Eishockey ist seine Welt. Immer neue Bücher legt Frank Bröker vor, Leipziger, Eishockey-Fan und Gitarrist bei den „Russian Doctors“. Bücher, die den Eingeweihten und dem Nichteingeweihten den ganzen Kosmos Eishockey erklären. Und weil er Regelwerk und Geschichte schon durchgearbeitet hat, ging er diesmal auf Exkursion. Denn Eishockey wird an den seltsamsten Orten gespielt.
Fußball auch. Keine Frage. Aber Eishockey ist nichts für Leute, die gern eine Schwalbe machen oder an der Seitenlinie trödeln. Es ist ein schneller Sport mit einer eigenen Fan-Kultur, eigenen Stars und Legenden. Und einem eigenen Tempo. Langatmige Kickereien, bei denen schwache Mannschaften versuchen, sich über die Zeit zu retten, kennt dieser Sport nicht. Eher völlig ausgeflippte Anhänger, die von einem Schweißausbruch in den nächsten stürzen, weil ihre Mannschaft regelrecht eingedeckt wird mit Torschüssen. Was ja passieren kann, wenn man nicht gerade ein ganzes Jahr lang trainieren kann – so wie die Kanadier, Russen, Schweden, Amerikaner und Tschechen, die führenden Nationen im Eishockey. Von denen einige auch mal klein angefangen haben.
Denn nicht jedes Land verfügt auf natürliche Weise über viele schöne Eisflächen, auf denen schon die Knirpse die Freude am Puckschlagen erlernen. Manchmal braucht es erst eine nationale Kraftanstrengung, um die nötigen Eishallen aus dem Boden zu stampfen, Clubs zu gründen und gute Trainer aus Kanada zu holen. Natürlich Kanadier, befindet Frank Bröker. Denn fast überall, wo auf einmal ein neues Eishockeyturnier entsteht und der Keim einer Landesliga, war irgendwie ein Kanadier am Werk, der das nötige Knowhow lieferte oder den Trainer stellte. Oder es waren gar ein paar reisende Kanadier, die ein Team aufstellten und sich eine Eisfläche suchten.
Was nicht selbstverständlich ist in den meisten Ländern der Welt. Denn viele kennen weder Winter noch Frost. Und trotzdem …
Und trotzdem findet das eisige Vergnügen immer mehr Anhänger weltweit, greifen Regierungen und Stadtverwaltungen ins Geldsäckel und bauen eine oder mehrere Hallen hin und träumen davon, dass ihre Jungs und Mädels mal so gut sind, dass sie in der WM mitfighten können.
Natürlich ist Bröker nicht selbst losgefahren, um alle Schauplätze in diesem Buch zu besuchen. Da wäre er heute noch unterwegs. Er hat vor allem das Internet genutzt, um Kontakt aufzunehmen zu all den kleinen und winzigen Landesverbänden, die mittlerweile beim Internationalen Eishockey-Verband angedockt haben oder wenigstens ihre Visitenkarte hinterlassen haben. Manche tauchen sogar mal in Europa auf – jene nämlich, die im Lauf der letzten Jahre tatsächlich einen eigenen Ligabetrieb auf die Beine gestellt haben und so etwas wie feste Spielstätten besitzen und gut genug sind, an WM-Kämpfen teilzunehmen.
Auch wenn es oft nur ein Eisparcours in einem Einkaufscenter ist, wo man üben kann – tagsüber von Kunstläufern genutzt, abends dann Austragungsort von Spielen zwischen Mannschaften, in denen die meisten Amateure sind und trotzdem das große Ziel haben, irgendwann in der vierten oder dritten WM-Klasse die Türkei, Kuwait oder China zu schlagen. Oder mal gegen die Mongolei anzutreten oder die Hochgebirgsspieler aus Indien.
Deswegen kommt Europa in diesem Buch eher nicht vor – wenn man von kleinen Kämpfern wie Andorra oder Luxemburg absieht. Dafür eindrucksvolle Mannschaften aus Hongkong, Mexiko oder Tunesien. Ja, sogar Afrika ist auf der Landkarte des Eishockeys zu finden, auch wenn der Sport in einigen Ländern über den Spaß nicht wirklich hinauskommt. Aber gerade jene Länder, deren junge Menschen der Ausbildung oder der Arbeit wegen ausgewandert sind nach Kanada, den USA oder in europäische Länder mit einer Eishockeyliga, haben natürlich gute Chancen, bei einer Recherche im Internet auch eine komplette eigene Eishockey-Nationalmannschaft zusammenzutrommeln.
Was einige nordafrikanische Länder auch tun, einfach, um auch mal dieses Gefühl zu haben, die eigenen Landesfarben übers Eis flitzen zu sehen. Viele dieser Kinder der Ausgewanderten spielen natürlich in mehr oder weniger professionellen Ligen. Die amerikanische NHL taucht natürlich immer wieder am Horizont auf, denn junge Männer, die in Asien den Schläger schwingen, träumen genauso von ruhmreichen Jahren als Profi in den USA wie die Jungs aus Australien, das sogar zu den ältesten Mitgliedern der Eishockeygemeinde gehört.
Brökers Rundreise zeigt natürlich auch, dass in einigen Ländern vor allem die Freude am Spiel dominiert, während andernorts mit viel Geld und sehr zielstrebig daran gearbeitet wird, das Land in obere Ligen zu katapultieren. Andorra und Zimbabwe eher nicht. Weißrussland und Turkmenistan schon eher. Aber man lernt auch, wie sehr das Spiel auf Eis immer mit dem anderen konkurrieren muss, das auch noch in der trockendsten Wüste gespielt werden kann, dem Fußball.
Bröker lässt auch die Frauenmannschaften und die Jugendarbeit nicht aus. Und viele der angefunkten Verbandspräsidenten scheinen reineweg aus dem Häuschen gewesen zu sein, als nun ein Eishockey-Kenner aus Deutschland anrief.
So schrecklich desaströs die üblichen Sportberichte über die Erfolge und Misserfolge der deutschen Nationalmannschaft meist klingen: Unsere hyperventilierenden Reporter vergessen nur zu gern, dass Deutschland zu den Glücklichen gehört, die in den obersten Ligen mitspielen können. Und dass Länder wie Russland, Schweden oder Kanada trotzdem eine Klasse besser sind. Ach weil dort ganz andere Traditionen lebendig sind und Eishockey auch einen ganz anderen Stellenwert hat. In Kanada, so weiß man nach Lesen dieses Buches, kommt man um Eishockey einfach nicht herum. In Deutschland müssen selbst Kommunen lange überlegen, welcher Sportart sie nun ein Stadion bauen. Meistens gewinnen dann Fußball oder Handball.
Aber die heutigen Deutschen oder ihre Reporter können augenscheinlich das Maul nicht voll genug kriegen und ein Platz in der zweiten Reihe erscheint ihnen unzumutbar. Aber wie fühlen sich dann all die anderen, die sich genauso bemühen und doch nur den Weg in die C-WM schaffen? Sind die deshalb auch so hämisch und zu Tode betrübt?
Augenscheinlich nicht.
Gerade deshalb liest sich Brökers bilderreiches Stakkato eigentlich sehr entspannt. Man freut sich, wenn man eine seiner exotischen Eis-Nationen bei einer kurzen Begegnung mit deutschen Mannschaften sieht. Aber man spürt auch den Stolz der Auskunftgebenden auf das Erreichte. Denn in der Regel haben sie sich richtig ins Zeug gelegt und aus nichtvorhandenen Voraussetzungen trotzdem so etwas wie eine Liga und einen Spielbetrieb aufgebaut. Und das oft genug mit wenig oder noch weniger Geld, wenn man an die Mongolei denkt, Indien oder Japan … na ja, Japan vielleicht doch nicht. Dort scheinen auch die Auftritte berühmter NHL-Teams nicht viel geändert zu haben an einer spürbaren Nichtbegeisterung des Publikums für Eishockey.
Während in den Arabischen Emiraten allein schon die Sportbegeisterung eines reichen Mannes reicht, um ein ganzes Eisstadion aus dem Boden zu stampfen und eine Mannschaft zusammenzukaufen, die auch bei der C-WM mithalten kann.
Während das asiatische Kapitel aufgrund der Vielzahl durchaus ernst zu nehmender Eishockey-Bewegungen recht umfangreich wird, sind die Kapitel zu Afrika (naturbedingt), Südamerika (geldbedingt) und Australien/Ozeanien (mengenbedingt) etwas kürzer. Aber auch das zeigt, dass die Wege zum Eishockey durchaus unterschiedlich sein können. Auch unterschiedlich tragfähig und anhaltend. Manchmal reicht der Unmut eines Einkaufscenter-Betreibers, und der Liga-Betrieb muss komplett eingestellt werden. Manchmal hilft Erfindungsreichtum über karge Zeiten hinweg.
Aber man merkt auch, wie es den Leipziger Autor juckt beim Schreiben, wie er selbst mal losfliegen will, um als Zuschauer selbst zu sehen, wie in China, Weißrussland oder Portugal Eishockey zu erleben ist. Denn der Sport ist – wenn er denn wirklich mit Herz betrieben wird – noch viel völkerverbindender als Fußball. Auch wenn das bei deutschen Sportreportern meist ganz anders klingt, als hätten sie die Endspielniederlage von 1945 noch immer nicht verdaut. Als hätten sie noch immer nicht begriffen, dass da draußen über 100 andere Länder sind, in denen die Jungs und Mädchen genauso gut sind, mit Ball oder Puck umgehen können, wenn man ihnen nur die Möglichkeiten gibt.
Sport ist nicht, wenn die Sauerkrautfresser ständig gewinnen, sondern wenn sich Menschen auf dem Eis mit Fairness und Spaß am Spiel begegnen und das Publikum jubelt, weil das Ganze an Spannung nicht zu überbieten ist. Und mit seiner Begeisterung für den kalten Sport demonstriert Frank Bröker, was das heißt und wie es sich lesen lässt. Man freut sich mit Israel über einen tapfer erkämpften 35. Rang im Ranking und mit Japans Frauen über einen neunten. Das macht mehr Spaß als dieses heimische Geheule über „wieder nur Zweiter“.
Und dazu kommt, dass Bröker mit Namen berühmter Spieler, Trainer und Mäzene nur so um sich schmeißt. Denn ein Sport lebt nun mal von Menschen, die sich ins Getümmel schmeißen und Dinge auf die Beine stellen, auch wenn sie so verrückt sind wie eine Eisbahn in Afrika.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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