Fรผr FreikรคuferIn Sachsen-Anhalt waren Ilona und Peter Traub schon unterwegs, um magische Orte zu finden. Was dort eigentlich nicht schwer ist. Eher findet man mehr magische Orte, als in ein Buch passen. Deswegen war da schon klar: Dem Buch muss eine Fortsetzung folgen. Die ist nun da โ aber als Ausflug in sรคchsische Gefilde. In ein Bundesland also, das gar nicht so magisch ist wie das hexenreiche Nachbarland.
Aber eigentlich geht es gar nicht so sehr um Teufelssteine, Hรผhnengrรคber, Rosstrappen, verzauberte Prinzessinnen und alte Dolmen und Menhire. Auch wenn einiges davon auch in sรคchsischen Landschaften vorkommt. Es geht den beiden Leipzigern, die mit Kamera und Stift losziehen, um das Land zu erkunden, um etwas, was wir bei unseren Reisen in die Welt fast vergessen haben. Denn wir sind blind geworden bei unseren Jagden nach Sensationen, Highlights und anderem Quatsch aus den Werbebroschรผren des Tourismus-Marketings. Weil wir so auf die โHรถhepunkteโ fixiert sind, haben wir das Sehen verlernt. Das Fรผhlen sowieso.
Selbst wenn die meisten von uns im Land unterwegs sind, dann geht es fast ausschlieรlich um Zielerreichung, abgehakte โSehenswรผrdigkeitenโ (Sie schreien bei dem Wort nicht? Ist ja seltsam โฆ), abgespulte Lauf-, Rad- oder Wanderkilometer. Echte Power-Programme eben. Urlaub als Fitness-Event und Leistungsnachweis.
Deswegen machen einige Orte in Sachsen auch keinen Spaร mehr. Weil man dort nur noch solchen รผberdrehten Menschen begegnet.
Deswegen werden diese Orte in diesem Band auch alle gemieden. Was der Leipziger schon merkt, wenn die Leipziger Ziele benannt, beschrieben und bebildert werden: der Auenwald, der Cospudener See, Machern, Pรผchau โฆ So geht das los. Es sind Orte, die dann, wenn die anderen alle noch nicht mit ihren windschnittigen Rennrรคdern unterwegs sind, Ruhe ausstrahlen, einladen zum Riechen und Schauen. Deswegen gibt es auch Bilder und Beschreibungen zu besonderen Pflanzen und Tieren, die man sehen kann, wenn man innehรคlt. Und sich einlรคsst auf den Ort. Denn das ist die eigentliche Magie: Unsere Begegnung mit dem realen Leben da drauรen, das keinem Tagesablauf genรผgen muss.
Und wenn man erst einmal so schaut, bemerkt man natรผrlich zuerst die groรen, eindrucksvollen Parks im Land, die sonst meist nicht auftauchen in den รผblichen Reisefรผhrern fรผr Eilige. Einige Orte mรผssen natรผrlich zwingend vorkommen, weil sie unรผbersehbar fรผr diese Begegnung mit der lebendigen Natur stehen โ der Fรผrst-Pรผckler-Park in Bad Muskau genauso wie das Elbtal bei Meiรen und die Sรคchsische Schweiz.
Aber wer war schon einmal bei den Felsendomen bei der Burg Rabenstein oder im Dubringer Moor, am Kleinen Kranichsee oder auf dem Collm (zu dem die Leipziger frรผher noch pilgerten, als die Hauptbewegungsart das Wandern war)?
Und die beiden Welterkunder lassen immer wieder durchblicken, dass sie mit Schusters Rappen oder mit der Kleinbahn unterwegs sind. Und die Dรถllnitztalbahn ist nicht die einzige, die sie nutzten, um in bergigere Landschaften zu kommen. Manchmal hรคngen uralte Erinnerungen an einem Ort, auch wenn man vorher noch niemals da war โ am Oybin zum Beispiel, dem Burg- und Klosterberg, der uns aus stimmungsvollen Bildern der Romantiker bekannt ist.
Natรผrlich gibt es รผberall Sagen, die es zu erzรคhlen gรคbe โ von Bergwerksgeistern und Zwergen, Teufeln und einem gewissen Krabat. Aber eigentlich spielen sie auf den Touren keine groรe Rolle. Sie bestimmen auch nicht den Blick auf das, was als magisch empfunden wird. Selbst der Pillnitzer Schlosspark kann als magisch erlebt werden โ wenn man ihn mit dem neugierigen Blick des Wanderers betritt und vor allem die Schรถnheiten erkundet, nicht nur die Panorama-Schรถnheiten, sondern auch die Details, von denen viele als Foto ins Buch gefunden haben: eindrucksvolle (zuweilen auch tausendjรคhrige) Bรคume, Klosterruinen, alte Gassen, Sumpfgrรคser. Das auch. Man hat fast das Gefรผhl, die beiden waren nach ihren Ausflรผgen regelrecht entsetzt, weil sie zwar tausende Detailfotos mitgebracht hatten, aber das groรe Postkartenmotiv fehlte. Das man in jedem Reisefรผhrer sieht. Die Ausflugsziele haben ja alle ihre berรผhmte Schokoladenseite.
Aber eigentlich โ braucht man die nicht. Ist eine Schwarze Kรผche nicht poetischer? Oder ein Lichtgefunkel in einem alten Stollen? Vor Abstiegen in die beeindruckende sรคchsische Unterwelt haben sich die beiden so wenig gefรผrchtet wie vor dem Aufstieg auf bizarre Felsformationen, zu denen sie dann eben nicht die zugehรถrige Sage erzรคhlen, sondern die vulkanische Entstehungsgeschichte. Denn Sachsen ist vulkanisches Land. Und ehemaliger Meeresgrund. Und wer die Schรถnheit der Felsgesteine genauer betrachtet, der merkt, dass selbst die Wissenschaft voller Poesie und Schรถnheit ist. Die es zu entdecken gilt.
Sachsen ist โ im mรคrchenhaften Sinn โ รผberhaupt nicht magisch. Es ist ein praktisches Land. Und ein groรer Teil seiner Magie besteht aus alten Bergwerken, Steinbrรผchen und Eisenbahnviadukten. Zwischendrin all die Prunkbauten des berรผhmtesten aller sรคchsischen Kรถnige, der dem Land lauter Kleinode hinterlassen hat, die so herrlich nutzlos sind, dass man sie trotzdem mit diesem wohligen Gefรผhl betritt, das man beim Betreten eines Sรผรwaren-Ladens hat. Das ist dann die Magie von Rosarot, von Wasserspielen und kichernden Hofdamen in bauschigen bunten Kleidern: โAber nicht doch, Herr August! Sie sind ja heute wieder so neckisch!โ
354 Kinder soll er gezeugt haben, der Schelm. Was man so alles erfรคhrt. Ist das noch Magie? Oder doch eher unnรผtzes Wissen, wenn man durch faszinierende Parklandschaften wandert, die gerade dann, wenn die รผblichen Touristen noch nicht unterwegs sind, besonders magisch sind, weil: verlassen. Frรผhmorgens zum Beispiel, wenn man mit der Morgensonne allein ist. Und mit sich selbst. Es gibt viele Frรผhmorgens-Bilder in diesem Band. Und viele โverlassene Orteโ (mit denen sich Peter Traub auch auskennt). Denn wenn der Mensch fort ist, dann entfalten die Orte erst ihre ganze Schรถnheit. Dann schmeiรt niemand seinen Becher in die Landschaft, hรถrt das Schnattern auf, gibt es nicht die Dauerberieselung aus mitgeschleppten Radios. Dann hรถrt man, wenn man einfach mal ein Weilchen stille steht, auch wieder Wald und Wiese und Wind.
Was Groรstรคdter schon kaum mehr kennen. Genauso wenig wie das Gefรผhl, dass man nicht rennen und eilen muss, um auf den Berg zu kommen. Denn schon die Umschlagfotos zeigen es: Das Abenteuer findet schon unterwegs statt. Hinter jeder Wegbiegung lauert es. Und minutengenau geben die beiden an, wo sie gelaufen sind โ auf dem Poetenweg in Kohren-Salis zum Beispiel oder auf dem Rundweg um den ganzen Kรถnigsstein โ fรผr sie der schรถnste Spazierweg ganz Sachsens. Denn hier hat man Aussicht รผber Aussicht. Dafรผr lohnt sich auch die Fuรwanderung auf das Hรถchste, was Sachsen an Bergen zu bieten hat โ vom Bergfried der Burg Gnandstein bis zum Fichtelberg.
Am Ende ist man nicht mehr traurig, dass man keine Riesen getroffen hat, die mit Steinen in die Landschaft schmeiรen, und auch keine Bodos, die mit dem Pferd รผber Schluchten springen. Die beiden Leipziger haben eine andere Magie gesucht und auch gefunden. Und wer weiร, was alles aus ihrer Auswahl geflogen ist, weil die Orte zwar schรถn waren, aber ringsum die รผblichen Erlebniswanderer lรคrmten und jeden magischen Moment zerstรถrten.
Es ist also nicht der รผbliche Reisefรผhrer zu โden sรคchsischen Sehenswรผrdigkeitenโ, sondern eine Einladung fรผr alle, die sich mal wieder Zeit fรผr das Magische nehmen wollen. Diese hรผbschen Momente, wenn man in aller Stille rรผber nach Bรถhmen schaut und dabei sich selber schniefen hรถrt, obwohl man kaum atmet vor lauter Schauen.
Peter Traub; Ilona Traub Magische Orte in Mitteldeutschland II, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2017, 12,95 Euro.
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