In Mecklenburg waren wir schon, in Berlin und in Thüringen. In diesem Buch nun nimmt Regina Röhner die LeserInnen mit in den Harz. In die Küche, in der sie aufgewachsen ist. Und in die Landschaft, in der sie immer wieder Kraft tankt. Das kann man da nämlich noch. Zumindest wenn man beim Wandern sein nerviges Taschentelefon ausschaltet.
Es ist tatsächlich so: Man kommt in eine mehrfach andere Welt, wenn man sich darauf einlässt. Eine, die eigentlich keine Notwendigkeit hat, dass man den lieben langen Tag auf den Bildschirm in seiner Hand starrt, weil man glaubt, irgendetwas Wichtiges in der Welt zu verpassen. Aus das Ding, ab ins Rucksackschließfach. Und dann erst einmal Dehn- und Streckübungen. Wenn Leipziger irgendwo am Harz aus dem Zug steigen (ja, man kommt mit dem Zug hin, man braucht kein Auto), dann sollte nach dem Verschließen des Quälteils der erste Akt sein, 20, 30 Zentimeter größer zu werden – also aus dieser jämmerlichen Duck-dich-Haltung rauszukommen, in der die Leipziger ihrem elektronischen Mini-Gott dienen: Der Blick hebt sich von unten nach oben. Man sieht: Bäume, Felsklamotten, Himmel und bergansteigende Straßen.
Und in der Regel auch die ersten Hexen, Zwerge, Riesen oder Waldmänner, je nachdem, auf welche Sagengestalt sich der jeweilige Ankunftsort spezialisiert hat. Hier macht man mit den alten Sagen noch Werbung. Man kann den mit Ross springenden Prinzessinnen, den wilden Jägern und Berggeistern gar nicht entkommen.
Was aber seinerzeit auch Goethe und Heine nicht störte. Deswegen darf man ruhig auch auf die Schilder achten: „Goethe war hier.“
Solche Schilder hat Heine zwar nicht bekommen, dafür kann man auf dem Heinrich-Heine-Weg hinauf auf den Brocken kraxeln. Das dürfte dem ungeübten Flachländer schon ein wenig den Atem nehmen. Aber wer Heines „Harzreise“ im Kopf hat, dem ist das eh egal. Denn Heine hat ja bekanntlich eine andere Harz-Welt geschildert als Goethe.
Aber – und darauf achtet man ja beim Lesen der Klassiker meist nicht: Heine hat gern und herzhaft erwähnt, was er unterwegs zu essen bekam. Goethe leider nicht. Deshalb gibt es auch ein paar Rezepte im Buch mit Gerichten, die auch Heinrich Heine 1824 bei seiner Harzwanderung verspeiste – die „Petersiliensuppe – wie sie schon Heinrich Heine genoss“ zum Beispiel und den „Kalbsbraten – für Heinrich Heine“.
Auch für den „veilchenblauen Kohl“ findet man Entsprechungen. Bei den Bücklingen wird es schon schwieriger.
Aber was natürlich sofort auffällt: Die Harz-Küche ist sehr deftig, sehr fleisch- und kalorienreich. Was vor allem mit den Berufen zu tun hat, die hier jahrhundertelang gepflegt wurden – fast alle sehr anstrengend und kräftezehrend, egal, ob es den Köhler betrifft, den Bergmann, den Rinderhirten, Holzfäller oder Bauern. Womit man schon beim rotbraunen Höhenvieh wäre, das heute wieder emsig nachgezüchtet wird. Es stand schon kurz vorm Verschwinden, weil die weiß-schwarzen Leistungsrinder auch hier zur muhenden Konkurrenz wurden. Ähnliches gilt bei den Ziegen, den „Kühen des kleinen Mannes“. Was im Harz bis heute stimmt. Und Teil der Legende um den berühmten Harzer Käse ist.
Natürlich verzichtet Regina Röhner nicht darauf, über all die Dinge zwischendurch zu erzählen, damit die Leser die Rezepte einordnen können. Auch landschaftlich. Denn der Harz war immer Grenzgebiet. Hier trafen sich die Einflüsse aus allen Himmelsrichtungen – aus Niedersachsen und Thüringen besonders. Das prägte Küche und Sprache. Was gerade bei den Gerichten aus der Küche der armen Leute noch hörbar ist – bei Runx Munx, Pottsuse, Hackus und Kniester, die Schiebensuppe nicht zu vergessen. Alles Gerichte mit zumeist sehr experimenteller Tradition, die heute freilich auf den Speisekarten der gehobeneren Gastronomie stehen.
Man darf auch Regina Röhners kleine Hinweise nicht überlesen, dass man im Buch auch vielen heutigen Weiterentwicklungen begegnet. Denn natürlich muss heute niemand mehr so dürftig kochen, wie das in Harzer Katen für das gemeine Volk lange normal war. Man kann heute durchaus auf Zutaten zurückgreifen, die damals natürlich nicht dazugehörten – wie Kartoffeln und Tomaten. Viele Rezepte sind mit dem Wissen der modernen Köchin vorsichtig verfeinert und ins Heute geholt worden. Manche stammen auch aus der moderneren Selbstvermarktung der Harzer – etwa der „Hexentanzplatztoast“ (ohne Krötenbein und Fledermausohren).
Trotzdem sind die Tugenden der tradierten Küche bewahrt, erfährt man, welche innige Beziehungen die Harzer zu Erbsen und Zwergen und einem deftigen Erbseneintopf hatten, warum vor allem Kalb und Ziege an den drei Fleischtagen in der Woche auf den Tisch kamen – und eben keine Hirsche, Wildschweine und Rehe. Denn das war Herrschaftsbraten, den das Volk gar nicht jagen durfte – aber dennoch gern jagte, wenn es der Jägermeister nicht merkte. Deswegen stehen ab und zu auch mal ein paar Wilddiebsgedächtnissteine im Wald. Und das Wild gibt es heute auch fürs Volk.
Wobei durchaus empfehlenswert ist, sich auch für den Kalbsbraten zu interessieren, den veilchenblauen Rotkohl und die deftigen Bratkartoffeln. Aber erst nach ein paar Kilometerchen durch Berg und Tal und Wald, sonst kommt man genudelt wieder zurück aus der Spritztour und muss sich das alles auf Leipziger Plattwegen wieder ablaufen.
Regina Röhner Die besten Rezepte aus dem Harz, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2017, 9,95 Euro.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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“Wenn Leipziger irgendwo am Harz aus dem Zug steigen (ja, man kommt mit dem Zug hin, man braucht kein Auto)”
Und für Menschen wie mich, die 5 Stunden über Land(^^) brauchen, um da hinzukommen – oder auch für alle anderen, man kann da auch super einfach nur essen -, gibt es da dieses wunderschöne Klosterhotel, in dem man von unglaublich lieblen Menschen betreut wird. Von da hüpft man quasi nur über die Straße direkt in den Wald (was ich hoffentlich nächstes Jahr wieder tun werde).
https://www.klosterhotel-walkenried.com/