Für FreikäuferLeipzig ist eine Stadt im Übergang. Wie jede andere Stadt. Aber spürbarer ist das, als das etwa in Düsseldorf oder Braunschweig der Fall wäre. Denn der Bruch von 1989/1990 steckt noch in den Köpfen. Er ist die große Zäsur, die alles, was vor der „Wende“ passierte, zu Geschichte macht. Und alles danach fast unsichtbar. Das geht selbst den beiden Krimi-Autorinnen Ethel Scheffler und Sylke Tannhäuser so.
Und was Geschichte geworden ist, erzählt man natürlich mit einer gewissen Begeisterung. So nach dem Motto: „Kannst du dir nicht vorstellen …“ Kann man auch nicht. Die DDR, egal wie herum man sie betrachtet, wird sich sehr sonderbar ausnehmen in künftigen deutschen Geschichtsbetrachtungen. Ein sonderbares Ländchen mit sonderbaren Regeln und noch viel sonderbareren BewohnerInnen, die aus dem Umgang mit diesen Regeln einen Jux gemacht haben. Denn das war für die Liebhaber der regionalen Bücher aus dem Wartberg Verlag schon immer das eigentlich Interessante: All diese Eulenspiegelgeschichten aus dem real existierenden Alltag eines Landes, das immer etwas anderes sein wollte, als es wirklich war.
Auch in Sachen Kriminalität. So unlieb es den siegreichen Kommunisten war: Die Kriminalität verschwand nicht einfach. Egal, wie sehr man Polizei und Geheimdienst stärkte. Die Diebe wurden vielleicht weniger – aber geklaut wurde dennoch, was nicht niet- und nagelfest war. Mörder trieben ihr Unwesen und die Polizei hatte ihre arge Not, das unter der Decke zu halten. Denn solche Schlagzeilen waren unerwünscht. Dass ein Kriminalfall wie der Koffermord in Großzschocher überhaupt in die Zeitung kam, hat mit der verzweifelten Suche nach dem Täter zu tun. Da war die Mithilfe der Bevölkerung dringend gefragt.
Manch ein Kriminalfall, der in dieses Büchlein über das dunkle Leipzig gefunden hat, gehört heute zum Schatz der Stadterinnerung. Und das Gruseln ist ja stets auch mit einem gewissen Stolz vermischt. Was ist eine ordentliche Großstadt ohne ordentliche Verbrecher, die überregional auch mal für Schlagzeilen sorgen?
Was freilich bis 1989 kaum möglich war. Das lüsterne Grauen ist also gewissermaßen ein verspätetes und hiesiges. Während die schlimmeren Verbrechen der Zeit danach ihr Plätzchen noch nicht in dieser Erinnerungslandschaft gefunden haben. Sie fehlen also.
Aber das Bändchen soll ja die Leserinnen und Leser auch nicht erschrecken, sondern eher einladen, die Stadt auch mal ein wenig anders zu betrachten und zu besuchen. So wie in Sylke Tannhäusers „Mondscheintour“ – scheinbar auf blutigen Pfaden, und doch eigentlich eher auf den Wegen der Liebe. Man muss es halt nur ein bisschen spannender machen. Zu entdecken gibt es genug. Und zu den Entdeckungen gehören natürlich die Orte des Grauens, die man ja tatsächlich besuchen kann – wie die Hinrichtungsstätte in der Kästnerstraße oder den Hinrichtungsplatz des Woyzeck.
Und nicht vergessen ist, dass auch der fortgewehte Staat nicht so ganz koscher war, wenn es um Dinge wie Prostitution zu Messezeiten ging. Es ist immer so ein „Das glaubst du nicht“-Moment dabei, wenn LeipzigerInnen sich erinnern, an Schwarzmarkt und Schwarztaxis zum Beispiel. Die restriktive Wirtschaftspolitik zwang die Menschen geradezu dazu, findig zu sein und ein klein bisschen kriminell zu werden. Auch wenn sie das nicht so empfanden, weil man anders an begehrte Produkte aus dem „konsument“ oder dem Fahrzeughandel IFA (Trabis zum Beispiel) nicht zu menschlichen Zeiten kam.
Und mit braver Arbeit kam man schon gar nicht zu Geld. So blühte dann selbst in Parks das Glücksspiel, das es natürlich in der DDR nicht gab. Das Land ist ganz unübersehbar auch an seiner Realitätsverweigerung gestorben. Übrig blieb eine Menge Strandgut, das scheinbar niemandem gehörte, mit dem aber erstaunlicherweise einige Leute aus westlichen Gefilden einen goldenen Reibach gemacht haben – beispielhaft im Buch mit dem Schicksal des „Astoria“ und dem Kurzauftritt des Immobilien-Löwen Schneider beschrieben.
Es ist also ein etwas anderes Gruseln, so ein fröhlich hintersinniges, mit dem hier zwei Leipzigerinnen sich die etwas dunkle Vergangenheit erzählen, da und dort etwas phantasievoll ausgeschmückt, so dass es auch ein paar kleine Kriminalgeschichten zwischendurch gibt. Aber für Besucher dieser hübsch renovierten Stadt ist das Buch so eine Art Begleiter in Nischen und Ecken, in denen es noch ein bisschen nach Bohnerwachs und Plakatfarbe riecht, ein bisschen so aussieht wie damals, als sich erwachsene Menschen wie Kinder benahmen in ihrem Alltag und die alten Herren im Politbüro nicht mehr für voll nahmen, sich dafür aber gern mächtig heemdiggsch gaben, weil die Berliner die Sachsen sowieso nicht mochten. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Große Klappe hatten immer die anderen. In Leipzig war man fleißig und helle. Und wenn man über die Bonzen fluchte, tat man’s auf Sächsisch. Das verstanden die eh nicht, diese Luhmiche und Haderlumbn.
Ich schreib das mal mit weichem b, auch wenn es im kleinen Register „Leipziger Rotwelsch“ mit p geschrieben wird. Wer sich umhört, merkt noch heute, dass die Leipziger das Fluchen nicht verlernt haben. Ist zwar alles etwas heller geworden und schöner und zeigenswerter. Aber behummsd wird man noch immer. Und die alte Frage steht natürlich: Wer wen? Und wer landet am Ende frühzeitig auf Leipzigs Südfriedhof? Und aus welchem Botanischen Garten stammt das Kraut, das das bewirkte?
Man wird vorsichtiger mit diesen Leipzigern. Sie haben wohl doch so eine Seite, wo sie miteinander moscheln und glauben, sie könnten einen vorgaggeiern. (Schreib ich auch lieber mit gg, denn gerade da, wo sie richtig heemdiggsch werden, werden die Leipziger auch ganz weich in der Aussprache. Und dann – siehe oben – behummsn sie einen.
Ethel Scheffler; Sylke Tannhäuser Dunkle Geschichten aus Leipzig, Wartberg Verlag, Gudensberg-Gleichen 2017, 11,90 Euro.
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