Fรผr FreikรคuferMit den โHebammeโ-Bรผchern wurde Sabine Ebert berรผhmt. Mit den Bรผchern zur Vรถlkerschlacht hat sie die Herzen der Leipziger erobert und auch gleich noch ihren Lebensmittelpunkt nach Leipzig verlegt. Und dann hat sie sich gleich in ein neues, groรes Geschichtspanorama gestรผrzt, das auf Jahre ihre Leser in Bann schlagen wird: โSchwert und Kroneโ, das Zeitalter Barbarossas. Den kennen die meisten sogar irgendwie.
Aber zu Recht stellt Sabine Ebert im Nachwort zu diesem zweiten Band aus der Reihe fest, dass viele Leser รผberrascht sind, wie aufregend deutsche Geschichte tatsรคchlich ist. Das war sie eigentlich immer. Aber irgendetwas ist da in den letzten Jahrzehnten vรถllig aus dem Gleis gelaufen โ im Geschichtsunterricht in der Schule genauso wie in der Geschichtskolportage der groรen Medien: Man hatte das Gefรผhl, dass die deutsche Geschichte nur noch aus Hitler, Hitler und Hitler bestand. Und besteht. Es ist ja nicht so, dass sich an den Lehrplรคnen der Schulen etwas geรคndert hat, wo den Kindern alles Mรถgliche beigebracht wird, nur nicht die Faszination deutscher Geschichte von mindestens 919 an. Vieles, was gelehrt wird, ist in Schablonen erstarrt, in Interpretationen gepresst, die einem schon Kopfschmerzen machen, wenn man sie immer und immer wieder liest (wie aktuell wieder beim Thema Luther und Reformation). Womit man bei den Medien wรคre, die deutsche Geschichte in 12 Jahre gepresst haben und fortwรคhrend das Gefรผhl vermitteln, auรer Nazi-Deutschland hรคtte es nichts weiter gegeben.
Deswegen erstaunte schon, welche Resonanz Sabine Eberts Bรผcher รผber die Hebamme ab 2006 erzeugten โ und wie verblรผfft die LeserInnen waren, wie farbenreich die Geschichte des Hochmittelalters war. Und bei Sabine Ebert (studierte Lateinamerika- und Sprachwissenschaftlerin) kam von Anfang an hinzu: Sie wollte ihre historischen Romane mรถglichst authentisch schreiben, hat sich in die Quellen und die historischen Arbeiten eingearbeitet, aber nicht nur in die Fรผrsten- und Religionsgeschichten, sondern auch in den Alltag der Menschen. Wie funktionierte das Ritterwesen? Wie sahen die Burgen Mitte des 12. Jahrhunderts wirklich aus? Was aรen die Menschen? Wie funktionierten Lehnsverhรคltnisse? Wie waren die Ritter tatsรคchlich ausgerรผstet? Wie wurde geheizt und wie waren die Menschen gekleidet?
Und so weiter. Ihre Bรผcher leben vom Detailreichtum dieser Beschreibungen. Manchmal liest sich das sehr weiblich, wenn sie ausfรผhrlich beschreibt, wie ihre Heldinnen und Helden gekleidet sind. Und natรผrlich fรคllt auf, wie sie die alte, mรคnnergemachte Geschichtsschreibung deutlich korrigiert und den Mรคnnern, die den Ruhm ernteten, auch ihre Frauen zur Seite stellt, die man meist zumindest dem Namen und der Herkunft nach kennt.
Aber mรคnnliche Historiker haben sich selten die Mรผhe gemacht herauszufinden, welche Rolle diese Frauen tatsรคchlich spielten und spielen konnten. Sie haben sie meist nur als hรผbsches Beiwerk betrachtet, als Gebรคrerinnen fรผr den Nachwuchs der Mรคnner.
Auch deshalb kamen die Hebamme-Romane gerade bei Leserinnen gut an: Erstmals machte eine Autorin plastisch, unter welchen Zwรคngen, Engen und Regularien Frauen im Mittelalter lebten, wie rechtlos sie waren โ und trotzdem handlungsfรคhig, wenn sie รผber sich hinauswuchsen und die vorhandenen Freirรคume klug nutzten. Etwas, was zumindest historisch uninteressierte Leser bislang nur von der Kรถnigsebene kannten. Und dass der Zyklus โSchwert und Kroneโ direkt an den โHebammeโ-Zyklus anschlieรt, haben Leser des ersten Bandes โMeister der Tรคuschungโ schon gemerkt. Denn in Meiรen berรผhren sich beide Zyklen. Genauer: in der Regierungszeit Konrads von Wettin, den die Geschichtsschreiber spรคter den Groรen nannten. Er sicherte den Wettinern nicht nur die Mark Meiรen, sondern gewann auch noch die Mark Lausitz dazu und verschaffte dem Land vor allem eine erste Blรผte, weil er den Landesausbau mit flรคmischen Bauern vorantrieb.
Sabine Ebert schildert ihn als streng, fast undurchschaubar. Man merkt, dass ihre Sympathien bei den Wettinern liegen โ insbesondere bei Konrads Sohn Dietrich, dem Zweitgeborenen, der spรคter die Lausitz erhielt und deshalb frรผh schon mit der polnischen Kรถnigstochter Dobroniega verheiratet wurde, mit der er aber wohl nicht glรผcklich wurde. Sabine Ebert schildert sie als Eisprinzessin und betont auch im Nachwort, dass sie gerade bei den Frauenschicksalen oft auf Rekonstruktionen angewiesen war. Meist lรคsst sich nur erraten, warum die Ehen der Mรคchtigen damals aufgelรถst wurden (das ist das Schicksal Adela von Vohburgs, der ersten Frau Friedrich III., des spรคteren Kaisers Barbarossa), warum manche Frauen ihren Ehemรคnnern, an die sie aus strategischen Grรผnden verheiratet wurden, nur wenige Kinder gebaren (das ist das Schicksal Dobroniega), warum sie frรผh schon in Klรถster abgeschoben wurden oder auf einmal als โGemahlin zur Linkenโ in den Annalen auftauchen (das ist das Schicksal Kunigundes von Plรถtzkau, deren Ehemann im Kreuzzug 1147 zu Tode kommt).
Alles historisch verbรผrgte Personen, der Leser staunt. So hieรen die tatsรคchlich. Sabine Ebert musste all das nicht erfinden, hat es aber mit sehr viel Akribie aus den verfรผgbaren Quellen rekonstruiert und versucht, auch das (immer von mรคnnlichen Regeln kontrollierte) Leben der Frauen nachzuempfinden. Wie fรผhlten sie sich, wenn sie einfach mit mรคchtigen Mรคnnern verheiratet wurden, weil damit dynastische Verbindungen geknรผpft wurden? Wie gingen sie mit ihren mรคchtigen Mรคnnern um? Hielten sie die Klappe und lieรen sich einfach alles gefallen? Das war mรถglicherweise fรผr viele Mรคdchen aus adeligen Familien tatsรคchlich das Schicksal.
Aber Sabine Ebert stellt viele selbstbewusste Frauen in den Mittelpunkt ihrer Erzรคhlung. Neben den ganzen Beratungen, Rรคnken und Schlachten der Mรคnner entsteht ein farbiges Netzwerk von Frauen, die einander halfen, die Verantwortung รผbernahmen und manchmal auch die Geschichte selbst gestalteten. Letzteres tat im ersten Band die Kaiserinwitwe Richenza, in diesem Band spielt Mathilde von Seeburg, die Schwester des Wettiners Konrad, im Wesentlichen so eine Rolle.
Womit noch etwas anderes sichtbar wird: Sabine Ebert hat die historische Landschaft eingewoben in ihren Roman. Der Burgberg von Meiรen ist schon fast selbstverstรคndlich in so einer Geschichte, die Burg Eilenburg kehrt ja so langsam wieder ins Bewusstsein der heutigen Generationen zurรผck, die Burg Seeburg und die Burg Plรถtzkau dรผrften auch fรผr viele Leipziger eher terra incognita sein. Hinfahren lohnt sich, auch wenn man dort eher den Renaissanceschlรถssern begegnet, nicht unbedingt den Burgen des kriegerischen 12. Jahrhunderts. (Es geht stellenweise sehr brutal zu in diesem Buch โ aber auch das ist historisch belegt. Es war kein friedliches Jahrhundert.)
Leipzig kommt natรผrlich nicht vor. Aus gutem Grund. Die Leipziger versuchen zwar gern, ihre groรe Vorgeschichte weit in die graue Vorzeit hinein auszudehnen. Aber wirklich in den Brennpunkt der Geschichte trat Leipzig erst mit Konrads Sohn Otto, der irgendwann um 1165 die Stadtgrรผndung vollzog. Das ist fast 20 Jahre nach den in diesem Band geschilderten Ereignissen, in denen der katastrophal endende Kreuzzug von 1147 eine wesentliche Rolle spielt. Aus diesem Kreuzzug kehrte Kรถnig Konrad III. so geschwรคcht zurรผck, dass sofort wieder โ wie schon Jahre zuvor โ der legendรคre Machtkampf zwischen Staufern und Welfen auf der Tagesordnung stand, verkรถrpert durch die junge Generation, die man schon in โMeister der Tรคuschungโ kennengelernt hat. Alles belegt. Man staunt, mit welch gekonntem Griff mitten hinein in die mittelalterliche Geschichte Sabine Ebert ein Figurenensemble erwischt hat, das wie kein zweites fรผr einen Generationen-Bruch steht, den Auftritt junger, begabter Herrscher, die in den nรคchsten Jahren die Geschicke des Heiligen Rรถmischen Reiches bestimmen wรผrden.
Allen voran natรผrlich Friedrich, der spรคtere Kaiser Barbarossa, Heinrich, der junge Herzog der Sachsen (den die Geschichte Heinrich der Lรถwe nennen wird) und der Wettiner-Sohn Dietrich. Sie lรถsen die Alten aus dem ersten Band ab, auch wenn man Albrecht (von der Geschichte Albrecht der Bรคr genannt), den kรผnftigen Markgrafen von Brandenburg noch voll in Aktion erlebt, Konrad von Wettin sowieso, der mit kluger Zurรผckhaltung schafft, dass er nicht am fatalen Kreuzzug teilnehmen muss und stattdessen mit Heinrich und Albrecht zum Wendenkreuzzug ausziehen darf. Sogar mit gnรคdiger Zustimmung vom Papst und von Bernhard von Clairvaux, noch so einer Berรผhmtheit, die eigentlich in die Kiste religiรถser Fanatismus gehรถrt.
Man kann nicht รผberlesen, wie sehr Religion auch in dieser Zeit vor allem als politisches Instrument genutzt und missbraucht wurde. Die Berater des Kรถnigs waren mรคchtige Geistliche. Der Kreuzzug gegen die Wenden wurde als Christianisierung verkauft โ obwohl einige wendische Stรคmme lรคngst christianisiert waren. Es ging um Land und Macht.
Noch eine Besonderheit dieses Romans: Sabine Ebert hat sich auch mit den slawischen Fรผrsten beschรคftigt und lรคsst sie nicht einfach als Erduldende von โchristlicherโ Politik erscheinen. Fรผrsten wie Niklot, Pribislaw und Jacza sind historisch genauso belegbar wie ihre eroberungssรผchtigen Gegenspieler. Und auch die Burgen Dobin, Demmin und Brandenburg sind belegt. Stolz verweist Sabine Ebert auf die Karte zu den Wendenkreuzzรผgen, die ihr kompetente Fachleute zugearbeitet haben. Wobei der historisch interessierte Leser sich sowieso freut, dass er immer wieder die Umschlagkarten รถffnen kann, um nachzuschauen, wo das aktuelle Kapitel gerade spielt. Dazu kommen im Anhang noch die Stammbรคume der auftretenden Fรผrstenhรคuser, ein kleines Glossar und eine Chronik der belegten historischen Ereignisse.
Der Titel des zweiten Bandes โ โDer junge Falkeโ โ verweist natรผrlich darauf, dass der junge und ehrgeizige Friedrich Rotbart jetzt endgรผltig die Bรผhne betritt, den Sabine Ebert nicht nur als charismatisch schildert, sondern auch als extrem selbstbewusst. Ein echtes politisches Talent, mรถchte man sagen. Im Gesprรคch mit dem bislang die Strippen im Reich ziehenden Albero, Erzbischof von Trier, zeigt ihn Sabine Ebert als politisch denkenden Kopf. Was ja bekanntlich die wenigsten Mรคchtigen wirklich sind. Deswegen wirken solche Persรถnlichkeiten so beeindruckend. โIhr seid der Hoffnungstrรคger unter Narren, Gierigen und Unbarmherzigenโ, sagt Albero.
Man ahnt schon, was den Leser in Band 3 fesseln wird, der schon mal fรผr 2018 angekรผndigt ist. Und die Leserinnen natรผrlich, die in Band 2 schon miterleben durften, wie sich starke Frauen auch in dieser mรคnnerdominierten und unwirtlichen Welt behaupteten. Und behaupten mussten. Was jede auf ihre Weise anging. Die byzantinische Kaiserin Irene genauso wie Kunigunde und ihre Freundinnen. Und da ein Groรteil der Handlung genau hier spielt, in jener Gegend, die damals Ostfalen, Ostmark und Mark Meiรen hieร, ist Sabine Ebert genau hier auch auf Lesetour an historischen Orten.
Nach der heutigen Lesung in Leipzig ist sie am 3. November in Stollberg, am 6. November in Dresden, am 7. November in Gรถrlitz und am 8. November in Dessau. Das sind zumindest die grรถรeren Orte am Weg. Geschichtskundige nehmen sich dann, wenn das Wetter wieder schรถner wird, die echten historischen Orte vor: Seeburg, Meiรen, Eilenburg, Landsberg, Wettin, Merseburg und Plรถtzkau. Nicht zu vergessen: Ballenstedt, den Sitz von Albrecht dem Bรคren.
Wer Sabine Eberts Bรผcher gelesen hat und all die Orte besucht, der wundert sich nicht mehr รผber den unerwarteten Reichtum der deutschen Geschichte. Der wundert sich eher darรผber, warum die ganzen Ungebildeten des Landes aus ihrer Hitlerei nicht mehr herauskommen. Natรผrlich ist das praktizierte Unbildung. Und die Arbeit, die sich Sabine Ebert macht, wird zu Recht von ihren Leserinnen und Lesern honoriert. So wird endlich wieder ein Teil von dem sichtbar, was uns verwurzelt in der Geschichte. Und das auch noch mit einer aufmerksamen und einfรผhlsamen Sicht auf die Frauen dieser Zeit โ die berรผhmten und die nichtberรผhmten.
Wer die Frauen in der Geschichte ignoriert, kann keine gรผltige Geschichtsschreibung vorlegen. Ohne die Frauen (vor allem die selbstbewussten) ist alles mรคnnliche Streben nur Schall und Rauch.
Buchpremiere: Sabine Ebert โSchwert und Krone: Der junge Falkeโ am Donnerstag, 2.Oktober, 19 Uhr in der Buchhandlung Ludwig im Hauptbahnhof Leipzig
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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