Für Freikäufer Heimlich pirscht es sich heran – das Jahr 2018. Die Mahnung taucht als Kalender auf: Ritschratsch, in vier Monaten geht das alte Jahr zu Ende. Und nun? Nun hält man Ausschau nach den Bildern, die einen im nächsten Jahr begleiten können, monatsweise an der Wand über dem Schreibtisch. In diesem Fall: Leipzig, so, wie es sich von seiner Postkartenseite zeigt.

Denn für diese Seite der Stadt haben Birgit und Jürgen Röhling einen Blick. Das, was sich Hobbyfotografen immer wünschen – und dann doch nicht hinbekommen. Mal reicht die Kameratechnik nicht für die beeindruckenden Lichtverhältnisse – etwa in Leipzigs berühmten Kirchen – mal ist das Wetter das falsche und der Himmel trüb und grau. Mal ist der Lichteinfall falsch, stehen die besten Objekte im Gegenlicht oder gar im Schatten. Und der Zufall arrangiert die Dinge selten so, dass es passt, dass sich ein Stück Stadt wie in eine gut beleuchtete Bühne verwandelt, auf der das, was so bekannt an ihr ist, auch so aussieht, dass der Blick verweilt. Aber gute Kalenderfotos sind so: Zum Verweilen einladend.

Sie zeigen auch und gerade die stillen, gut durchleuchteten Seiten der Stadt. Und man muss sich schon ein Weilchen besinnen, um aus den Fotos fürs Jahr 2018 aufzutauchen und sich bewusst zu werden, dass eigentlich kaum einer der abgebildeten Orte nicht von Verkehr umtost ist und eigentlich eher laut als idyllisch. Auch das steckt ein wenig im Bild, das Leipzig von sich gibt. Es vermittelt Ruhe, wo keine Ruhe ist, entspannte Erwartung, wo eher stete Geschäftigkeit zuhause ist.

Dafür gibt’s Schnee nur im Januar-Bild mit dem Neuen Rathaus, hingegen dramatisch große Sommerhimmel im Juli (wenn das Gewandhaus sich präsentiert) und im Oktober, wenn das Bundesverwaltungsgericht Richtung Süden davonzuschwimmen scheint. Ruhigere Orte gibt es natürlich auch. Sie haben längst ihr Plätzchen in den Herzen der Leipziger – so wie die Trauerweiden mit der Philippuskirche am Karl-Heine-Kanal (Juni) oder der Auensee bei Windstille, wenn sich (wie im März) das Haus Auensee im Wasser spiegelt. Wie kommt man zu solchen Bildern?

Nur mit Geduld und mit einem Gefühl für den richtigen Tag und das richtige Wetter. Da kann man sich die beiden Fotografen schon vorstellen, wie sie den griffbereiten Rucksack mit der Fotoausrüstung schnappen und losziehen, um Bilder einzufangen, die man im Sax Verlag sowieso in Mengen braucht. Man produziert ja auch große Titel zur Landschaft und zur heimischen Geografie, große Bildbände, die dadurch beeindrucken, dass alle Bilder gut inszenierte Naturaufnahmen sind. Oder eben Stadtlandschaften wie hier, die sichtbar machen, wie Architekten mit ihren Bauwerken ein Stück Straße oder Platz ganz bewusst inszenierten – wie beim Roßbachhaus im Musikviertel (August) oder dem einstigen Reichsbankgebäude an der Schillerstraße, in dem heute die Musikschule „Johann Sebastian Bach“ zu Hause ist (Mai).

Und manchmal gibt es auch einen dieser eindrucksvollen Tage, an denen der Morgennebel über den Frankfurter Wiesen hängt und das Zentralstadion seine Fühler aus dem blauen Dunst ins gelbe Morgenlicht reckt. Denn es steht ja auf den einstigen Frankfurter Wiesen, an die sich kaum noch einer erinnert. Außer die Kenner der Stadtgeschichte, die wissen, wie sehr sich ein städtischer Raum binnen eines Jahrhunderts verändern kann. Wie sich auch die Rauminszenierungen verändern. Für die Inhaber des Kalenders gibt es die kleinen Texte zur Geschichte der abgebildeten Orte auf der Rückseite noch einmal extra. Ganz Pfiffige können sich aus der Rückseite sogar noch einen Mini-Kalender basteln.

Aber für Foto-Freunde ist der Kalender natürlich eine zwölfmonatige Einladung, die Stadt selbst zu erkunden, Ausschau zu halten nach ihren Postkarten-Momenten, die sich natürlich gerade in den stillen Morgenstunden zeigen oder im Goldglanz der Abendsonne. Was man ja vor ein paar Jahren so über Leipzig nicht hätte sagen können. Nur die Dampfwolke über Lippendorf verrät in der Ferne, dass Leipzig mal einen typischerweise grauen Himmel hatte, an Sonnentagen vielleicht mal etwas blassblau mit leichten Rußanteilen. Die Stadt hat nicht nur wieder einen blauen Himmel bekommen, sondern auch wieder erlebbare Wasserstücke und da und dort eine Atmosphäre des Innehaltens.

Auch wenn man den mit ins Bild geratenen Leipzigern meist ansieht, dass sie nur kurz mal da sind und eigentlich gleich weiter müssen. Denn ihre Geschäftigkeit wird die Stadt nie los, auch wenn sie seltsamerweise an all diesen typischen Orten kaum zu sehen ist. Vielleicht ist es das, was andere Leute an der Stadt so fasziniert: dass sie Ruhe ausstrahlt, wo andere Großstädte mit Hektik protzen. Und dass sie trotzdem emsig arbeitet und lernt und Drähte knüpft. Anderswo.

Hinter Türen mit großer Klingelanlage, die selten verrät, was die Leipziger dahinter alles anstellen. Vielleicht sitzen sie auch nur gemütlich vor ihren Kalendern und schauen sich an, wie schön ihre Stadt ist, wenn die Sonne scheint.

Kalender „Leipzig 2018“, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2017, 13,80 Euro

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