Für FreikäuferEs ist ein hartes Buch. Eines, das den Leser im behaglichen Deutschland daran erinnert, wie nah uns die tatsächlichen Ängste dieser Welt tatsächlich sind und warum der Osten und Südosten Europas für einige Mitmenschen so ein Angstraum ist. Denn die Armut der dort Lebenden ist die Armut, vor der sich die hierzulande Verängstigten fürchten. Weil sie tief ins Leben eingreift und alles zerstören kann. Den ganzen schönen Schein.
Denn das, was Er (Weltverbesserer, irgendwas mit Literatur studiert, am Ende kurz freier Autor bei einem Anzeigenblatt) und Sie (Schauspielerin) erleben, kann genau so nicht nur in Kroatien passieren, das 2013 Mitglied der EU wurde, sondern auch in Polen, Frankreich, Deutschland. Wobei in Deutschland möglicherweise das Hartz-IV-System das Allerschlimmste noch verhindern würde. Mit Betonung auf „Aller“, denn so weit unten geht fast nichts mehr. Da kann man seine Träume einstampfen, seine Hoffnung begraben oder kriminell werden.
Der Klappentext zu Ivana Sajkos Roman spricht von einem „Krieg zwischen Küche und Schlafzimmer“. Da denkt man an den berühmten Hollywood-Film „Der Rosenkrieg“ mit Michael Douglas und Kathleen Turner. Aber der Film spielt in der Upperclass, wo 99 Prozent aller Hollywood-Filme spielen und den Zuschauern eine Scheinwelt zeigen, die mit der Realität derer, die sich für ihr Überleben tatsächlich abstrampeln müssen, nichts zu tun hat.
In diesen Welten der Reichen, in denen es um Geld, Besitz, Stolz, Ehrgeiz und Macht geht, da finden solche Rosenkriege statt. Die können sich das leisten. Aber nicht Er und Sie, die mit dem Beginn dieses Liebesromans eigentlich beide schon wissen, dass sie fürchterlich auf die Nase gefallen sind. Er mit seinem schönen Studium ist schon lange arbeitslos und bekommt auch keinen Job, so oft er zum Amt latscht. Geld auch nicht. Das soziale Netz im ziemlich armen EU-Neuling Kroatien ist für die, die ganz durchgerauscht sind, augenscheinlich nicht mehr existent.
Und Sie hat den Fehler gemacht, ihren Vertrag am Theater zu kündigen, als der unverhofften Liebesbegegnung ein Kind entsprang. Und auch wenn von Anfang an manches nicht so richtig klappt, haben sich die beiden dennoch ganz aufeinander eingelassen. Was ihnen nicht hilft. Denn der Liebesroman ist tatsächlich einer: Das, was Menschen wirklich passiert, wenn sie sich lieben und doch nicht herausfinden aus der Not, der finanziellem sowieso. Denn nicht nur in Kroatien ist es ja so: Wer sich nicht krümmt, macht keine Karriere, wer sich nicht anpasst und duldet, der bekommt keinen Cent.
Wer rebelliert, fliegt. Oder bleibt gleich ganz draußen. Erst recht, wenn er – wie Er – gar noch öffentlich gegen den Ausverkauf und die Verschandelung der eigenen Stadt protestiert. Medienwirksam. Von seinen Hintergrundrecherchen zur örtlichen Korruption will niemand etwas wissen. Aber wenn er sich gegen den Abtransport durch die Polizei wehrt, hält die Kamera voll drauf. So, wie eben Entertainment-Journalismus heute funktioniert.
Nur halt nicht für Leute wie ihn. Den das alles augenscheinlich auch noch depressiv macht. Er greift zum Alkohol und versinkt in Lethargie, während Sie wenigstens noch versucht, den Haushalt zu schmeißen und die Bude in Ordnung zu halten. Man merkt schon: Hier schreibt eigentlich Sie, auch wenn Ivana Sajko am Ende die Fiktion aufbaut, Er könnte es sein, der nach dauerhafter Schreibblockade endlich schreibt, schreibt, schreibt.
Immerhin: Es ist so ein Moment dabei: Dass man sich freischreiben kann …
Und kurz gibt es auch Hoffnung zwischendurch, scheinen beide doch wieder Tritt zu fassen nach einem weiteren Versuch seinerseits, endlich zu gehen, die Beziehung zu beenden. Aber wie das so ist mit der Liebe: Er kann nicht. Alles dreht sich um Sie, alles was wichtig ist und worum sich seine Gedanken drehen, ist diese kleine Wohnung mit dem nervigen Nachbarn und dem Kind, zu dem er nicht wirklich eine Beziehung findet. Denn: Er ist ein typischer Mann, hat nie gelernt, von sich zu sprechen. Er steckt in der angelernten Rolle fest, der große Schweiger. Wer das kennt, weiß, wie schwer das auszuhalten ist. Man staunt eher, dass Sie nicht wirklich explodiert, sondern selbst zutiefst leidet an dieser Diskommunikation.
Während auch noch das letzte Geld durch ihre Finger rinnt und die Rechnungen unbezahlt bleiben und die Wohnung gekündigt wird, so dass sie tatsächlich hinausgetrieben werden ins Nichts. Und dabei erzählt Ivana Sajko in einem durchaus forcierten Tempo und oft in Sätzen, die über Seiten fortrattern, denn das meiste passiert – wie im richtigen Leben – ja im Kopf. All diese Bedenken, Befürchtungen, der Groll, die Vorwürfe, das Ausmalen möglicher schrecklicher Szenarien, die Gedanken über die Motive des Nachbarn, die Sinnlosigkeit der Werbe-Auftritte, die Gedanken über die Verkommenheit der örtlichen Politik, das Kind, die Enttäuschung, die Selbstvorwürfe … alles passiert im Kopf, dreht sich unermüdlich, selbst dann, wenn jeder weiß, dass er eigentlich aus dem zwanghaften Rumoren ausbrechen müsste. Oder wenigstens schlafen gehen.
Das ist kein Krieg. Das ist Verzweiflung. Das ist das, was Millionen junge Menschen erleben. Nicht nur in Kroatien. Auch hierzulande, wo es ja nur so wimmelt von vorwurfsvollen Nachbarn, die mit ihren Vorurteilen hausieren gehen über „diese Leute, die immer zu Hause sind“. Das funktioniert überall. Da sind uns unsere Nachbarländer im Osten und Süden viel näher, als es manch ein Politiker wahrhaben will.
Die, die aber erst mal drin sind in dieser Mühle und sich abstrampeln, um überhaupt ein bisschen Boden unter die Füße zu bekommen, genug Geld, um endlich der/dem Geliebten ein Zuhause bieten zu können, dem Kind das, was es braucht, die wissen es. Denn die haben all diese Momente schon erlebt – die Mahnungen und Kündigungen und das Strampeln um jeden Euro. Und die Angst, dass ihnen am nächsten Tag auch noch das Dach überm Kopf gekündigt wird. Diese Menschen – und es sind sehr viele junge darunter – wissen, wie sich richtige Existenzangst anfühlen kann. Und wie sie lähmt. Und wie sie wütend macht auf all die Herren im Blitzlichtgewitter, die so tun, als hätten sie die Sache im Griff.
Insofern also die Warnung: Wer eine Liebesschmonzette à la ZDF erwartet mit gut gestylten Gutverdienern in prächtigen Villen, sollte lieber die Finger von diesem Buch lassen. Das hier ist eher das richtige Leben, das sich so gern in Unsagbarem, Hilflosem und Ratlosem verheddert. Und manchmal auch völlig schiefgeht, weil beide keinen Ausweg mehr finden.
Die gute Nachricht für alle, die sich vor der Wucht solcher existenziellen Erfahrungen fürchten: Die beiden geben sich nicht auf. Am Ende tun sie etwas, was in der wohl geordneten Welt der misstrauischen Nachbarn nie vorgesehen ist, weil sie einen Zustand bevorzugen, in dem alles kontrolliert, geregelt und bezahlt ist. Und sie selber als Sheriff ums Haus laufen, was möglicherweise in dieser Geschichte einmal schiefgeht. Aber das weiß man nicht so richtig, weil die Gedankenströme, die das scheppernde Ende dieses Kleinaufpassers beschreiben, durchaus auch Phantasie sein könnten. Sie wissen ja, wie die Phantasie erst mal auf Hochtouren kommt, wenn man ihr Futter gibt: Was wäre wenn … Und Sie zumindest ist sehr begabt beim Ausmalen sehr drastischer Bilder.
Die Hoffnung steckt in einem Halbsatz: „Eines Tages werden wir über all das lachen …“
Das ist der Gedanke, der viele (junge) Menschen am Leben erhält und nicht verzweifeln lässt, sondern immer wieder die Zähne zusammenbeißen und Neues versuchen.
Genau von da her erzählt die 1975 geborene Kroatin Ivana Sajko. Auch wenn wir nicht erfahren, ob es so sein wird. Denn wie jeder seit Tucholsky weiß: Nicht nur in Liebesfilmen wird abgeblendet, wenn es gerade spannend wird.
Ivana Sajko Liebesroman, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2017, 18 Euro.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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