Da fehlt doch was. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, wenn man diesen liebevoll gemachten Katalog zur kleinen Sammlung von Zeichnungen des in Wurzen geborenen Künstlers Richard Püttner durchblättert. Warum sind die Wurzner auf diesen Zeichner so stolz? Na gut, er ist 1842 in Niederschmölln bei Wurzen geboren, verbrachte seine Kindheit und Jugend in der Muldestadt. Aber dann entfleuchte er.

1869 zuerst nach Leipzig, wo er mit seiner frisch angetrauten Clara in der Hohen Straße eine Wohnung fand. Und Leipzig deshalb, weil er hier seinen wichtigsten Auftraggeber hatte – schon seit 1865: die „Gartenlaube“, die berühmteste Familienzeitschrift dieser Zeit in Deutschland. Berühmt auch, weil sie die Beiträge stets reich bebilderte. Ungewöhnlich reich für die Zeit. Und ungewöhnlich qualitätvoll. Noch heute zehren viele historische Arbeiten von dem Bildmaterial in diesem Magazin.

Und das ist der Punkt, den sowohl das Vorwort als auch der beigefügte Lebenslauf nur anstubsen. Auch wenn es schön ist zu erfahren, dass Richard Püttner in den großen Stammbaum der Lichtwers gehört, einer über 500 Jahre florierenden Familie mit vielen Musik- und Kapellmeistern, Verlegern und einem berühmten Fabeldichter: Magnus Gottfried Lichtwer. In Leipziger Lexika kommt er meist nicht vor, auch wenn seine Lebensmittelpunkte Leipzig, Wittenberg und Halberstadt bildeten. Im Gleimhaus zu Halberstadt kann man sein Konterfei bewundern. Aber befreundet war er nicht mit Gleim, sondern mit dem Leipziger Professor Gottsched. Nur so als Ausflug.

Man ahnt schon, warum man im Stammbaum der Lichtwers derart bedacht ist auf Erinnerungspflege. Auch wenn das Bewahren der wertvollen Erbstücke auf die Dauer mühselig ist und sich die Erben Gedanken machen müssen, wie sie die oft schon aus historischen Gründen wertvollen Bestände auch für nachkommende Generationen sichern. Was dann für den Lichtwer-Nachkommen Peter Zimmermann der Anlass war, mit dem Museum in Wurzen Kontakt aufzunehmen und dem Haus weitere Reiseskizzen von Richard Püttner aus dem Familienarchiv zu überlasen. In seinem Beitrag zum Katalog geht er auch auf die namhaften Künstler im Familienstammbaum ein.

Augenscheinlich vererbt sich künstlerisches Talent. Bei Richard Püttner zeigte es sich schon früh. Er studierte dann zwar nicht an einer Akademie – aber er erlernte das künstlerische Handwerk seiner Zeit – mit 14 begann er in Leipzig eine Lithographenlehre.

Lithografie – das ist Steindruck, ein Verfahren, mit dem man in den Zeitungen und Magazinen des 19. Jahrhunderts hervorragende Ergebnisse erzielte. Und das ist der Punkt im Katalog, den man fast überliest. Denn Püttner war eben kein Landschaftsmaler – auch nicht im damaligen Sinn, auch wenn seine Arbeiten sich problemlos mit allem messen können, was seinerzeit in Deutschland an Landschaftsmalerei entstand. Das Leipziger Bildermuseum hat ja Berge dieser romantisierenden Landschaftsbilder gesammelt, die damals den Kunstmarkt dominierten und in prächtigen Rahmen in den Wohnstuben des Bürgertums hingen. Romantik verband sich mit klassischer Bildung und dem Goetheschen Reiseerlebnis. Und natürlich der theatralischen Überhöhung der Landschaft. Nicht ohne Grund nennt Dr. Sabine Jung Caspar David Friedrich und Ludwig Richter als die großen Vorbilder.

Der ganze Aufbruch Deutschlands in die Moderne war von einer romantischen Sehnsucht nach Beschaulichkeit und Abgeschiedenheit übertönt. Auch die „Gartenlaube“ schwelgte in ganzen Bilderserien mit romantischen Burgen, Berggipfeln, Almhütten, Klosterruinen …

Wer auf Wikipedia den kleinen Eintrag zu Richard Püttner findet und sich ärgert, weil da so wenig steht, der sollte die Commons dazu aufrufen und findet dort über 200 Arbeiten von Richard Püttner dokumentiert, fast alle aus der „Gartenlaube“ oder aus reich illustrierten Reisebüchern, die mit seinen Illustrationen damals in Stuttgart erschienen.

Und das ist genau das, was fehlt. Denn in dieser Bildergalerie sieht man, was aus Püttners Reiseskizzen geworden ist. Denn das, was Wurzen in diesem kleinen Katalog zeigt, sind die puren Vorarbeiten, manche regelrecht übersät mit Notizen zu Farben, Schatten, Tonwerten. Die Reiseskizzen entstanden vor allem am Rhein und bei Püttners Reisen nach Bayern und Tirol – irgendwann nach 1870, vielleicht auch direkt in seiner intensiven Reisezeit 1873 bis 1879. Der Stuttgarter Verleger Adolph Körner hatte ihm den Auftrag erteilt, Illustrationen für die geplanten Reisebildbände „Unser Vaterland“ zu besorgen.

Und wie machte man das im Jahr 1873?

Man packte sich Skizzenbücher ein und machte sich auf die Reise, die durchaus wesentlich rustikaler war als heutzutage. Später soll Püttner auch fotografiert haben – aber die seinerzeit noch klobige Kastenkamera hat er ganz bestimmt nicht mitgeschleppt. Aber gelernt war gelernt: Die Zeichnungen zeigen, dass  Püttner wusste, wie man Landschaften inszeniert, wie man den besonders romantischen Blick findet, wie man alte Bauernhäuser, Burgen, Täler und Berglandschaften mit dem Bleistift so genau festhält, dass man daraus hinterher etwas machen kann.

Denn das, was man in diesen detailreich abgebildeten Skizzen im Katalog sieht, sind nur die Vorstufen. Dr. Sabine Jung vermutet ja zu Recht, dass Püttner mit diesen Zeichnungen irgendetwas vorgehabt haben muss.

Denn einfach drucken konnte man Zeichnungen damals nicht. Man musste sie weiterverarbeiten und Holzschnitte, Holzstiche oder eben Lithografien draus machen. Und die Bildunterschriften auf vielen „Gartenlaube“-Illustrationen deuten darauf hin, dass Püttner das selbst gemacht hat – gelernt hatte er es ja. Aber nicht immer.

Davon zeugen zahlreiche Zweit-Signierungen in den fertigen Arbeiten. Meistens: X. A. v. W. Aarland.

Und das Schöne ist: Man findet auch diesen Wilhelm Aarland auf Wikipedia, so dass man erfährt, dass dieser Zeichner und Holzstecher zwei xylographische Anstalten besaß – zuerst eine in Leipzig, später die Xylographische Anstalt W. Aarland in Kassel, die – welch eine Überraschung – Illustrationen für die „Gartenlaube“ produzierte. Genau solche, wie sie Richard Püttner herstellte. Der eine ging auf Reisen und brachte „nach der Natur gezeichnete“ Bilder berühmter Landschaften und Orte mit, der andere machte aus diesen Zeichnungen Holzstiche (Xylograhien), die dann den Reiseschilderungen in der „Gartenlaube“ beigegeben werden konnten.

Man ist auf einmal mittendrin in der Medienwelt des späten 19. Jahrhunderts und sieht, wie diese Bilderwelten entstanden. Geprägt– da hat Sabine Jung Recht – von der romantischen Sichtweise eines Caspar David Friedrich.

Natürlich sind die Arbeiten, über die das Kulturhistorische Museum in Wurzen nun verfügt, nur ein kleiner Ausschnitt aus Püttners Arbeitsmappen. Da muss es mehr geben. Oder gegeben haben. Aber schon diese sehr anschaulich dargebotenen Skizzen zeigen eine Welt, die es heute nicht mehr gibt, seit die Fotografie all jene aufwendigen Reproduktionstechniken, mit denen die großen Publikumszeitschriften im 19. Jahrhunderten arbeiteten, verdrängt hat. Manchmal erwecken mit alten Illustrationen aufgelegte Märchenbücher noch den Reiz dieser Welt, die „Gartenlaube“-Begründer Ernst Keil ganz und gar nicht als Weltflucht und Heimatidylle sehen wollte. Am Anfang stand der Wunsch nach realitätsnahen Bildern, nach Illustrationen, die dem Leser tatsächlich einen atmosphärischen Eindruck des geschilderten Ortes liefern sollten. Mit diesem Blick fürs realistische Detail reiste auch Püttner durch die Landschaften – aber seine Skizzenbücher zeigen auch, dass die vom Bürgertum geliebte Kunst – auch in der Tradition eines Carl Spitzweg – den Blick fürs Pittoreske liebte. Püttner wählte sichtlich aus, rückte das Malerische ins Bild – ließ aber wohl das Meiste, was unsereinen heute interessieren könnte, einfach links liegen.

Das späte 19. Jahrhundert war nun einmal heillos aufs malerisch Romantische fixiert. Die „Gartenlaube“ konnte ihre frühen Bildungsansprüche später nicht mehr durchhalten. Was aber nichts daran ändert, dass der Betrachter dieses Katalogs eintaucht in eine damals hochmoderne Medienwelt, deren wichtigster Schauplatz die Verlagsstadt Leipzig war, wo die „Gartenlaube“ in riesigen Auflagen gedruckt wurde. Und nicht nur Püttner signierte stolz die Bilder, die nach seinen detailreich durchgearbeiteten Skizzen entstanden waren, auch W. Aarland tat es.

Und jetzt der Tipp für Kurzentschlossene: Die Ausstellung mit diesen Bildern – „Richard Püttner (1842-1913) – ein Wurzner Zeichner und Reiseillustrator in München. Zum 175. Geburtstag“ ist in der Städtischen Galerie Wurzen (Markt 1) noch bis zum 18. Juni zu sehen. Man kann sich kurzerhand in die S-Bahn setzen und hinfahren.

Sabine Jung (Hrsg.) Richard Püttner (1842- 1913), Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2017, 19,80 Euro.

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