In diesem Buch geht es um ein doofes Ding. Gar nicht mal das Ding an sich. Oma hat sich ja was gedacht dabei, als sie ihrem Lieblingsenkel eben nicht den „Karate-Mann“ oder ein anderes Spielzeug aus der Welt der gewalttätigen Filmcharaktere schenkte, sondern eher so ein Plüschding mit langen Schlumperarmen und Schlumperbeinen. Eines zum Knuddeln. Als würde sie ihren Enkel gar nicht kennen.

Aber auch wenn es manche Omas gibt, die sich mit teurem Spielzeug für die Enkel regelrecht freizukaufen versuchen. Es gibt eben auch diese liebevollen Omis noch, die sich an ihr eigenes Kindsein sehr gut erinnern und wissen, dass man zum Kindsein manchmal auch etwas anderes braucht, als all die teuren Glitzer- und Kraftprotz-Spielzeuge, die einem die Werbeindustrie jeden Tag versucht anzudrehen. Denn kaum jemand erzieht die Kinder so heftig, wie es heute Werbung und Fernsehen tun. Sie sorgen für Bild- und Identifikationswelten, die nicht nur für Eltern und Großeltern oft geradezu entsetzlich wirken.

Sie entfalten auch einen gewaltigen Druck auf die Kinder, die zumeist brutalen und verlogenen Helden unbedingt auch selbst besitzen zu müssen – als Sammelfigur, Actionfigur, teures, aber letztlich meist nutzloses Spielzeug im Regal, mit dem man zwar dieselben krachenden „Kinderfilme“ nachspielen kann. Aber dann hört es meist schon auf. Denn dass diese Figuren eigentlich keinen Charakter haben und auch nicht wirklich kindgerecht sind, das merken auch Kinder meist schnell.

Die sensiblen Kinder sorgen dann dafür, dass sich diese Art Zeug, das sich zum Spielen überhaupt nicht eignet, in Plastikschrott verwandelt. Die besten schaffen das schon am Weihnachtsabend. Und man kann sie nur ermutigen: Lasst euch nicht unterkriegen, Kinder. Gebt es diesem Müll. Und verlasst euch drauf, dass die wirklich wichtigen Dinge dann trotzdem zu euch finden.

Manchmal eben auch durch ein Ding, das Oma irgendwo bei ihren emsigen Gängen durch die nicht ganz so schreienden Geschäfte dieser Welt gefunden hat. Auf den ersten Blick ein bisschen schlaff, traurig, bereit, alles hinzunehmen. So ein Ding eben, mit dem man alles machen kann und das dann trotzdem nur traurig guckt. Gar nicht vorwurfsvoll. Manche dieser Dinger können das ja auf unvergleichliche Art.

Was natürlich einen Jungen, der einen neuen Karate-Kämpfer und Super-Helden wollte, in Rage bringen kann. Wie wird er sich mit so einem Ding abfinden, wenn Heldentum und grimmige Kampfeslust gefragt ist? Diese coole Forschheit, die besonders Helden amerikanischer Weltrettungs-Filme an den Tag legen, die nicht mal mit der Wimper zucken, wenn sie die Feinde zu hunderten umnieten …

Nicht wahr? Solche Typen stehen doch im Regal echter Jungen, oder? Und sie animieren dazu, es ganz genau so zu machen, nicht wahr?

So wie es auch der Held in dieser Geschichte von Salah Naoura macht. Denn wer kein Held ist, der ist in dieser Schwarz-Weiß-Welt „Opfer“. Das weiß jeder, der sich auf heutigen Schulhöfen schon mal umgehört hat. Denn genau das ist Leistungsgesellschaft: eine, die Jungen frühzeitig schon in Kämpfer und in Opfer teilt. Und nichts dazwischen. Obwohl alle Jungen wissen, dass sie eigentlich meistens eher dazwischen sind. Aber wer Schwäche zeigt, wird bestraft. So ticken wir doch, nicht wahr? Da müssen wir nicht nur auf die kraftprotzenden Herren in den USA oder Nordkorea schauen.

Das kriegen auch die Bürschlein in unseren Parlamenten und Ministerien fertig, solche Kraftmeier wie der Thomas, der in Deutschland den Innenminister mimt, aber augenscheinlich unter einem gewaltigen Dings-Mangel leidet. Man sieht es ihm ja an. Und man hört es, wenn er davon redet, wie er die anderen, schwächeren, die „Opfer“ zur Raison bringen will. Denn das hat ihm augenscheinlich jemand beigebracht in seiner Jugend: Dass man Schwächeren und Wehrlosen zeigen muss, wo der Hammer hängt.

So, wie der Junge in dieser von Thilo Krapp illustrierten Geschichte nun dem Ding zeigt, was er mit ihm alles machen würde, wenn er könnte. Wer in gewalttätigen Phantasiewelten aufwächst (und wer behauptet, die Fernseh- und Spielwelten der Kinder von heute seien nicht gewalttätig, der schwindelt sich selbst in die Tasche. Oder hat Tomaten auf den Augen), der traut gerade den Nicht-so-Mutigen alles zu. Sind ja keine grimmigen Helden. Da müssen sie ja …

Der Junge ist also ein ganz normaler Junge. Und seine Gewaltphantasien kommen einem ziemlich vertraut vor. Auch weil man manchmal selbst so denkt, weil man sich nicht ausklinken kann aus einer Welt, in der Männer aller Anzuggrößen in aller Öffentlichkeit ihre Gewaltphantasie ausleben. Und das für normal halten. Weil es überall so wabert und Medium um Medium so versucht, die jungen und alten Zuschauer mit Gewaltbildern vor die Glotze zu locken. Action als bare Münze.

Wenn Jungen dann so aggressiv werden, hat das solche Gründe.

Einfühlsame Omis wissen das.

Und schenken dann Dinger, wohl wissend, dass das Geschenk vielleicht auf massive Ablehnung stößt. Weil es nicht dazu passt. Weil es nicht mit Muskeln und grimmiger Miene protzt, sondern geduldig alles erträgt und hinnimmt. Und dabei auch noch ganz unangespannt schlaff ist. Wie so ein Ding eben.

Das Buch besteht – logische Folge – aus vielen Bildern, die zeigen, wohin der Junge das Ding befördern würde, wenn er könnte. Denn die meisten Gewaltphantasien (auch bei Erwachsenen) sind ja blanke Hilflosigkeit. Kraftmeiereien im Kopf, die sich dann auch mal so äußern wie auf sächsischen Straßen: Leute, die einem einzeln nie etwas zuleide tun würden, träumen von brutalen Taten – und reden und schreien auch noch davon. Statt ihr eigenes Leben ein bisschen dingsiger zu machen, wollen sie der einen und allgegenwärtigen Angela alles Mögliche zuleide tun. Aber meistens wollen sie nur eins: Weg soll sie. Auf den Mond, den Nordpol, in die Wüste. Hauptsache weg.

Denn: „So doof finde ich dich.“

So schnell passiert das, da gibt es so ein Aha-Fünkchen im Kopf. Denn diese Verhaltensweise, die so viele Kinder kennen (und manchmal überrollt sie einen ja auch einfach mit aller Wucht), wirkt sehr seltsam, aber auch sehr beängstigend, wenn sie auch Leute an den Tag legen, die man eigentlich für erwachsen gehalten hätte. Sie hatten ja 27 Jahre lang Zeit dazu.

Aber augenscheinlich hat das nicht gereicht. Sie sind immer noch sauer auf Dings. Auf „Mutti“. (Welcher Dämlack hat eigentlich mit diesem „Muddi“-Gehabe angefangen?)

Ergebnis sind lauter solche Szenen, wie sie sich in der Phantasie des kleinen Jungen abspielen. Bis hin zur Umsetzung in die Tat. Die gibt es am Ende des Buches auch noch. Aber wir verraten nicht, wie er es macht und was dabei herauskommt.

Denn das ist der zweite Teil der Geschichte, den Omi ganz bestimmt mitgedacht hat, als sie für ihren heldenbegeisterten Enkel extra ein Ding suchte, das ganz bestimmt nicht heldenhaft ist, eher zu etwas herausfordert, was viele Menschen heute für völlig überflüssig halten. Mitgefühl zum Beispiel. Oder Vertrauen. Oder einfach Da-sein-und-nicht-gewinnen-müssen. Also diese ganzen soften Eigenschaften, die auch großmäulige Christen heute für nicht mehr akzeptabel halten. Die Vertreter einer erbarmungslosen Leistungsgesellschaft sowieso nicht. Weil Menschen, die Gefühle zeigen, ja eindeutig das Leistungsethos verletzen, vielleicht gar noch Schwächere mit durchschleppen und „Leistungsverweigerer“ unterstützen wollen. Diese ganze Gefühlsduseligkeit der „Gutmenschen“.

Nicht wahr?

So wollen sie doch die Jungen erzogen haben: Kraftprotzend, leistungsbereit und ganz bestimmt nicht gefühlsduselig.

Gäbe es da nicht die Omas.

Zum Glück gibt es die Omas.

Und zum Glück gibt es die Dings. Die einem etwas beibringen, das einem die ganzen Heldengeschichten niemals beibringen. Aber was das ist, das erfährt man meist erst, wenn Oma sich einmischt und so ein Dings mitbringt. Es sei denn, die Oma kommt aus Hintersachsen. Da kann es natürlich passieren, dass sie etwas anderes mitbringt, weil sie denkt, dass die Bundesdings an allem schuld ist.

Dann sollten tapfere Enkel vielleicht daran denken, wie man die Oma … sorry: der Oma so ein Dings schenkt. Vielleicht lernt sie es dann endlich. Zeit wird’s.

Salah Naoura, Thilo Krapp Du doofes Ding, du, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2017, 14 Euro.

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