Für FreikäuferMöglicherweise ärgert sich Henning Gans in ein paar Jahren darüber, dass er so viel Politik in sein Buch hineingepackt hat. Politik ist schnelllebig, verstellt den Blick und erweist sich – in historischer Distanz – meist als Seitengeplänkel. Auch wenn das Objekt, über das der Leipziger Historiker schreibt, das Schloss und Rittergut Sahlis ist. Und auch wenn Halikarnassos auf dem Umschlag steht.

Halikarnossos ist kaum jemandem ein Begriff, der sich nicht ein bisschen mit antiker Geschichte beschäftigt hat. Dort herrschte im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ein gewisser Maussolos als Tyrann, den auch kein Schwein kennen würde, wenn er nicht (wie alle Tyrannen) größenwahnsinnig und ruhmsüchtig gewesen wäre: Er ließ sich noch zu Lebzeiten ein riesiges Grabmal mitten in der Stadt errichten, das alles überragte und in dem er sich auch bestatten ließ. Das Ding wurde legendär: Es ist das berühmte Mausoleum.

Das freilich auch nur deshalb berühmt wurde, weil es von den antiken Reiseführern unter die „Sieben Weltwunder“ eingereiht wurde. Wer damals als Tourist unterwegs war, musste diese größenwahnsinnige Grabanlage unbedingt gesehen haben – so wie die Zeusstatue in Olympia und den Koloss von Rhodos. Heute findet man nur noch kärgliche Reste der Grabkammer, wenn man mal zufällig im türkischen Bodrum die Ausgrabungsstätte des Mausoleums besucht.

In römischer Zeit wurde die Bauweise dieses Grabmals Vorbild für alle möglichen anderen Grabmäler und auch für das, was der Untertitel des Buches als Kenotaph bezeichnet: Das ist eine künstliche Grabanlage, die an geliebte Tote erinnert, die freilich hier nicht begraben sind. Was in Rom recht typisch war. Denn bei all den Schlachten, die die Römer jenseits der Meere schlugen, kamen des Öfteren mal auch die Helden aus gutem Hause nicht wieder zurück nach Rom. Ihnen wurden dann zum Gedächtnis prächtige Kenotaphe errichtet.

Und so ein Gedächtnisort nahe dem Schloss Sahlis auf dem Totenberg war für Henning Gans Aufhänger für sein Buch, das tatsächlich weit darüber hinausgeht. Denn das künstliche Grabmal, dass der einstige Schlossbesitzer Hans Löser für seine beiden verstorbenen Frauen und seine vielen meist früh verstorbenen Kinder anlegen ließ, ist verschüttet. Das haben schon die Nachbesitzer des Gutes getan, denn mit der Grabanlage, verbunden mit den vorherigen Investitionen in Schloss und Park, hatte sich Löser völlig überschuldet.

Irgendwo unter der großen Erdaufschüttung und der fast 300-jährigen Eiche darauf liegen noch die Reste der künstlichen Grabanlage. Ein Fall für die Archäologie, stellt Gans fest, der selbst Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Kunstgeschichte studiert hat und der sichtlich seine Bauchschmerzen hat, wenn es um den Umgang der Stadt Kohren-Sahlis mit dem Schloss Sahlis geht. Denn das Schloss könnte durchaus ein weiterer touristischer Anziehungspunkt für das Städtchen sein, wenn man sich denn nicht nur auf die alte Töpferkunst und die Burgruine Kohren beschränken wollte. Aber so recht hat sich dafür jahrzehntelang niemand interessiert.

Was auch mit dem Nicht-Wissen um die eigene sächsische Geschichte zu tun hat, zu der auch die großen Adelsgeschlechter gehören – wie die Einsiedel und die von Rehfeld. Sahlis gehörte mal den reichen Einsiedels, bevor es – in finanziell klammen Zeiten – 1602 von Wolf Löser gekauft wurde. Löser klingt nach einem bürgerlichen Adelstitel, ist aber keiner, sondern der angenommene neue Name der alten Familie von Rehfeld, die damit ihre tiefe Gläubigkeit ausdrücken wollte und sich nach dem (Er)Löser umbenannte. Deswegen kommt auch das Schaf im Wappen vor.

Also muss Gans natürlich auch die Geschichte der Löser auf Sahlis erzählen und ganz speziell die Geschichte von Hans Löser und seinen beiden jung verstorbenen Frauen, deren Porträtbüsten man in der Kohrener Pfarrkirche finden kann. Und auch die Geschichte des Lusthauses im Garten hinter dem Schloss muss erzählt werden, denn das erzählt mit seiner reichen Saaldecke einerseits von den (vergangenen) Freuden der Liebe (mit Bezug auf Ovid), aber auch von Hans Lösers Trauerblick auf den Totenberg.

Und da kommt natürlich der Ärger des Archäologen durch, wenn ihm der gegenwärtige Besitzer des Lusthauses keinen Blick in den Innenraum gestattet. Beim Schloss ist es etwas anders: Das steht derzeit leer, nachdem der Vorbesitzer hier die Segel streichen musste. Das ist der Teil im Buch, in dem es politisch wird und Gans versucht, die Motive der Handelnden irgendwie zu sortieren – seien es die des zeitweiligen Besitzers Karl-Heinz Hoffmann, der in jüngeren Jahren mit der rechtsextremen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ für Schlagzeilen sorgte, seien es die von Jutta Ditfurth, der einstigen Grünen-Vorsitzenden, die den Fall Hoffmann/Sahlis medial an die große Glocke hängte, seien es die der CDU-Verantwortlichen in Stadt und Land, etwa Georg-Ludwig von Breitenbuch, der in Kohren-Sahlis an alte Familientradition anknüpfte und in der Landtagsfraktion der CDU ein Schwergewicht bei Entscheidungen zu Jagd und Landwirtschaft ist, seien es die der sächsischen Linken wie Kerstin Köditz, die den Fall Hoffmann auf ihre Weise publik machte – bis hin zu der Frage, ob die sächsischen Fördergelder für die Schlossrettung überhaupt hätten fließen dürfen. Auch wenn es tatsächlich viel zu wenig war für ein solches Vorhaben.

Dass sich Jutta Ditfurth überhaupt einmischte, hat mit einem ihrer Vorfahren, dem Freiherrn Börries von Münchhausen zu tun, der im letzten Jahrhundert auf Schloss Sahlis lebte, mit spätromanischen Gedichten bekannt wurde und frühzeitig schon den Schulterschluss mit den aufkommenden Nazis suchte.

Das Schloss hat Geschichte. Und auch die Vorgeschichte der alten Gutsbesitzer war nicht unbedingt rosig. Alte Rechtsakten erzählen von ziemlich tyrannischen Gutsbesitzern. Was teilweise auch erklärt, warum das Schloss immer wieder umgebaut werden konnte und immer wieder gewaltige Geldsummen in feudales Repräsentationsbedürfnis flossen. Untertanen, die man knechtet, kosten weniger. Da bleibt was übrig für prächtige Schlösser. Unter heutigen Verhältnissen rechnet sich der millionenschwere Sanierungsaufwand nur, wenn sich jemand findet, der dem alten Kasten auch wieder belastbare neue Nutzungen verschafft. Aber der fand sich erst vor wenigen Tagen in einem Investor aus Nordrhein-Westfalen. Ob es gelingt? Wer weiß.

Womit das Buch eigentlich eher von den Problemen berichtet, die es in Sachsen mit der Vielzahl der Schlösser gibt, die einst überall im Land entstanden, nach 1945 aber oft in Verfall gerieten und heute enorme Kosten verursachen, wenn man sie erhalten will. Das Rittergut Sahlis ist ein typisches Beispiel dafür. Und tatsächlich steht es auch im Mittelpunkt dieses Essays, auch wenn die Spurensuche mit dem verschütteten Gedächtnisort auf dem „Totenberg“ beginnt. Tatsächlich merkt man schnell, dass dem Archäologen beim Besuch dieses alten Adelssitzes der Wunsch nicht fern ist, hier mal richtig groß mit Schaufel und Pinsel an die Arbeit zu gehen und ein Stück sächsischer Adels- und Regionalgeschichte auszugraben. So gesehen ähnelt Schloss Sahlis natürlich auch dem einstigen Prunkdenkmal des Königs Maussolos: Wenn der Zahn der Zeit erst mal zu nagen beginnt, bleibt irgendwann nicht mehr viel übrig von all dem Prunk.

Was eigentlich für Normalsterbliche wieder recht tröstlich ist. Zumindest, solange sie in den verfallenden Gemäuern nicht ein Stück der eigenen Geschichte entdecken. Die man schon kennen sollte, bevor man kühnen Mutes in die Zukunft eilt.

Henning Gans Halikarnassos in Sachsen?, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2017, 14,90 Euro.

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