Für FreikäuferIn Leipzig war er nie ganz vergessen: Dr. Carl Ludwig Hermann Long, besser bekannt als Luz Long, der Mann, der bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin nicht nur die Silbermedaille im Weitsprung gewann, sondern dessen Foto Seite an Seite mit dem Sieger Jesse Owens um die Welt ging und bis heute als Ikone für die völkerverbindende Rolle des Sports steht. Und Luz Long, so stellt Kai-Heinrich Long fest, stand in seiner ganzen Sportlerkarriere für diese Haltung.

Er ist der 1941 geborene Sohn des berühmten Weitspringers aus Leipzig, der 1943 bei der Landung der Alliierten auf Sizilien ums Leben kam. Sein Buch hat er schon 2015 veröffentlicht. Aber natürlich ist das Buch viel zu wichtig, um es zu ignorieren. Auch weil es zeigt, dass Sport tatsächlich etwas mit Fairness und Respekt zu tun hat. Gerade dann, wenn Mächtige glauben, den Sport missbrauchen zu können zur Glorifizierung ihres eigenen Tuns. Das war ja nicht nur 1936 so. Auch heutige Machthaber sehen in Weltmeisterschaften und Olympiaden ideale Gelegenheiten, ihr Regime in medialem Blitzlichtgewitter zeigen zu können.

Umso wichtiger sind die Geschichten, die hinter Bildern stecken wie dem von Luz Long und Jesse Owens gemeinsam im Gras des Olympiastadions. Es gibt sogar mehrere davon. Es gibt auch Bilder, die die Umarmung der beiden zeigen, nachdem Owens sich durch Longs Sprünge dazu herausgefordert sah, am Ende noch eine Schippe draufpacken zu müssen. Und das alles vor den Augen Hitlers und seiner steifen Satrapen, von denen eine – sein Stellvertreter Rudolf Hess – es sich nicht nehmen ließ, dem Leipziger hinterher noch zu drohen: „Umarmen Sie nie wieder einen Neger.“

Da war es natürlich eine wichtige Spurensuche, bei der Kai-Heinrich Long herauszufinden versuchte, wer sein Vater wirklich war und warum er sich das traute damals. Unübersehbar für die ganze Welt. Wie wichtig diese freundschaftliche Begegnung der beiden besten Weitspringer ihrer Zeit war, hat später ja Jesse Owens selbst zum Thema gemacht, 1951 schon bei seinem Besuch in Hamburg, wo er erstmals den Sohn seines damaligen Kontrahenten kennenlernte. 1964 inszenierten beide noch einmal das berühmte Rasenbild und Owens schrieb jenen Beitrag im „Readers Digest Asia“, in dem er von Longs Ratschlägen erzählt, die ihm halfen, die Qualifikation mit einem gültigen Sprung zu überstehen.

Alles Dinge, auf die Kai-Heinrich Long natürlich zu sprechen kommt. Sie sind das Finale seines Buches, das natürlich mit der Familiengeschichte beginnt, der Herkunft des Namens Long und dem Weg des Apothekersohnes zum Leipziger Sportclub (LSC), wo ihn sein Trainer Georg Richter zielstrebig in die Spitzenregionen des Weitsprungs brachte. Der Autor hat dabei nicht nur auf das Familienarchiv zurückgreifen können, sondern auch auf Dokumente des LSC und auf zahlreiche Zeitungsbeiträge, die den Weg des Leipziger Sprungtalents an die Spitze oft mit erstaunlichem Enthusiasmus begleiteten. Es waren noch Zeiten, als Leichtathletikwettkämpfe tausende Zuschauer ins Stadion lockten. Als aber vieles von dem, was heute zum Trainerhandwerk gehört, erst entwickelt wurde.

Man fragt sich schon früh: Was hätte aus diesem begabten Leipziger Jungen werden können, wenn er nach Olympia tatsächlich eine friedliche Sportlerkarriere vor sich gehabt hätte und möglicherweise sogar die Gelegenheit, sich auf die Olympischen Spiele 1940 in Tokio vorbereiten zu können, die dann an Helsinki vergeben wurden, weil Japan in den Krieg eintrat. Aber Helsinki fand ja auch nicht statt, das verhinderte der von Hitler vom Zaun gebrochene Krieg erst recht. Jesse Owens wäre Luz Long dort freilich nicht mehr begegnet, denn dem entzog der damalige Leichtathletik-Chef des amerikanischen Teams schon kurz nach Olympia die Startberechtigung für Amateuerwettbewerbe. Der Film „Race“ (2016) erzählt seine Geschichte.

Tatsächlich erzählen die Zeugnisse davon, dass auch Luz Longs Silbermedaille im Weitsprung nicht geschenkt war, sondern Ergebnis zielstrebigen Trainings. Die Erklärungen, die Georg Richter damals den Zeitungen gab, sind erstaunlich ausführlich. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie viel Wissen um die Physiologie des Sportlers in jedem Erfolg steckt und wie Leistungskurven regelrecht erarbeitet werden. Was Long 1937 dann noch seinen Spitzensprung und Europa-Rekord von 7,90 Meter eintrug. Aber danach war sichtlich der Wurm drin, wurde der Spitzenspringer immer mehr vereinnahmt – nicht nur vom Jura-Studium, sondern auch von einem Apparat, der ihn mal als SA-Mann und „Wehrsportler“ starten ließ, mal als Schlussläufer zum Völkerschlacht-Jubiläumslauf antreten ließ.

Später taucht er dann noch als „Kanonier“ bei Wehrmachtsportfesten auf und tritt bei „Kriegs-Meisterschaften“ an. 1940 muss er ganz und gar pausieren aus Gesundheitsgründen. Aber man merkt schon, dass auch sein Leben auf ein völlig anderes Gleis geschoben wurde. Statt die angestrebte Juristenlaufbahn einzuschlagen, wird er erst Sportausbilder bei der Wehrmacht, später „kriegsverwendungsfähig“ geschrieben und in die „Herrmann Göring Division“ gesteckt, die 1943 nach Sizilien verlegt wird, um die Landung der Amerikaner zu verhindern.

Über seine Freundschaft mit Owen hat er selbst noch erzählt, in Leipziger Zeitungen war es nachzulesen. Mit dem üblichen nazistischen Unterton, von dem Kai-Heinrich Long vermutet, dass hier wohl der Redakteur zugegriffen hat. Eine begründete Vermutung. Denn die wirklich authentischen Berichte Luz Longs zeigen einen begabten Erzähler, der anschaulich und emotional erzählen kann, aber stets mit Hochachtung von anderen Ländern und Sportlern erzählt. Dort fehlt der übliche nationalsozialistische Propagandaton, der die ebenfalls im Buch zu findenden Presseberichte in vielen Teilen unlesbar macht.

Oft fehlen dann wirklich belastbare Dokumente, die belegen, ob und wie Luz Long tatsächlich dem Drängen des Regimes nachgab. War eine Karriere im Justizdienst ohne NSDAP-Mitgliedschaft nicht möglich? Die Vermutung liegt nahe. Man merkt schon, wie intensiv der Sohn versucht, seinen Vater kennenzulernen, den er bewusst nie erlebt hat. Und was er findet, ist eine Sportlerpersönlichkeit, die sportliche Fairness für selbstverständlich hielt und den Wettkampf mit den Besten aus aller Welt für eine echte Herausforderung. Was ihn zwar zu einer Art Ikone für das Nazi-Reich machte. Aber wirklich in Erinnerung bleiben tatsächlich diese Szenen einer Sportlerfreundschaft vor den Augen der Welt. Ergänzt um die Szenen aus den beiden Olympia-Filmen von Leni Riefenstahl, die damals zum ersten Mal zeigte, wie Sportereignisse filmisch inszeniert werden konnten. Auch davon erzählte Luz Long selbst, der sich in den überlieferten Selbstzeugnissen allem, was ihm begegnete, mit Neugier näherte. Und es fällt auf: Es ist eine Weltläufigkeit in seinen Berichten, die sich markant vom verkniffenen Stil der Nazis unterscheidet. Man könnte fast sagen: Es ist die Weltläufigkeit des damaligen Leipziger Bürgertums (der LSC galt geradezu als elitärer Sportclub), die hier sichtbar wird und sich selbst da auf internationalem Parket wohlfühlt, wo Nazis ohne Imponiergehabe nicht auskamen.

Selbst diese weltläufige Souveränität, von der viele damalige Absolventen Leipziger Gymnasien – in diesem Fall dem Nikolaigymnasium – berichten, ist verloren gegangen, als die Nazis aus Deutschland, das gerade dabei war, sich wieder unter den souveränen Staaten der Welt zu platzieren, ein Schlachtschiff und Schlachthaus machten. Dieses weltläufige Deutschland ist praktisch völlig verschwunden. Und deshalb wirken die Berichte von Longs Tod auf Sizilien auch so beklemmend. Nicht einmal sein berühmter Name bewahrte ihn davor, in einem völlig sinnlosen Krieg verheizt zu werden.

Leipzig hat ihn nicht vergessen. 2013 gab es die kleine Luz-Long-Ausstellung, 2001 wurde der Luz-Long-Weg benannt. Und das Buch erinnert daran, dass eine große Sporttradition weniger mit Geld zu tun hat, als mit der zielstrebigen und beharrlichen Arbeit guter Trainer mit talentierten jungen Menschen, die wirklich Schritt um Schritt in die Spitze vordringen wollen. Auch davon fehlt es heute oft genug.

Was zu finden war über dieses besondere Sportlerleben, hat Kai-Heinrich Long in diesem Buch gesammelt. Und natürlich ziert das offizielle IOC-Foto dieser besonderen Freundschaft den Umschlag des Buches. Was auch sonst? Das Foto fasst alles in einem Rahmen, was diese Geschichte unverwechselbar macht.

Kai-Heinrich Long Luz Long – eine Sportlerkarriere im Dritten Reich, Arete Verlag,Hildesheim 2015, 19,95 Euro.

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