, wie ernsthaft, aber auch konzentriert die Mädchen das trainieren, was einmal ihr Lebensinhalt werden sollte. Und man sieht, dass es nur so geht. Anders erreicht man keine Exzellenz. Und erst recht nicht die Faszination, wenn ein erstklassiger Choreograph mit einem erstklassigen Ensemble Aufführungen auf die Beine stellt, die am Ende das Publikum von den Sitzen reißen.

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