Für FreikäuferBislang ist die Leipziger Dramaturgin und Philosophin Friederike Köpf vor allem mit Arbeiten fürs Theater aufgefallen. Aber sie kann auch Geschichten erzählen. Und sie kann sich noch hineinversetzen in das Denken und Fühlen einer Neunjährigen mit dem hübschen finnischen Namen Lumi, der Lumi natürlich zur Verzweiflung bringt. Dabei ist Lumi so präsent, dass man ...
… sich eigentlich lauter Lumi-Geschichten wünscht. So wie von Pippi Langstrumpf oder Tom Sawyer, der roten Zora oder Mia. Nur ohne all die Heldentaten, die Astrid Lindgren damals noch brauchte, um die Geschichten um ein selbstständiges, selbstbewusstes Mädchen überhaupt am Kinderbuchmarkt platzieren zu können. Die freche Rothaarige hat ja inzwischen ganze Generationen von jungen Frauen geprägt, die vor allem eins aus diesen Geschichten gelernt haben: Dass man sich nicht unterkriegen lassen darf, schon gar nicht von den üblichen Geschlechtervorurteilen oder den ganzen stillen Familienerwartungen, was Mädchen nun dürfen, sollten und können.
Und was bitte alles nicht.
Aber in Lumis kleiner Familie, die nur für den Oberflächlichen ganz klassisch aussieht wie Mama, Papa, zwei Kinder, steckt das ganze lebendige Dasein moderner junger Familien, wie sie für Leipzig längst typisch sind: Mit lebenslustigen, aber auch selbstbewussten Frauen, die sich nicht unterordnen müssen. Warum auch? Männer wie Lumis Vater wissen doch, dass sie mit solchen Frauen nicht nur Verantwortung und Sorgen abgeben können, sie bekommen auch viel mehr Frau auf einmal, nämlich eine selbstbewusste Partnerin, mit der man reden, diskutieren, Lasten teilen kann.
Was wirklich nichts mit dem westdeutschen Fernseh-Modell der „Superfrau“ zu tun hat. Wahrscheinlich trügt der Eindruck nicht, dass das moderne Familienbild gerade im Osten lebendig ist, vielleicht besonders in Städten wie Leipzig und Berlin. Und wenn Partnerschaften derart gleichberechtigt sind, dann verändern sich auch die Beziehungen zu den Kindern, die dann ebenso wenig in alte Rollenbilder gepresst werden, sondern schon früh als ernsthafte und ernst zu nehmende Menschen respektiert und akzeptiert werden. Weshalb man auch die großen, schweren Themen des Lebens nicht mehr vor ihnen verstecken muss.
Im Gegenteil: Man begegnet ihnen ja sowieso irgendwann. Man kann ihnen nicht weglaufen, auch wenn das augenscheinlich Millionen alter, vergrätzter und vergrämter Menschen tun. Die die Angst vor ihren eigenen Gefühlen in Hass auf andere verkleiden.
Dabei ist das gar kein politisches Buch. Sondern ein zutiefst menschliches, indem es natürlich auch um eine Frage geht, die wir so gern vor uns selbst verstecken: die Endlichkeit unseres Lebens. Und des Lebens der Menschen, die wir lieben. Wobei Lumis Oma ein besonderes Kaliber ist, weil sie in ihrem hohen Alter auch noch unter Demenz leidet, was ja bekanntlich die Vergangenheit und die Gegenwart ein bisschen durcheinanderbringt. Die Vergangenheit ist im Langzeitgedächtnis gut gespeichert, so dass Lumi die Chance hat, ihre Oma über deren Erinnerungen an Kindheit und erste Liebe richtig kennenzulernen und ein inniges Verhältnis zu ihr aufzubauen. Nur das Kurzzeitgedächtnis stottert, so dass Oma oft nicht mehr mitkriegt, was gerade um sie herum geschieht, und dann auch durchaus sehr mürrisch reagieren kann. Was anfangs Lumis Verhältnis zu Oma, die im Haus nun als neue Mitbewohnerin auftaucht, nachdem ihr Mann gestorben ist, zu belasten droht.
Aber da ist man wieder beim Charakter dieses Mädchens, das früh gelernt hat, dass man Dinge nicht auf sich beruhen lassen muss, dass Nachfragen und Neugier meist die besten Mittel sind, komplizierte Zustände aufzudröseln. Wer mehr weiß über die Dinge, kann anders damit umgehen.
Was in ihrer kleinen Familie normal ist. Wo es augenscheinlich auch keine lange Diskussion gibt, die Oma mit ins Haus zu nehmen und sie für ihre letzten Lebenstage eben nicht in ein Pflegeheim abzuschieben. Was Lumi die Chance verschafft, nicht nur ihre Oma richtig kennenzulernen, sondern auch über all die Fragen nachzudenken, die hinter der Endlichkeit unseres Lebens lauern. Denn am Ende steht ganz bestimmt die Frage, ob es ein erfülltes und reiches Leben war, das wir gelebt haben. Ob man – wie Lumis Oma – beruhigt mit einem „Dann mach’s gut“ gehen kann oder ob wir deprimiert dem Ende einer völlig ungenügenden Geschichte entgegentaumeln und das Gefühl hatten, dass wir die Chance nicht genutzt haben.
Denn das steckt ja in dieser Endlichkeit: Wir haben nur eine Chance. Ein kleines Stück Zeit, das wir nutzen können, um richtig Mensch zu sein und die Freuden des Menschseins zu erleben. Offenen Auges und voller Neugier – so wie Lumi und wohl auch ihre Oma in deren Jugend.
Was eben auch ein unverkrampfteres Umgehen miteinander mit sich bringt. Deswegen ist Lumis Erzählung so herzerfrischend und humorvoll. So unbelastet kann Kindsein sein. Und Erwachsensein auch.
Und jetzt habe ich mir eindeutig eine Schokotafel XXL verdient. Auf schwere Fragen braucht man manchmal XXL-Antworten.
Friederike Köpf Baby Oma, illustriert von Anne-Kathrin Behl, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2017, 13 Euro.
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