Ich bin ja so einer, der liest alles an und in einem Buch. Auch die Lobpreisungen berühmter oder anderer Leute auf dem Cover. Obwohl es fast unmöglich ist, dass Dirk von Gehlen von der „Süddeutschen“, Thees Uhlmann (Musiker und Buchautor) oder Anja Ritzel vom „Spiegel“ vorher wussten, was drinsteht. Wussten sie auch nicht. Man wartet 175 Seiten drauf, dass es lustig wird. Weihnachten ist nicht lustig. Schon gar nicht in Deutschland.
Weihnachten ist auch nicht die Zeit der großen Fragen an alles und an sich, wie Thees Uhlmann schreibt. Da spart man sich gleich, auch sein Buch noch zu lesen. Aber was ist es?
Eine Katastrophe auch nicht wirklich, auch wenn es minderbegabte Drehbuchautoren gern so inszenieren. Eigentlich ist es einmal im Jahr eine Begegnung mit Wirklichkeit. Wenn man sich traut. Traut sich meistens keiner. „Ich habe Angst, was jetzt mit dem Weihnachtsfest passiert“, schreibt Anja Rützel. Als wenn Huber nun so eine Art zweiten „Grinch“ geschrieben hätte. Hat er nicht. Jahrgang 1984, gehört er zu jenen jungen Autoren, die das Leben im Land der Völlerei, des Fress-, Sauf- und Kaufwahns mit etwas kritischem Blick begleiten. Mit leichtem Stirnrunzeln. So wie die Autoren bei Voland & Quist. Bisschen sarkastisch, sehr selbstironisch. Denn mit diesem Jahrgang ist man hineingeboren in eine behäbige, selbstgefällige, ritualisierte Republik, die demnächst an Verstopfung zu sterben droht.
An geistiger Verstopfung sowieso.
Während sie mit ihrer Zukunft umgeht, als wäre es Abfall. Irgendwie überflüssig. Geld zählt, Prestige, Auto, Haus, vorgesorgt fürs Alter. Scheiß auf die Jugend. Wen kümmert die?
Und wer jung ist und klug, der weiß, mit welcher Borniertheit einem die Alten da begegnen: Du hast noch immer keine RICHTIGE Arbeit? Noch immer kein Haus? Keine Frau? Keine Kinder? Keine ALTERSVORSORGE?
Ich sag’s gleich: Christian Huber ist gut. Aber nicht lustig. Und das ist gut so.
Auch wenn sein Bastian, den er zum alljährlichen Weihnachtsfest nach Hause zu den Eltern schickt, die Wortspiele liebt, die Selbstbespaßungen, die Pointen und die Freude an deftigen Übertreibungen. Deswegen stehen ja die „7 Kilo in 3 Tagen“ im Titel. Es wird gegessen, wie man nur bei Muttern essen kann. Aber: Das ist nicht die eigentliche Geschichte.
Die steckt in Bastians besonderer Beziehung zu Fine, mit der er acht Jahre lang zusammen war. Beide hatten in Berlin versucht, die Füße auf den Boden zu bekommen. Umgezogen waren sie wegen Fine, die dort einen Job bekam. Bastian – Grafiker von Beruf – kündigte seine Festanstellung und versuchte, sich als Freischaffender zu vermarkten. Und wer das mal versucht hat, weiß, was das für ein hartes Brot ist in einem Land, wo kreative Tätigkeiten nicht viel wert sind und keiner viel Geld dafür geben möchte. So dass Bastian erlebt, was Millionen gut ausgebildeter junger Leute in diesem Land erlebt haben und erleben: Sie werden 30 und haben es noch immer nicht geschafft.
Es verblüfft eher, dass am Ende nur Bastian Bruder Niklas ein blaues Auge bekommt. Das ihm natürlich Bastian verpasst. Denn Niklas ist mit Fine da, die sich das Weihnachten zuvor von Bastian getrennt hatte. Stoff genug für Verwicklungen.
Aber auch für Zweifel, Selbstvorwürfe und Selbstbefragung. Und das kann Bastian gut. Und da zeigt Christian Huber etwas, was man in der deutschen Gegenwartsliteratur selten findet. Den „Inneren Monolog“ beherrschen zwar fast alle, die den deutschen Literaturunterricht überlebt haben – aber bei den meisten wird es ein schwermütiger Mulch. Man merkt, dass die Autoren weder zu sich noch zu ihrem literarischen Ego die notwendige Distanz haben. Sie drehen sich in melancholischen Schleifen, es wird schwermütig, regelrecht bleiern und bedrückend und am Ende ausweglos. Wer die entsprechenden Bücher liest, weiß, wie man sich schon nach wenigen Seiten fühlt: geplättet und gemulcht.
Und Huber?
Sein Held hat diese schöne, sarkastische Distanz zu sich selbst. Er nimmt sich nicht so wichtig, auch wenn er natürlich zu Weihnachten in eine Serie von Situationen gerät, die ihn innerlich Amok laufen lassen. All diese Szenen, in denen deutsche Ungemütlichkeit so richtig greifbar wird: an der Kasse im Kaufhaus im Weihnachtsgedrängel, im vollgestopften ICE, beim Treffen mit alten Freunden in der Kneipe, wo man schon das erste Mal das Gefühl hat: Der Bursche hat ein Problem. Der ist doch gar nicht bei sich. Ständig denkt er darüber nach, wie man sich in der Situation richtig verhalten soll, gar, ob es ein Regelwerk gibt, wie man sich in solchen Situationen verhält, ohne dass es peinlich ist oder dass die anderen etwas Falsches denken.
Alles Stoff für unsäglich schlimme Vorabendserien und deutsche Liebesfilme, bei denen man als Publikum aus dem Mitschämen nicht herauskommt. Aber Huber malt das nie bis zu Ende aus. Man merkt, dass ihn diese anerzogene Mühle im Kopf eigentlich nervt, dass er sich lieber lustig machen möchte darüber. Aber wie gesagt: Es ist kein lustiges Buch. Eher eines ganz dicht an der deutschen Wirklichkeit von heute. Voller Peinlichkeiten, die Huber aber allesamt in ziemlich schrägen (aber menschlichen) Pointen enden lässt. Auch die Geschichte mit Fine.
Denn dass dieser Bastian sich fühlt wie in einem Parcours, in dem er fortwährend scheint beweisen zu müssen, dass er alle Erwartungen erfüllt, hat mit diesem kleinen Aufpasser im Kopf zu tun, der so typisch deutsch ist. Diesem Anstandswauwau und Leistungsmesser, der dafür sorgt, dass sich der Held immer wieder wie neben die Handlung gesetzt fühlt, zum Beobachter gemacht, der jede Situation kritisch bewertet und ein regelrechtes Kopfkino ablaufen lässt (was Huber so richtig schön ausspielt in der Begrüßungsszene von Bastian und Fine). Und es stimmt: So sind wir. Zumindest, wenn wir noch denken und uns nicht mit Marillenschnaps zugelötet haben.
„Und irgendwie guck ich mir selber die ganze Zeit bei allem zu. Weißt du, was ich meine“, fragt er seine Lieblingscousine Carla, die selbst gerade in einer Trennungsgeschichte steckt.
„Nicht so ganz“, sagt sie.
An der Stelle fällt einem zumindest ein Stein vom Herzen, weil hier endgültig klar ist, dass Dirk von Gehlen mit seinem „lustigen Weihnachtsritual“ völlig danebenlag. Hier ist nichts lustig. Aber alles sehr lebendig. Und sehr ironisch. Aber Ironie ist nur möglich, wenn es genau diese beängstigende und schöne Distanz gibt, die Bastian benennt. Was wohl nur gelingt, wenn einer bei all den Niederschlägen im Beruf und im Leben irgendwann gelernt hat, sich so zu akzeptieren, wie er ist: unperfekt, nicht von Mammon überschüttet, ungesichert, weil ein ganzes alt gewordenes Land sich auf Kosten der Jungen zur Ruhe gesetzt hat.
Denn Bastians Geschichte ist die typische Geschichte von heute, die einer ganzen Generation, die kaum eine Wahl hat als die zwischen vollkommener Anpassung und einem (noch irgendwie selbstbestimmten) Leben in prekären Räumen – ohne gesicherte Grundlage, ohne reale Chance, eine Familie gründen und finanzieren zu können. Was einer der Konfliktpunkte war zwischen Bastian und Fine. Irgendwann schämt Mann sich einfach nur noch, wenn er das Geld nicht hat, um die simpelsten Dinge bezahlen zu können.
Das schwingt die ganze Zeit mit. Samt dem schlechten Gewissen, das dieser Held immer wieder hat – selbst der unverfrorenen Seniorin im Zug gegenüber, die sich so frech benimmt, wie es eigentlich früher mal den jungen Leuten zustand. Irgendwie hat man das Gefühl: Dieses Land steht auf dem Kopf. Die jungen Leute sind ernsthaft und schlecht bezahlt, während die Alten reich sind und sich so ungeniert benehmen wie schlecht erzogene Kinder.
Nein, das ist nicht lustig. Aber sehr aufmerksam beobachtet – genau mit diesem ironischen Abstand, den Huber auch seinem Protagonisten zuschreibt.
Wer schon immer so ein diffuses Unbehagen hatte, wenn es zum weihnachtlichen Besuch bei den Eltern ging, der dürfte sich hier wiedererkennen. Vielleicht in Bastian, vielleicht in Fine. Vielleicht auch in Karina. Geht ja nicht ohne kleinen Lichtblick in diesen Zeiten. Ohne die kleinen Twitterbotschaften, die einem wie Strohhalme vorkommen: Eigentlich bist du lebendig. Das finde ich toll. Das schreibt Karina zwar nicht so. Aber es klingt danach.
Christian Pokerbeats Huber 7 Kilo in 3 Tagen, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2017, 9,99 Euro.
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