Für FreikäuferSeit 2006 lebt Kirstin Ballhorn mit ihrer Familie in Neuseeland. Was nur als Beschnuppern geplant war, hat sich zum Daueraufenthalt gemausert. Die Kinder wachsen in einer anderen Welt auf, in der es auch Robben und Kiwis gibt. Kiwis, das sind diese netten nachtaktiven Vögel, die es zum Wappentier Neuseelands gebracht haben. Und ein Kiwi ist der Held dieses Buches.

Es ist das zweite. Im ersten mit der Schildkröte Frido ging es eigentlich auch um Mut: den Mut, sich einen Traum zu erfüllen. Im zweiten Buch nun geht es um eine Erfahrung, die vor allem kleine Geschwisterkinder machen. Das ältere Kind hat schon viel mehr von der Welt gesehen und traut sich auch schon mehr. Da schaut das jüngere Kind oft mit Bewunderung, aber auch einer großen Portion Angst zu. Denn was sich der große Bruder Rangi traut, das hat sich Niko noch nie getraut. Den Sonnenuntergang anschauen zum Beispiel. Was ja gefährlich ist für so einen kleinen nachtaktiven Vogel. Da schleichen noch allerlei Jäger umher, die nur zu scharf sind auf lecker Kiwi-Fleisch.

Und so wird dieser frühe Abend für Niko zu einem Abenteuer, bei dem er nicht nur seinem großen Bruder nacheifert, sondern auch merkt, dass die Welt tatsächlich nicht ungefährlich ist. Nur ist in diesem Fall weglaufen nicht wirklich die beste Option, denn diesmal gerät Rangi tatsächlich in Gefahr. Eine Gefahr, in der Taten gefragt sind. Und als so kleiner, drei Minuten jüngerer Kiwi, kann man nicht einfach mal beim Rettungsdienst anrufen. Da muss man selber handeln. Und die kleinen Leser dieser Geschichte mit großen Bildern und kurzen Texten sind natürlich sofort mittendrin. Denn Niko zögert nicht, er handelt, tut also das, was auch die größten Angsthasen machen, wenn Einsatz gefragt ist.

Und die kleinen Leser sehen, was Mut eigentlich ist: die Bereitschaft, sich mit ganzem Einsatz einzubringen, wenn einfach Hilfe gefragt ist.

Was sich ja deutlich unterscheidet von dem, was einem andere Leute gern über Mut erzählen. Was freilich nicht Thema dieser kleinen Geschichte ist, in der es tatsächlich um etwas geht, was Niko erst einmal für sich entdecken muss. Viele kennen das. Manche haben ein Leben lang damit zu tun und fragen sich immer wieder: Trau ich mir das wirklich zu? Bin ich auch so mutig wie die anderen?

Und viele lassen sich dann einschüchtern, zögern, überlassen das Ganze lieber anderen Leuten, weil sie glauben, die könnten das besser, hinter deren großer Klappe stecke auch mehr Können und Kenntnis. Was sich ja zumeist als Irrtum erweist. Die meisten dieser Helden haben selten mehr als eine große Klappe. Und dass sie vorneweg stürmen, wenn es zur Prügelei geht, hat eher damit zu tun, dass sie keine Phantasie haben und sich nicht ausmalen können, was da auf sie zukommt. Deswegen gucken sie meistens ziemlich bekloppt, wenn sie im Zinksarg nach Hause geschickt werden.

Aber auch davon ist nicht die Rede im Buch. Soll ja eine kindergerechte Kiwi-Geschichte sein. Aber die ersten Seiten erzählen sehr bildhaft davon, was sich Niko so alles ausmalt, als er merkt, dass Rangi nicht da ist. Er hat diese lebhafte Phantasie, die einen natürlich dazu bringt zu zögern und zu zaudern. Und scheinbar hilflos macht, wo andere mit geschlossenen Augen losrammeln.

Aber dieser Niko ist deswegen auch ein überlegtes Kerlchen. Er zögert nur kurz und geht dann sehr zielstrebig und überlegt zur Tat, als Hilfe gefragt ist. Und natürlich geht die Geschichte gut aus. Auch weil Nikos Mut ein zielstrebiger ist: Das zu tun, was nacheinander einfach Sinn ergibt.

Also ein Buch für kleine Kombinierer, wie sie später dringend gebraucht werden. Dann, wenn die „Helden“ die Sache mal wieder versemmelt haben und der kleine Zauderer gebraucht wird, der im Kopf schon mal kombiniert, wie man die Sache wieder in Ordnung bringt.

Also eigentlich eine doppelschichtige Geschichte, auch wenn man ihr das beim ersten Durchblättern gar nicht anmerkt. Aber wer so kleine Knirpse hat, die in diesem Bilderbuchalter sind, der weiß, dass das Lernen von Muthaben genau so abläuft und ebenso kompliziert ist. Gerade für die sensiblen und nachdenklichen Kinder. Für die von falschen Vorbildern angefixten Kinder gilt das meistens nicht. Die rammeln dann einfach los. Und sie können verdammt froh sein, wenn sie so einen kleinen Niko als Bruder haben.

Kirstin Ballhorn Niko hab Mut, Lychatz Verlag, Leipzig 2017, 9,95 Euro.

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